Dialog der Dissidenten

Weniger islamistische Bewegungen, sondern vor allem mit dem Westen verbündete ­islamische Regierungen haben den Karikaturenstreit inszeniert. von jörn schulz

Nacktfotos werde man nicht präsentieren, verspricht David Walker, der Redaktionsdirektor des Playboy. Vielmehr werde die indonesische Ausgabe »Artikel von hoher Qualität« enthalten. Die Kritiker beeindruckte das nicht. Der Playboy »hat keinen Platz in unseren sozialen Normen«, sagt Hasyim Muzadi, der Vorsitzende der Nahdatul Ulama. Er stellt auch klar, dass es nicht um feministische Anliegen geht: »Pornographie kann den Charakter einer Nation ruinieren, aber auch zu freiem Sex und einer hedonistischen Lebensweise ermutigen, und das ist unproduktiv für die Zukunft der Nation.«

Die Nahdatul Ulama gilt als größte islamische Organisation Indonesiens. Doch selbst im Bündnis mit anderen konservativen Gruppen konnte sie nicht mehr als 500 Demons­tranten mobilisieren, etwa ebenso viele, wie gleichzeitig gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen protestierten. Dennoch wird erwartet, dass eine große Mehrheit der Abgeordneten einem neuen Gesetz gegen Pornograhie zustimmt, das derzeit im Parlament debattiert wird.

Die Auseinandersetzung ist exemplarisch für den Kampf gegen die »westliche Dekadenz«. Seit langem verkauft sich Pornographie in Indonesien gut, marktführend sind lokale Produkte wie das Magazin Tits. Da Islamisten und Nationalreligiöse kein Interesse daran haben, über das Patriarchat und die Kommerzialisierung menschlicher Beziehungen zu debattieren, muss zum Anlass des Protests etwas herhalten, das als Angriff des Westens auf eine an sich noch intakte Kultur dargestellt werden kann.

Führt die Kampagne zum Erfolg, trifft derTugendterror nicht in erster Linie westliche Firmen. Das Gesetz gegen Pornographie soll auch Küsse in der Öffentlichkeit, viele Folkloretänze und den Penisgürtel, die traditionelle Kleidung der Papuaner, verbieten. Es richtet sich gegen Dissidenten, die sich autoritären Zwängen nicht beugen wollen, aber auch gegen nicht muslimische Minderheiten und »rückständige« Bevölkerungsgruppen. Ihnen ist gemeinam, dass sie als »unproduktiv für die Zukunft der Nation« gelten.

Nicht immer sind islamistische Organisationen führend bei solchen Kampagnen. Im Karikaturenstreit haben sich die meisten von ihnen bislang kaum an der Mobilisierung beteiligt. Es sind islamische Regierungen, die die Kampagne begonnen haben und sie noch immer weitgehend steuern.

Ihr Programm hat der damalige malaysische Premierminister Mahathir Mohammed im Oktober 2003 beim Gipfeltreffen der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) verkündet. Seine Rede wurde vor allem wegen der antisemitischen Hetze beachtet (Jungle World, Nr. 45/03), doch Mahathir rief auch dazu auf, den weltpolitischen Einluss der Ummah, der islamischen Gemeinschaft, zu stärken. Sollten die islamischen Staaten dies versäumen, »werden ihre Völker und die Ummah wütender werden und sich gegen ihre eigenen Regierungen wenden«.

»Wir sind alle Muslime. Wir sind alle unterdrückt«, sagte Mahathir nach 22 Jahren autokratischer Herrschaft. Ein »Gegenangriff« sei jedoch möglich: »Wir sind 1,3 Milliarden. Wir haben die größten Ölreserven der Welt (…) Wir sind vertraut mit den Mechanismen der Weltwirtschaft und der Finanzen. Wir kontrollieren 57 von 180 Ländern der Welt. Unsere Stimmen entscheiden über Erfolg oder Misserfolg in internationalen Organisationen.«

