Keine Provokationen, bitte!

Großbritannien gibt sich muslimfreundlich. Die Mohammed-Karikaturen wurden nicht nachgedruckt, die Regierung will Anstiftung zum Hass auf Religionen unter Strafe stellen. von fabian frenzel, sheffield

Der britische Humor ist gemeinhin bekannt für seine satirische Schärfe und Respekt­losigkeit. Dennoch war Großbritannien in den vergangenen zwei Wochen das einzige europäische Land, in dem die umstrittenen Mohammed-Karikaturen in keiner einzigen Tages- oder Wochenzeitung nachgedruckt wurden. Dies hat indes weniger mit ihrem zweifelhaften humoristischen Gehalt zu tun, dafür aber um so mehr mit der Politik.

Bereits kurz nach der Eskalation des Konflikts, nach der Veröffentlichung in der belgischen Zeitung Le Soir, kritisierte der britische Außenminister Jack Straw die Karikaturen scharf und bezeichnete sie als geschmacklos. Wenig später sprach sich die Redaktion des Guardian, einer der führenden britischen Tageszeitungen, in einem Statement gegen die Veröffentlichung aus. Sie erklärte, dass es zwar ein unbestreitbares Recht gebe, die Zeichnungen zu veröffentlichen, dass man es deswegen aber noch lange nicht tun müsse. Es sei dagegen problematisch, von diesesem Recht in provokativer Weise Gebrauch zu machen, da die Karikaturen in einem spezifischen politischen Kontext stünden: Sie stammten aus einem Land, in dem die Regierung von einer ausländerfeindlichen Partei mitgetragen werde.

Und auch der britische Kontext wurde in der Stellungnahme bemüht. Denn tags zuvor war in einem Verfahren wegen Anstiftung zum Hass gegen Muslime der Vorsitzende der rechtsradikalen British National Party (BNP), Nick Griffin, vorläufig freigesprochen worden. Er und ein zweiter Funktionär der BNP muss­ten sich wegen heimlich gefilmter anti-islamischer Hasstiraden verantworten. Griffin hatte den Islam als einen »bösartigen, gefährlichen Glauben« bezeichnet, der ein »schrecklicher, tödlicher Feind aller unserer fundamentalen Werte« sei. Ein Geschworenengericht in Leeds kam zu keiner eindeutigen Entscheidung, so dass die Männer zunächst nicht verurteilt wurden. Obwohl der Prozess noch einmal aufgerollt werden wird, feierten Griffin und seine Anhänger im Anschluss an das Verfahren triumphierend den »Sieg des Rechts auf Meinungs­freiheit«. Sie hätten schließlich bloß zum Ausdruck gebracht, was die »normal arbeitenden Menschen« in Großbritannien beschäftige, erklärten die Männer im Kreise von feiernden Unterstützern.

Das Recht, Meinungen zu äußern, die die Freiheit anderer un­tergraben, nutzten indes auch die muslimischen Demonstranten, die am Freitag vor zwei Wochen in London mit Plakaten wie »Schlach­tet diejenigen, die den Islam beleidigen«, »Eu­ropa wird bezahlen, Bin Laden ist unterwegs« sowie »Zur Hölle mit der Freiheit« vor die dänische Botschaft zogen. Diese erste Protestaktion in Großbritannien wurde von der islamistischen Organisation al-Ghuraba organisiert, einer Nachfolgeorganisation der im Sommer 2004 aufgelösten Extremistengruppe al-Muhajiroun des inzwischen in sein Geburtsland Syrien abgeschobenen britischen Fundamentalisten Omar Bakri.

Ein Sprecher der Gruppe erklärte, die Pla­kate seien Ausdruck der Heterogenität der De­mons­tranten, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machten. Ein Teilnehmer an der Demonstration erregte besondere Aufmerk­samkeit, weil er sich als Selbstmordattentäter verkleidete. Der 22jährige Omar Kayam wurde deswegen in der vorigen Woche verhaf­tet. Er war bereits im Jahr 2002 wegen des Besitzes von Crack verurteilt worden. Seine Bewährungsauflage, keine öffentliche Unruhe auszulösen, habe er nun gebrochen, er­klärte die Polizei. Außer Kayam ist allerdings bisher niemand verhaftet worden, was sowohl konservative als auch Labour-Po­litiker dazu bewegte, die Polizei zu einem härteren Vorgehen gegen die Islamisten aufzurufen.

