Es kracht, knackt und scheppert

  Vielfältiger geht es kaum: Mit seinem Programm widmete sich das Festival Club Transmediale progressiver Musik aus verschiedenen Richtungen. von markus ströhlein

Schläft ein Lied in allen Dingen«, behauptet Joseph von Eichendorff in seinem Gedicht »Wünschelrute«. Das ist falsch. Lieder sind nicht wach, deshalb brauchen sie auch keinen Schlaf. Und ein Besteckkasten kann genauso wenig singen wie eine Straßenlaterne. Selbst wenn man einer Betonmauer »Abrakadabra«, »Simsalabim« oder »Hokus, pokus, fidibus« zuflüstern würde und damit genau das »Zauberwort« träfe, das Eichendorff zufolge nötig ist, den Dingen ein Lied zu entlocken, erklänge kein Ton.

Das bedeutet natürlich nicht, dass die Dinge nicht klingen können. Würde man den Besteckkasten samt seinem Inhalt gegen die Beton­mauer werfen, würde es ordentlich scheppern und klirren. Doch ohne einen Menschen könnte das Szenario nicht stattfinden. Jemand muss den Kram ja gegen die Wand schleudern. Noch wichtiger: Jemand muss die Klangeigenschaften des Aufpralls beurteilen. Nun gut, die Nach­barn würden meckern: »Was soll der Krach?« Aber irgendjemand würde vielleicht sagen: »Hey, cooler Sound!«

Martin Tétreault könnte so urteilen. Sein Musikinstrument ist zwar der präparierte Plattenspieler. Doch manchmal lässt er auch schwe­re Gegenstände auf den kreisenden Teller fallen. Ob er es schon mal mit einem Besteckkasten versucht hat? Bei seinem Auftritt im Rahmen des Festivals Club Transmediale in Berlin sitzt er an einem Tisch, vor ihm steht der modifizier­te Plattenspieler. Immer wieder zückt er eine neue Schallfolie, zerknüllt sie, spielt sie ab, wirft noch ein Stückchen Alufolie dazu. Es knirscht und kratzt aus den Lautsprechern. Manchmal knallt es auch, wenn er den Tonarm mit der Nadel einfach auf den Teller aus Metall fallen lässt, von dem er die Gummiunterlage abgenommen hat. Das mag dilettantisch wirken. Aber der Mann musiziert zielgerichtet. Er fängt Geräusche ein und isoliert sie zu kleinen Rhythmusfolgen, die er kollabieren lässt. Dann hört man wieder nur das verstärkte Brum­men der statischen Aufladungen und des Motors des Plattenspielers.

Würde das alles mit dem Gestus des ernsten Experimentalmusikers dargeboten, wäre es peinlich. Doch Tétreault scheint nichts daran zu liegen, der Menschheit an diesem Abend einen bahnbrechenden musikästhetischen Fortschritt zu bescheren. Er wirkt wie das Publikum lediglich neugierig auf das, was da mit seinem Zutun und durch Zufall aus den Boxen kommt. Als er mit dem Knie gegen das Tischbein stößt, integriert er das entstandene dumpfe Pochen in seinen Auftritt, indem er das Versehen wiederholt. Irgendwann schwingt sich das Experiment bei einem bestimmten Ton ein, ohne dass der Musiker noch etwas tun muss. Té­treault verlässt die Bühne und bestaunt grinsend mit dem ebenfalls amüsierten Publikum sein Werk.

Lustig geht es auch bei Goodiepal zu. Kris­tian Vester, so heißt der Musiker mit bürgerlichem Namen, kommt ganz ohne elektrische Instrumente aus. Aus seinem Gepäck zieht er eine Reihe mechanischer Klangobjekte, die er in langen Winternächten auf den Faröer Inseln selbst gebastelt hat. Normalerweise verwendet er die Maschinen bei seiner Arbeit mit den Patienten in der Psychiatrie. Doch auch beim Berliner Publikum zeigen sie Wirkung. Es ist auch wirklich schwer, nicht zu lachen, wenn Goodiepal den »mechanischen Vogel« vorführt, der zwitschert wie ein echter, oder wenn er mit goldenen Glöckchen herumbimmelt, mit denen man seinen Aussagen zufolge ganz prima Tonhöhenmemory spielen kann. Skurril ist auch die Mischung aus einer Spieluhr und einem Leierkasten, einem Instrument, auf dem man verschiedene Lieder wiedergeben kann, wenn man es mit unterschied­lichen Lochkarten füttert. Mit diesem Instrument demonstriert Goodiepal, dass ein Song der arg bejubelten Band Sigur Ros mit einem Stück von Celine Dion hinsichtlich Struktur und Melodie­führung identisch ist. Begleitet wird die musikalische Darbietung mit kleinen Anekdoten aus dem Leben auf den Faröer Inseln und lakonischen Kommentaren zur Popmusik im Allgemeinen und Techno im Speziellen.

