Knast für 62 Euro am Tag

Im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick kam es in der vergangenen Woche zu einer Revolte. Nach dem Suizidversuch eines Häftlings verbarrikadierten sich die Insassen in ihrem Stockwerk. von martin kröger

Erstaunt blickt die Familie Aydin auf das Geschehen. Rund 350 Demonstranten haben sich direkt vor den türkischen Migranten versammelt, um sich solidarisch mit den Abschiebehäftlingen zu zeigen und gegen die haarsträubenden Zustände in dem ehemaligen Frauenknast der DDR zu protestieren. Das Gefängnis ist von der Polizei mit Sperrgittern abgeriegelt worden, scharfe Hunde wachen darüber, dass kein Demonstrant den mit Stacheldraht gesäumten Mauern zu nahe kommt.

Die Aydins aus dem Berliner Stadtteil Wedding, drei Brüder und zwei Schwestern, sind am Samstag nur zufällig in die antirassistische Demonstration vor dem Gefängnis geraten. »Wir sind hier«, erzählt Ilker Aydin, »weil sie vor ein paar Tagen unseren Bruder dort eingesperrt haben.« Der stämmige 35jährige mit Baseballcap ist völlig konsterniert. Nicht nur, dass der Bruder kurz zuvor während der Besuchszeit von Selbstverletzungen anderer Gefangener berichtet hat. Zudem habe in der vergangenen Woche ein Mazedonier versucht, sich das Leben zu nehmen. Genaues wusste der kleine Bruder, der seit über 13 Jahren in Deutschland lebt, jedoch nicht.

»Für jeden Tag, den unser Bruder im Knast sitzt, soll er 62 Euro bezahlen«, klagt Ilker Aydin. Die Rechnung für den Aufent­halt im Knast präsentierten die zustän­digen Behörden am Montag der vorigen Woche auch einem 63jährigen Mazedonier. Rund 1 800 Euro seien ihm bereits bei seiner Inhaftierung abgenommen worden, erzählte der Seelsorger des Gefängnisses der taz. Diese sollten dann mit den anfallenden Kosten für den Aufenthalt in Grünau verrechnet werden. 62 Euro pro Tag. Dazu kommen die Kosten für die Abschiebung. Offenbar aus purer Verzweiflung versuchte der Mazedonier daraufhin, sich auf der Toilette zu erhängen. Das Wachpersonal fand ihn gerade noch rechtzeitig. Schon vorher soll der Mann unter schwe­ren Depressionen gelitten haben.

Unter den Mitgefangenen löste der Vorfall einen Aufstand aus. In der Nacht zum Diens­tag voriger Woche versuchten die Inhaftierten, mit einem Hungerstreik zu protestieren. Am Dienstagabend verbarrikadierten sich einige Insassen in ihrer Etage und steckten Matratzen in Brand. Mehr als 100 Häft­linge mussten nach der Revolte wegen der extremen Rauchgasentwicklung verlegt wer­den.

»Wir können derzeit noch nicht genau sagen, wie es innerhalb der Mauern aussieht«, sagt Claudia Körner von der Berliner Initiative gegen Abschiebehaft. Seit Jahren besuchen Mitglieder der Initiative Gefangene und versorgen sie mit Notwendigem und juristischen Informationen für die quasi Rechtlosen, deren einziges Vergehen es ist, sich ohne Papiere in diesem Land aufzuhalten.

Bereits während des Winters habe sich die Lage in Grünau wieder einmal verschärft, meint Körner. Außerdem habe die Initiative beobachtet, dass derzeit vor allem Personen aus Osteuropa inhaftiert seien. »Leute, bei denen sie sicher sind, dass sie auch wirklich abgeschoben werden können.« Um auf die deprimierende Lage dieser Menschen aufmerksam zu machen und ihre Freilassung zu fordern, beteiligte sich die Initiative auch an der Demonstration am Samstag, zu der eine antifaschistische Gruppe aufgerufen hatte. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit ziehen die Demonstranten von dannen. Zurück bleiben die Aydins. »Das hier ist doch keine Menschlichkeit«, schimpfen sie.