Rettet die Trinkhalle!

Der Berliner Bergmannkiez entdeckt ein »historisches Kleinod« und macht gegen ein geplantes Ärztezentrum mobil. von markus ströhlein

Läuft man dieser Tage durch die Bergmannstraße in Kreuzberg, muss man sie entdecken, diese eigenartigen Plakate. In großer Zahl hängen sie an den Wänden, von Unbekannten eilig mit braunem Paketklebeband befestigt. Auf den Plakaten ist in verschwommenem Grau eine Häuserzeile in der Bergmannstraße zu sehen, in die ein Fremdkörper hineinmontiert ist. Wer als Kind »Donald Duck« ge­lesen hat, kann ihn leicht identifizieren: Es ist eindeutig Dagobert Ducks Geldspeicher, den aber statt des Dollarzeichens das des Euro ziert.

Über dem Bildchen steht der Slogan: »Keinen Klotz im Kiez!« Glaubt man dem Text neben der Fotomontage, steht es schlimm um die Bergmannstraße. »Für die Bewohner des Kiezes wird ein Albtraum wahr«, erfährt der Leser. Die »beliebte Kreuzberger Flaniermeile« sei von einem »Mammutprojekt« bedroht, das die idyllische Gegend anscheinend in Konflikte ungekannten Ausmaßes stürzen wird: »Profit gegen Kultur, Discounter gegen Markthalle, Autos gegen Fußgänger, Betonklotz gegen gewachsene Strukturen«.

Der Anlass für die Aufregung ist weniger spektakulär. Ein Investor möchte für 30 Millionen Euro auf einem 6 000 Quadrat­meter großen Areal ein Ärzte- und Gesund­heitszentrum errichten. Zwei Supermärkte und eine Tiefgarage sind ebenfalls für den Komplex vorgesehen.

Der grüne Baustadtrat Franz Schulz findet das Vorhaben natürlich großartig. Er freut sich auf die Einnahmen aus der Gewerbesteuer und über 250 neue Arbeitsplätze. Außerdem sei es für die Anwohner ein toller »Synergieeffekt«, Ärzte aller Fach­richtungen an einem Ort zu versammeln. Schließlich würden ja alle mal krank. Stellen Sie sich nur vor, Sie verstauchen sich den Fuß und haben gleichzeitig die Grippe. Welche Erleichterung, nicht mehr so weit von einer Praxis zur anderen humpeln zu müssen!

Dass das Zentrum nur zum Besten der Anwohner gebaut wird, wollen die nicht so recht glauben. An Ärzten und Geschäften mangele es nicht, sagen sie. Zwei Jahre sollen die Arbeiten an dem Komplex dauern. Das hieße, zwei Jahre lang Zementstaub zu schlucken und zu den unmöglichsten Zeiten vom Klopfen und Hämmern der Handwerker geweckt zu werden.

Auch in der Frage, wie sich das Verkehrsaufkommen entwickeln wird, wenn das Ärztehaus fertig ist, sind sich der Investor und die Anwohner uneins. Der Bauherr in spe behauptet, alles bleibe beim Alten. Ein alternatives Gutachten, das ein Mieterladen aus dem Kiez anfertigen ließ, prophezeit mehr Verkehr und von rückwärts rangierenden Lastern überrollte Fahrradfahrer in nicht geringer Zahl. Die Einzelhänd­ler und Ärzte in der Umgebung fürchten natürlich die Konkurrenz. Einige Ärzte haben sich deshalb be­reits dazu entschlossen, in das Zentrum umzuziehen.

Doch den Anwohnern geht es nicht nur um die Lärm- und Verkehrsentwicklung. Ihnen geht es um Höheres, um die Rettung der »Kiezkultur« und der »über lange Jahre gewachsenen Strukturen«. So haben die Gegner des Neubaus ein »historisches Kleinod« in ihr Herz geschlossen, das viele bis vor kurzem wahrscheinlich nicht einmal kannten. Die Ende des 19. Jahrhunderts erbaute, zurzeit nicht genutzte »Habelsche Trinkhalle« müsste im Zuge der Baumaßnahmen abgerissen werden. Und überhaupt passe der »zum Gähnen langweilige Klotz aus Beton und Glas« nicht zu den Häusern aus der Gründerzeit.

Ob das Ärztezentrum überhaupt gebaut wird, entscheidet die Bezirksverordnetenversammlung an diesem Mittwoch. Bis dahin will der Investor einen verbesserten Finanzierungsplan nachreichen. Wird der Plan abgesegnet, können die Bauarbeiten an dem »Klotz«, der in der Fan­tasie der Gegner aussieht wie Onkel Dagoberts Geldspeicher, bereits im März beginnen. Dann müssen die Anwohner wohl die Panzerknacker zu Rate ziehen.