Diese scheint sich allerdings zurückzuhalten und auf Selbstdisziplin innerhalb der muslimischen Verbände und Gruppen zu hoffen. Die umstrittene Demonstration vor der dänischen Botschaft wurde denn auch einhellig sowohl vom als moderat geltenden Rat der britischen Muslime (MCB) als auch von der radikaleren Hizb-al-Tahrir verurteilt. Der Sprecher der Hizb-al-Tah­rir, die derzeit unter Druck steht, da der Pre­mier­minister plant, die Organisation zu verbieten, erklärte, es sei falsch, sich auf das Niveau derjenigen hinabzulassen, die den Propheten beleidigten.

Einig sind sich die Verbände britischer Muslime indes in der Ablehnung der Karikaturen und in der Forderung nach einem besseren rechtlichen Schutz ihres Glaubens. Während eines Treffens von über 300 muslimischen Geistlichen aus England und Schottland in der vergangenen Woche wurden Änderungen im Presserecht sowie im Anti-Diskriminierungsgesetz gefordert. Die Forderungen zielen darauf, die Abbildung des Propheten Mohammed in britischen Medien zu verbieten sowie die Rechte religiöser Gruppen den Rechten von ethnischen Gruppen anzupassen. Muslime sollen dadurch in den Genuss des gleichen gesetzlichen Schutzes kommen wie Juden oder Sikhs.

Die Labour-Regierung arbeitet bereits seit dem Jahr 2001 an der Einführung eines Gesetzes, das die Anstiftung zum Hass auf Religionen auf eine Stufe mit Rassismus setzt. Doch dieses Vorhaben ist auf erhebliche Widerstände bei Verfechtern des säkularen Staates und Liberalen gestoßen, die wie die National Secular Society das Recht auf Blasphemie einfordern. Die Regierung erlitt Ende Januar eine vorläufige Niederlage, da die Mehrheit der Parlamentarier, da­runter auch 27 Labour-Abgeordnete, gegen den Regierungsentwurf und für eine libe­ralere Version aus dem Oberhaus stimmte. Das Gesetz, das nun der Königin zur Unterschrift vorliegt, halten muslimische Verbände wie der MCB nicht für ausreichend, es schreibe »eine ungerechtfertigte Hierarchie zwischen britischen Bürgern« fort, wie ein Sprecher erklärte. Der MCB hofft nun angesichts des Karikaturenstreits, dass die Debatte fortgesetzt wird. Mit einem neuen Dachverband, dem Muslim Action Committee (MAC), wollen mus­limische Gruppen »der Benachteiligung von muslimischen Gemeinschaften« entgegenwirken. Der MAC erwartet 20 000 bis 100 000 Muslime zu einer Demonstration gegen die Karikaturen in London am Samstag.

Der Sprecher des MAC, Sheikh Faiz Saddiqi, lobte die britischen Medien dafür, die Mohammed-Karikaturen nicht gedruckt zu haben. An­dere Stellungnahmen sind in muslimischen On­line-Foren oder beim Gespräch auf der Straße zu vernehmen. »Die Briten haben wegen des Irak-Kriegs ein Interesse an einer Verbesserung der politischen Beziehungen zu den Muslimen, deswegen werden die Karikaturen hier nicht gedruckt«, erklärt Amr, ein Ägypter, der in Großbritannien studiert, der Jungle World. Er glaube nicht an die Unabhängigkeit der westlichen Medien von ihren Regierungen. Das zeige schließlich auch Dänemark. »Die Zeitung hat sich entschuldigt, als plötzlich Exporteinbußen wegen des Boykotts drohten.«