Völkische Signale

Linke und rechte Gegner des katalanischen Autonomiestatuts streiten sich darüber, zu welchem »Volk« sie denn nun gehören. Am Samstag demonstrierten linke Gruppen für die »Selbstbestimmung Kataloniens«. von thorsten mense, barcelona

Der Streit um das Autonomiestatut Katalo­niens nimmt kein Ende. Es wird immer wahrscheinlicher, dass nun daran die Regierungskoalition in Katalonien zerbricht, da sich die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) weiterhin weigert, die veränderte Fassung zu akzeptieren. Der Vorsitzende der ERC, Josep Lluis Carod-Rovira, betonte erneut seine »Trauer und große Enttäuschung« über die Einigung der Regierungspartei mit den katalanischen konserva­tiven Nationalisten hinsichtlich der Landesver­fassung (Jungle World, 05/06). Sie hätten den »de­mokratischen Traum« beendet, Katalonien endlich als eine Nation anzuerkennen. Die ERC überlegt nun, ans Verfassungsgericht zu appellieren. Die oppositionelle Volkspartei PP hin­gegen will nicht akzeptieren, dass in dem Statut weiterhin die Rede von »na­tionalen« anstelle von »ka­talanischen« Symbolen ist, zum Beispiel in Hinblick auf die Fahne oder die Sprache. So sammelt der PP derzeit eifrig Unterschriften, um in einem landesweiten Referendum abstimmen zu lassen, ob Spanien »die einzige Nation« sei. Nach eigenen Angaben haben in weniger als einer Woche bereits über 800 000 Spanier den Aufruf unterzeichnet.

Die Diskussion nimmt bisweilen absurde Züge an. Linke katalanische Gruppen und die spanische Rechte wollen ihre jeweilige »nationale Identität« verteidigen und werfen dabei gleichermaßen mit völkischem Gedankengut um sich.

Unter dem Motto »Wir sind eine Nation!« rief die linke »Kampagne für Selbstbestimmung« zu ­einer Demonstration am Samstag in der Innenstadt Barcelonas auf. Trotz »internationaler« Unterstützung aus Andalusien, Galizien und dem Baskenland fanden sich nur 4 000 Personen ein, die mit unzähligen Flaggen und viel Folklore durch die Hauptstadt Kataloniens zogen. Die Teilnehmer lehnen das »Sta­tut der Bourgeoisie« sowie grundsätzlich jegliche Reformen der spanischen Regierung ab, da Spanien »von Geburt an ein antidemokratischer Staat« sei, wie der Sprecher der Kampagne, Xavier Monje, erklärte. Außerdem sei das Statut »inakzeptabel, da es nicht die gesamte katalanische Sprachregion anerkenne«, womit er sich auf den französischen Teil Kataloniens bezog.

Der linke Charakter der Demonstration war lediglich an der Kleidung der jungen Teilnehmer zu erkennen: Neben Hammer und Sichel waren auch vereinzelt Antifa-Aufnäher zu sehen. Die zumeist aus dem außerparlamentarischen Spektrum kommenden Demonstranten skandierten: »Es lebe Katalonien!« und betonten das »grundlegende Recht« aller Völker auf Selbstbestimmung. Nur in der Assoziation der freien und unabhängigen Völker sei eine sozialistische Welt ohne Grenzen möglich, wie die Gruppe Internationalistischer Kampf in einem Flugblatt erklärte.

Wohin solch eine Argumentation führen kann, die auf das »Volk« und die Nation baut, konnte man auf dem Europäischen Sozialforum 2003 in Pa­ris beobachten. Die baskische Partei Batasuna forderte dort an ihrem Stand ein »Europa der Völker«, auf der dazugehörigen Euro­pakarte waren unter anderem die Schweiz, Österreich und das Elsass nicht mehr zu finden. Dafür war ein großdeutsches Reich eingezeichnet, das selbst die NPD zu Tränen gerührt hätte. In erster Linie gilt die Solidarität aber den anderen »unfreien Nationen« in Spanien, wobei die regionalen Konflikte nicht einfach zu vergleichen sind.

Im Baskenland zum Beispiel ist die linke Szene wegen des Konflikts ständiger Repression ausgesetzt, der staatliche Kampf gegen die Eta richtet sich auch gegen Antifaschisten und andere Linke. In Katalonien ist dies nicht der Fall, da mit dem Ende des Franco-Regimes auch die militante Praxis der katalanischen Linksnationalisten ihr Ende gefunden hatte.

»Unfrei« fühlen sich viele Katalanen jedoch noch immer. Als Beweis der fort­laufenden Unterdrückung wird meist die katalanische Sprache ins Spiel gebracht. »Hier wird die katalanische Spra­che dis­kriminiert«, steht auf Aufklebern, die man derzeit auf etlichen Werbetafeln und Speisekarten in den Straßen von Barcelona finden kann. Dabei ist Katalanisch längst offizielle Amtssprache, jedoch eben gleichberechtigt mit Castellano.

Der Nationalismus zieht sich durch alle politischen Diskurse in Spanien, insbesondere die Linke landet immer wieder bei dem Thema. Eines der Hauptargumen­te linker Gruppen gegen die EU-Verfassung lautet beispielsweise, dass diese die »Na­tionen ohne Staaten« – zu denen unter anderem das Baskenland und Katalonien gezählt werden – nicht anerkenne.

Linke Nationalisten verknüpfen dabei die Forderung nach Unabhängigkeit mit der Einführung des Sozialismus in Katalonien. Solange das mit dem Sozialismus noch utopisch erscheint, gibt man sich aber auch gerne erst mal nur mit der »independencia« zufrieden. Im Manifest der »Kampagne für Selbstbestimmung« kommt das Wort Sozialismus gar nicht mehr vor, dafür ist von dem »Statut der herrschenden Klassen« die Rede. Wenn die Forderung nach Selbstbestimmung mit der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Volk begründet wird und Autonomie nicht für alle Individuen gefordert wird, hat das nichts mit Emanzipation zu tun. Noch deutlicher wird dies im Aufruf für die nächste Demonstration gegen das Statut, die bereits am kommenden Samstag stattfinden wird. Diesmal von der ERC organisiert, geht es erneut um das »Recht auf Selbstbestimmung«, um eine Politik im Sinne der »Wünsche und Bedürfnisse des katalanischen Volkes«. Hierbei geht es aber nicht um eine generelle Ablehnung des Statuts, sondern um die Beibehaltung der ersten Version und insbesondere um die Anerkennung von Katalonien als Nation. Aus diesem Grund werden sich zu der Demonstration voraussichtlich mehr Menschen einfinden als am vergangenen Samstag. Bei den mittlerweile über 400 unterstützenden Gruppen sind auch viele aus dem bürgerlichen bis hin zum rechten Spek­trum vertreten. Für das übergeordnete Ziel scheinen solche Bündnisse viele Linke nicht zu stören. Oder noch schlimmer, man will die inhaltlichen Gemeinsamkeiten nicht sehen.

Kritik aus den eigenen Reihen, wie zum Beispiel wegen der Teilnahme der rechten Nationa­listen Unitat National Calatana an der Demonstration, stößt daher auf Unverständnis. Links und Rechts sind hier einmal mehr zu Katego­rien ohne Aussagekraft geworden.