Keine Poesie, nur faule Tricks

Was jetzt nervt: Alle himmeln Tomte an. Kann thomas blum widerstehen?

Ohne Zweifel handelt es sich bei den Mitgliedern von Tomte um grundgute und sympathische Menschen, die nichts Böses im Sinn haben. Auch dass sie ihren Lebensunterhalt mit Musizieren bestreiten, ist ihnen nicht vorzuwerfen, das tun auch die Egerländer Domspatzen oder Xavier Naidoo, und verbieten kann man derlei hierzulande nicht. So weit ist alles in bester Ordnung.

Hören wir Tomte: »Mit fester Stimme sage ich dir, hab’ keine Angst.« »Der Platz im Herzen.« »Ich werde immer an dich glauben.« »Die Stadt, die mich zum Mann gemacht hat.« »Das gleißende Licht.« »Die Wolken entscheiden, ob du sie siehst.« »Ich bewache deine Träu­me.« »Wie der Wind uns durch die Haare weht.« »Das kleine Licht, das in der Dunkelheit leuchtet.« »Wie sich das erste Licht des Tages bricht, werde ich nie vergessen.« »Sie hielten ihre Hände und er küsste ihr Haar.« »Glücklich am Ende eines langen Lebens, und alles ist aus Gold.«

Ja, 20jährigen Deutschen gefällt derlei wohl, weil es ihnen dabei ganz warm wird in der Brust und solche Sprachgirlanden etwas anderes sind als die Texte, die sie aus ihren SMS-Botschaften kennen. Eine neoromantisch eingezuckerte Hochglanzpostkartenwelt. Ein Platitüdenreservoir erster Kajüte. Was sagt Thees Uhlmann zu seinen Texten? »Ich zögerte noch für einen Moment, ob das jetzt zu peinlich wäre. Aber dann habe ich beschlossen: Nö.« Keine gute Entscheidung.

Weist die gefühlsechte, verrätselte Lebenshilfelyrik Tomtes nicht auch Ähnlichkeiten mit der bevorzugt bedeutungsschwer daherkommenden Goldrandprosa der jungen Literaturtalente auf, die gern in deutschen Verlagen veröffentlicht wird? Und tatsächlich: »Würde sich die Hochkultur für Popmusik interessieren, Tomte wäre ihr Steckenpferd«, steht da auf dem Waschzettel der Plattenfirma, mit schweißfeuchten Fingern geschrieben von einem, der schon ganz trunken ist von der Vorstellung, dass seine Lieblingsband bald vom Goethe-Institut eingeladen wird.

Betrachtet man den Sentimentalitätsschmus von Tomte einmal ohne Sinnestrübung, stellt man fest, dass ein Bastei-Lübbe-Heftchen nicht nur zutreffendere Aussagen über die Realität macht, sondern überdies in rein kunsthandwerklicher Hinsicht von einer beeindruckenderen ästhetischen Qualität ist.

Es ist zu befürchten, dass das Zeug gegenwärtig von der einschlägigen Presse so enthusiastisch gelobt wird, gerade weil sich beim Zuhören das so überaus angenehme Gefühl einstellt, dass der Verstand endlich Ruhe gibt für ein Weilchen. Man kann sich so schön einfühlen bei diesen so mundgerecht zubereiteten Songhäppchen voller Pseudo-Authentizität und Wiedererkennungseffekthascherei. Ach, die Liebe, das Leben, die Gefühle!

Also, hier die Wahrheit: Tomte produzieren eine vor verkitschten und totgefaulten Fertigsprachbauteilen strotzende, eingedickte Gefühlsmarmelade, die es kalkuliert darauf anlegt, uns anzurühren, und die uns, wenigstens was die Songtexte angeht, als hoch­poetisches Lebenserfahrungskonzentrat verkauft wird. Das ist der Trick. Und er funktioniert.

Dass derlei wehmutsgetränkter Ergriffenheitspop von Leuten, die lesen und vermutlich sogar ein wenig denken können, für eine Art Nonplusultra moderner Poesie gehalten wird, wirft ein bezeichnendes Licht auf den armseligen Geisteszustand der Zeitgeistverwaltungsbeauftragten und Geschmackspolizisten in den Feuilletons und dem Kulturerzeugnisvertriebsgewerbe.

Dass die clever als lebenserfahrungs- und weisheitsgesättigter Besinnungspop getarnte Wohlfühlmusik für Studenten, die Tomte herstellt, plötzlich von allen als ein Weltwunder betrachtet wird, ist nicht erstaunlich. Immer setzt sich das Mittelmaß durch. Abstoßend jedoch ist der aus sämtlichen Winkeln erklingende, gleichgeschaltete Bejubelungssermon, dessen Schamlosigkeit und Penetranz einen sprachlos zurücklässt und der teils in demselben anwidernden Pathos verfasst ist wie das, was er bejubelt. »Bei Tomte reckt sich der Körper immer wieder seinem Schicksal der Vergänglichkeit entgegen und gibt uns den Mut zum Leben.« (Intro) Das ist auch in etwa die Wirkung eines Lore-Romans. Die neue CD von Tomte, die »auf dem besten Weg zur neuen deutschen Konsensband« (Süddeutsche Zeitung) seien, sei womöglich »das wichtigste deutsche Album des Jahres« (Intro). Ihre Lieder, »die einen mitnehmen, berühren« und »das Herz hüpfen lassen« (Süddeutsche Zeitung), lassen »eine Art kollektives Herz schlagen« (Schwäbische Zeitung). Die Stimme Thees Uhlmanns, liest man, sei »wie Schweizer Alpen-Quellwasser, Jahrhunderte altes, klares Felsfiltrat, das auf dem Weg ins Tal viele kleine Kieselsteine mit sich trägt«. Man glaube kein Wort davon. Nicht eines.

Tomte: Buchstaben über der Stadt. Grand Hotel van Cleef