Mehr als nur Vorspiele

Dabei zu sein, genügt dem afrikanischen Fußball schon lange nicht mehr. Mindestens ebenso ­wichtig wie die WM ist der African Nations Cup, der derzeit in Ägypten ausgetragen wird. Mit von der Partie waren felix hoffmann, mark harenberg und karl-udo wenholt

Mühsam schiebt sich der weiße, klapprige Bus durch die völlig verstopften Straßen von Kairo. Hupend und ohne auch nur im Geringsten auf die Spur zu achten, fahren Taxis an ihm vorbei, um kurz danach von anderen Wagen ausgebremst zu werden. So voll wie auf der Straße ist es auch im Bus. Dicht gedrängt stehen die Menschen im Gang zwischen den Sitzplätzen. Als der Busfahrer einmal mehr keine Lücke zwischen den Fahrzeugen vor ihm findet und zum Halten gezwungen ist, nutzen zwei Ägypter die Gunst des Augenblicks und erklimmen von außen mit einem kräftigen Satz die ersten Stufen. In der Hand halten sie kleine Fahnen in den Landesfarben, außerdem Bänder und Schals. Geschickt, aber vor allem mit Nachdruck schaffen sie es, sich einen Weg durch die Menschenmenge im Bus zu bahnen. Ihre Ware findet reißenden Absatz. Kaum jemand will ohne Fanartikel im Stadion erscheinen.

An diesem Tag bestreitet Ägypten, der Gastgeber des Afrika-Cup, sein letztes Vorrundenspiel. Ein Unentschieden gegen die Côte d’Ivoire würde für den Einzug ins Viertelfinale genügen, nur verlieren darf man nicht.

Die 16 besten Mannschaften des afrikanischen Kontinents nehmen an diesem Turnier teil, das als Pendant zur Europameisterschaft gesehen werden kann. Erstmals wurde das Turnier im Jahr 1957 ausgetragen, damals hieß der Sieger Ägypten. Seit dem Jahr 1968 findet der Wettbewerb alle zwei Jahre statt, was dem Ausrichter, dem afrikanischen Fußballverband CAF, immer wieder die Kritik der europäischen Clubmanager einbringt. Denn für die afrikanischen Spieler, die bei ihnen unter Vertrag stehen, ist das Turnier eine weitere Belastung, außerdem müssen die Vereine inmitten der nationalen Meisterschaften die Spieler freistellen.

Doch der afrikanische Verband beharrt auf dem zweijährigen Rhythmus. Vordergründig geht es um Geld aus langfristigen Fernsehverträgen, die unbedingt eingehalten werden müssten. Doch mindestens ebenso wichtig ist es, dass man sich nicht alles von den Europäern diktieren lassen will. Schließlich sind nahezu alle wichtigen afrikanischen Spieler in Eu­ropa beschäftigt und nicht in den Ländern, aus denen sie stammen. Bei den Weltmeisterschaften ist Afrika gerade einmal mit fünf Teilnehmern vertreten. Nur der Nations Cup bietet die Möglichkeit, all die Stars auf dem eigenen Kontinent zu versammeln und so aller Welt die Stärke des afrikanischen Fußballs zu zeigen.

Im Hinblick auf die Weltmeisterschaft ist das Turnier allerdings nicht immer eine geeignete Vorbereitung. Zwar bekommen die Trainer die seltene Möglichkeit, mit ihren Spielern einige Wochen lang zu arbeiten. Aber wenn der Afrika-Cup erfolglos verläuft, ist die Konsequenz nicht selten die Entlassung des Trainers. So wurden nach dem Afrika-Cup 2002, nur wenige Monate vor der WM in Japan und Südkorea, der nigerianische Trainer Shaibu Amodu, der tunesische Trainer Henri Michel sowie der südafrikanische Trainer Carlos Queiroz entlassen. Nur Winfried Schäfer, der damals mit Kamerun den Afrika-Cup gewann, und Bruno Metsu, der mit dem Senegal überraschend das Finale erreichen konnte, überstanden den Afrika-Cup und durften ihre Teams auch zur WM begleiten.