Als Anfang Dezember einige dänische Imame mit ein paar Karikaturen im Gepäck bei arabischen Regierungsvertretern und OIC-Repräsentanten vorsprachen, fanden sie sicherlich nicht deshalb Unterstützung, weil ihre Partner sich für die Satireseiten skandinavischer Pro­vinz­blätter oder gar für die Diskriminierung von Migranten interessierten. Die ägyptische Zeitung al-Fajr hatte mehrere Karikaturen bereits zwei Monate zuvor nach­gedruckt, ohne dass dies Aufregung verursacht hätte. Nun aber witterten die Regierungsvertreter ihre Chance für eine »Du bist die Ummah«-Kampagne. »Es war keine große Sache, bis sich die OIC bei der Islamischen Konferenz dagegen gewandt hat«, sagt Mohammed al-Sayed Said vom Ahram Center for Political and Strategic Studies in Kairo.

Die US-Außenministerin Condoleezza Rice beschuldigte am Mittwoch der vergangenen Woche Iran und Syrien, »Emotionen angeheizt und für ihre eigenen Zwecke benutzt« zu haben. Das trifft zu, die Initiative hatten jedoch Ägypten, Saudi-Arabien und Libyen ergriffen, drei mit dem Westen verbündete Staaten. Ägyptische Diplomaten waren führend bei der Mobilisierung der Arabischen Liga und der OIC, Saudi-Arabien und Libyen zogen Ende Januar als erste ihre Botschafter aus Dänemark zurück.

Die nach dem Wahlsieg der Hamas gewachsene Sorge vor einer weiteren Stärkung islamistischer Bewegungen mag ein Motiv für die Kampagne gewesen sein. Unter unmittelbarem Druck standen die Regierungen jedoch nicht. Obwohl die Islamisten spätestens nach einer Sendung mit den dänischen Imamen im Hizbollah-Fernsehsender al-Manar im Dezember über den für sie potenziell reizvollen Skandal informiert waren, unternahmen sie nichts. Wichtiger dürfte das Ziel gewesen sein, der Bevölkerung zu vermitteln, dass die Demokratie zwangsläufig zur Blasphemie führt, und den westlichen Regierungen zu signalisieren, dass nur eine fortdauernde autokratische Herrschaft den wütenden Mob im Zaum halten kann.

Der erfreulichste Aspekt des Karikaturenstreits ist, dass die Mobilisierung recht erfolglos war. Die größten Demonstrationen in der vergangenen Woche fanden in Beirut und in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeshs, statt. Möglicherweise beginnen die islamistischen Organisationen nun, da die Regierungen ihr Arsenal weitgehend ausgeschöpft haben, doch noch mit eigenen Mobilisierungen. Neben der Hizb al-Tahrir, die in Dhaka etwa 20 000 Anhänger auf die Straße brachte, scheint sich auch die Muslimbruderschaft Ägyptens der Kampagne anzuschließen. Bislang aber haben von den etwa 1,3 Milliarden Muslimen allenfalls 300 000 öffentlich protestiert. Der »Zusammenprall der Zivilisationen« müsste eigentlich wegen mangelnder Beteiligung abgesagt werden.

Reaktionäre Ansichten sind in den meisten islamischen Gesellschaften weit verbreitet. Doch man kann rechts und trotzdem bei Verstand sein. Auch wer die Karikaturen beleidigend findet, muss ihre Veröffentlichung nicht wichtiger nehmen, als wenn in Kopenhagen eine Flasche Bier umfällt. Liberale Muslime verweisen auf die Gelassenheit des Propheten, der »nie die Beherrschung verloren« habe, wenn er provoziert wurde, und wohl »ein Gebet für die Karikaturisten sprechen« würde, wie Tarek Fatah im Internetforum muslim ­wakeup! schreibt.

Manche Muslime reagieren radikaler auf die Bigotterie. »Buy Danish«, fordert der ägyptische Blogger Sandmonkey. Dass seine Blogs und die anderer säkularer Muslime nun verstärkt gelesen und in aller Welt debattiert werden, ist die zweite gute Nachricht. Der Karikaturenstreit fördert den Dialog der Dissidenten.