Dass es beim mittlerweile siebten Club Transmediale nicht allzu ernst zugehen würde, hätte man auch am Stargast erkennen können. Mit Jean-Jacques Perrey hatten die Macher des Festivals den Großvater der skurrilen elektronischen Musik eingeladen. Dass das Experimentieren mit elektronischen und anderen Klängen in erster Linie ein Spaß sein sollte, hat Perrey schon Anfang der Sechziger postuliert. Immer noch freut es den Mitt­siebziger, wenn sein Gezirpe, Gequietsche und Gepfeife aus dem Synthesizer die Leute zum Kichern und zum Tanzen bringt. Man kann nicht anders, als ihm zuzustimmen: Zur Befreiung der Klänge passt das befreite Lachen und die befreite Bewegung besser als starrer akademischer Ernst.

Was Perrey neben dem Humor mit Musikern wie Téreault oder Goodiepal verbindet, ist ein Aspekt, dem sich die Veranstalter ausdrücklich gewidmet haben: Sie wollten Künstler und Musiker vorstellen, »die aus einer besonderen persönlichen, teils obsessiven, exzentrischen oder idiosynkratischen, immer aber ungewöhnlich enthusiastischen Haltung heraus produzieren.«

Die Idee, sympathische Nerds mit einer Vorliebe für musikalische Experimente in den Blickpunkt zu rücken, anstatt in der Spur bestimmter Genres zu bleiben, hat dem diesjährigen Festival eine angenehme künstlerische Vielfalt beschert. Als Untertitel haben sich die Macher der Veranstaltung ausgedacht: »festival for adven­turous music and related visual arts«. Das Wörtchen »electronic« durch »adventurous« ersetzt. Sie haben also eingesehen, dass der Einsatz eines Laptops und das Label »elektronisch« schon lange keine Garanten mehr für progressive Musik sind. So konnte man im Programm Avanciertes aus allen musikalischen Ecken finden, vom elektroakustischen Experiment über die sonderliche Songwri­terin bis hin zum verträumten Pop. Alles war dabei.

Ein Abend war sogar in loser Kon­nota­tion dem Heavy Metal gewidmet, einem Genre also, über das der durchschnittliche Electrosnob vor fünf Jahren noch in der Gewissheit über die hoffnungslose Rückständigkeit diese Musik schallend gelacht hat. Was auf der Bühne dargeboten wurde, war dann auch nicht unbedingt archetypisch für die Stilrichtung, sondern Metal für Leute, die eigentlich keinen Metal hören. Die Bands wirkten meist steif und verkrampft im Versuch, sich der Energie und Härte des Genres mit anderen Mitteln oder in einem anderen Kontext zu bedienen. Einzig überzeugend war das Duo Orthrelm aus Washington. Die zwei Musiker vollführten eine unschlagbar absurde Übersteigerung des im Metal üblichen Hangs zum handwerklichen Perfektionismus und mit ihrem 45 Minu­ten dauernden Auftritt das wohl längste Gitarren- und Schlagzeugsolo aller Zeiten.

Über den einen oder anderen Schwach­punkt und Längen hier und da konnten die Besucher aber bei der kaum zu bewältigenden Fülle des Programms getrost hinwegsehen. Reichlich kamen sie. Es scheint, als habe das Festival nicht nur seine Richtung, sondern auch sein Publikum gefunden. Es wäre ihm und seinen Macherinnen und Machern zu wünschen.

Bitte lächeln

Unter dem Titel »Smile Machines« beschäftigt sich die Ausstellung zur Transmediale mit dem Zusammenspiel von Humor, Kunst und Technologie. Bis zum 19. März 2006 in der Akademie der Künste.