Auch jetzt es ist fraglich, ob Stephen ­Keshi (Togo), Ratomir Dujkovic (Ghana) oder Luis Oliveira Goncalves (Angola) bis zur WM weiterarbeiten dürfen. Obwohl es allen drei gelungen ist, ihre Teams erstmals für eine WM zu qualifizieren, stehen sie nach dem vorzeitigen Ausscheiden beim diesjährigen Afrika-Cup in der Kritik. Dafür haben sich bislang die großen afrikanischen Mannschaften durchsetzen können, die die Qualifikation zur WM verpasst haben, darunter Nigeria und Kamerun.

Auf jedem Fall geht es beim Cup of Nations um enorm viel Prestige und oft auch Nationalstolz. Die Sieger dürfen sich auf eine triumphale Ankunft und ausgelassene Straßenfeste in der Heimat freuen. Andererseits erwartete die Nationalmannschaft der Côte d’Ivoire, als sie vor sechs Jahren bereits in der Vorrunde ausschied, das Militärlager. Zehn Tage mussten die Spieler auf Anordnung des Diktators Robert Guei dort verbringen, als Strafe für die schmähliche Niederlage.

Auch wenn dem ägyptischen Team eine solche Bestrafung sicher nicht droht, wird uns bald klar, wie groß die Erwartungen der Bevölkerung an ihr Team, die »Pharaonen«, sind. Im Bus, der uns an diesem Nachmittag zum Stadion bringt, herrscht Zuversicht: »Wir gewinnen 2:0«, meint der 19jährige Ahmed. Sein Freund Mahmoud pflichtet ihm bei: »Wir müssen einfach gewinnen!«

Über doppelstöckige Stadtautobahnen geht es in eine Gegend mit vielen grauen Hochhäusern und breiten Schnellstraßen. Hier steht das »Cairo International Stadium« direkt neben einem großen Kongresszen­trum und den städtischen Messehallen. Das Gelände ist weiträumig eingezäunt. Überall stehen Polizisten in schwarzen Uniformen. Gesichtsmaler haben an allen Ecken alle Hände voll zu tun. Einer nach dem anderen bekommt die Landesfarben rot, weiß, schwarz auf Stirn, Wangen oder Kinn gemalt. In der Schlange an der ersten Einlasskontrolle geben uns ein paar junge Ägypter einen Tipp, als sie uns rauchen sehen: »Das Feuerzeug in den Schuh stecken, sonst nehmen sie es euch ab.«

Mit den Sicherheitsmaßnahmen ist es den Verantwortlichen im autokratisch regierten Ägypten, in dem Polizei und Armee eine wichtige Rolle spielen, sehr ernst. Am schlimms­ten war es beim Eröffnungsspiel, als Staatspräsident Hosni Mubarak im Stadion war, sogar Journalisten wurden am Eingang die Handys abgenommen.

Insgesamt passieren wir vier Kontrollen. Zuletzt muss jeder Besucher sein Ticket in ein automatisches Lesegerät stecken und dann einzeln, wenn das Kontrolllämpchen grün leuchtet, durch eine Gitterdrehtür den inneren Ring um das Stadion betreten. Ein System, wie es jetzt auch in Deutschland in den WM-Stadion eingeführt wird. Vor dem Turnier wurde das Stadion, in das 74 000 Zuschauer passen, für umgerechnet 21,5 Millionen Euro modernisiert. Es ist eines von fünf Stadien, in denen die Spiele stattfinden, wobei über die Hälfte der Partien in zwei Arenen in Kairo ausgetragen werden.

Es ist kurz nach vier Uhr nachmittags, als wir durch einen langen weißen Gang endlich das Innere des Stadions betreten. Noch sind es drei Stunden bis zum Anpfiff. Trotzdem sind bereits jetzt rund 20 000 Menschen auf ihren Plätzen. Obwohl sich auf dem Rasen gar nichts tut, wird schon gerufen und gesungen, was die Kehlen hergeben. Vor allem und immer wieder: »Misr!« (»Ägypten!«) In den Kurven herrscht ein Lärm, als wäre die Partie längst im Gange und Ägypten führte mit 3:0. Es wird getrommelt, gepfiffen und getanzt. Wir haben das Gefühl, als sähen alle ein Spiel, das nur für uns unsichtbar bleibt.

Die meisten, die um uns herum auf ihren Plätzen stehen, sind jung. Das Durchschnittsalter des Publikums liegt bei etwa Anfang Zwanzig. Die Karten kosten zehn bis 25 ägyptische Pfund, umgerechnet sind das zwei bis vier Euro. Für die meisten Ägypter ist diese Summe bezahlbar, wenn auch nicht unbedingt niedrig.

Für einen europäischen Stadionbesucher ist es äußerst ungewöhnlich, dass es im Stadion kein Bier, sondern nur Softdrinks, Tee oder Kaffee zu trinken gibt. Nur wenige Frauen sind im Publikum, die meisten tragen Kopftücher. Noch ist der Himmel über uns blau. Doch während das Stadion immer voller und der Nachmittag immer später wird, nimmt auch die Dunkelheit zu. Weil das Flutlicht noch nicht angeschaltet ist, entwickelt sich eine seltsame Atmosphäre. Wir können etwa eine Stunde vor Beginn der Partie die annähernd 70 000 Menschen im Stadion zwar deutlich hören, doch kaum die gegenüberliegende Tribüne sehen.

Doch kurz danach lässt das gleißend weiße Licht von den vier Masten hinter den Kurven die Arena endlich hell erstrahlen. Ein unglaublich dichtes Fahnenmeer empfängt die Spieler der Heimmannschaft. Der Jubel gilt vor allem dem ägyptischen Superstar und Na­tio­nal­hel­den Ahmed Hossam, genannt »Mido«. Kürzlich würde die Hochzeit des Mittelstürmers von Tottenham Hotspur, dem einzigen aus der ägyptischen Nationalmannschaft, der in einer europäischen Topliga spielt, sechs Stunden lang live im Fernsehen übertragen.

Nach einem spannenden und hochklassigen Spiel gewinnt Ägypten mit 3:1 und zieht damit als Gruppensieger ins Viertel­finale ein. Auch wenn der Jubel deswegen groß ist, scheinen viele Zuschauer erschöpft vom vielen Anfeuern zu sein. Das Stadion leert sich jedenfalls schnell.

Doch neben den großen Feierlichkeiten, die die Spiele der ägyptischen Nationalmannschaft bei diesem Turnier umgeben, hat der Cup of Nations auch eine ganz andere Seite. Am nächsten Tag sehen wir im selben Stadion die Partie zwischen den beiden WM-Teilnehmern Angola und Togo. Togo ist bereits ausgeschieden, Angola hat zu diesem Zeitpunkt noch eine kleine Chance weiterzukommen.

Vielleicht 2 000 Menschen verlieren sich in dem riesigen Rund mit seinen weiß-hellblauen Plastiksitzen. Auf einer Tribünenseite haben sich hunderte Männer in bunten Overalls über vier Blöcke verstreut. Es sind Soldaten, die vom ägyptischen Verband so angekleidet worden sind. Sie sollen das Stadion wenigstens ein bisschen füllen und den Schein vom bunten afrikanischen Fußball in die Welt transportieren.

Dieselbe Aufgabe haben auch die vielleicht 30 Togolesen. Ihre etwa neunstündige und etwa 1 500 Dollar teure Anreise mit dem Flugzeug und den Hotelaufenthalt hat ihre Fußballföderation bezahlt. Dafür legen sie sich auch ins Zeug. Drei von ihnen haben ihren Körper bunt bemalt. Einer ganz in weiß, mit vielen roten und grünen Punkten. Mit seinen stechenden Augen fixiert er die Gruppe und animiert sie zu singen. Die anderen tragen meist sonnengelbe Trikots oder haben Fahnen in den Nationalfarben gelb, grün und rot um den Hals gebunden. Zahlreiche Fotografen haben sich vor der Gruppe aufgebaut. Diese Bilder sind es, die sie suchen und die die CAF bei diesem Turnier produzieren will: das Bild vom exotischen, geheimnisvollen Fußball aus Afrika.

Viele Verbände, die hier vertreten sind, haben solche Fanclubs dabei. Wären sie nicht im Stadion, wäre neben ein paar wenigen neugierigen Ägyptern so gut wie niemand hier, der die Spiele der anderen Mannschaften verfolgen würde. Nur ganz vereinzelt trifft man Fans, die sich die Reise leisten konnten und sie selbst organisiert haben. Einer von ihnen ist der 32jährige Togolese Jean Kofi Akpo. Zusammen mit seinen Landsleuten singt er: »Every team is made by god – no matter if we loose!« 2:3 verliert Togo, aber auf diese Weise können die Fans die Niederlage besser ertragen.

Jean Kofi Akpo ist nicht nur hier, um die Spiele seines Teams zu sehen. Der Grund für die Reise und seine eigene Geschichte sagt viel aus über die Probleme des afrikanischen Fußballs und die Hoffnungen, die so viele mit ihm verknüpfen. Seit zwölf Jahren trainiert er eine Mannschaft mit Spielern zwischen 14 und 17 Jahren aus dem Viertel Kodjoviakopé in der Hauptstadt Lomé. Sein Team ist kein tradioneller Club, sondern eine Jugendmannschaft, die ein paar Mal die Woche trainiert, und in der der Trainer auch für die Organisation zuständig ist.

Vor etwa neun Jahren hatte er einen besonders talentierten Jungen in seinem Team. Doch die Fähigkeiten des damals 14jährigen waren auch einem anderen Trainer aufgefallen. Noch bevor Akpo etwas tun konnte, transferierte dieser den Jungen nach Metz in Frankreich. Dort startete der Junge aus Kodjoviakopé eine große Karriere. Kurz vor diesem African Nations Cup wechselte er für rund zehn Millionen Euro vom französischen Club AS Monaco zu Arsenal London nach England. Er heißt Emanuel Sheyi Adebayor, heute der große Star der togolesischen Mannschaft.

Während der letzte Trainer an den großen Verträgen der Vergangenheit mitverdiente, hatte Akpo nichts von der Entwicklung Adebayors. »Aber manchmal gibt er mir ein paar hundert Dollar oder einen Satz Trikots für mein Team«, erzählt er. Er zeigt uns ein Foto, auf dem der Star mit einem nass geschwitzten dunkelroten Arsenal-Trikot an einem Sandstrand sitzt und zufrieden in die Kamera guckt. »Das war vor zwei Wochen, kurz nachdem er seinen neuen Vertrag unterschrieben hat. Da ist er zu uns gekommen, und wir haben alle zusammen Fußball gespielt, wie wir es früher immer gemacht haben.«

Millionen afrikanische Kinder und Jugendliche träumen von einer großen Karriere als Fußballer, und unzählige Menschen auf dem Kontinent hoffen, das große Geschäft mit einem der Talente zu machen. »Ich bete zu Gott, dass ich noch mal so einen Jungen in meinem Team habe. Denn jetzt bin ich nicht mehr so blind wie damals, sondern weiß, wie dieses Business läuft«, sagt Akpo. Deswegen hat er seine aktuellen Spieler mit Zehn-Jahres-Verträgen ausgestattet. Und er versichert uns: »Niemals würde ich einen meiner Jungs in falsche Hände geben.«

Doch das Geschäft mit afrikanischen Spielern läuft meist anders. Zu Hunderten werden junge Fußballer nach Europa geschleust. Der Weg führt sie zunächst meist nach Belgien oder Frankreich. Dubiose Spielerhändler versuchen, mit ihnen das große Geld zu machen. Wer sich als schlechte »Ware« herausstellt und durch das Sieb fällt, wird oft sich selbst überlassen. Manche Spieler sitzen anschließend im fremden Europa und wissen nicht mal, wie sie den Flug zurück bezahlen sollen.

»Meine Jungs sollen nur zu Clubs mit vernünftigen Jugendakademien«, sagt Akpo. Vergeblich hat er sich während der zehn Tage, die er beim Afrika Cup war, darum bemüht, einen Spielervermittler kennen zu lernen, der gute Kontakte zu Fußballclubs in Europa hat. Der soll mit einem Visum nach Togo kommen und sich seiner Jungs annehmen. Doch so einer ist ihm auf dieser Reise nicht begegnet, allenfalls ein paar libysche Agenten, von denen er sich aber nicht viel erhofft. Unverrichteter Dinge fährt er wieder ab, schließlich ist Togo bei diesem African Cup of Nations bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Irgendwie gewinnen doch immer die anderen.