Zwei Herzen in der Zwergenbrust

Der Regierungschef von Montenegro will mit Hilfe eines Referendums die Unabhängigkeit von Serbien durchsetzen. Vielen Montenegrinern gefällt das gar nicht. von boris kanzleiter, belgrad

Oft waren es nur Drohungen und Theaterdonner – jetzt scheint es ernst zu werden. Montenegros Regierungschef Milo Djukanovic lässt keine Zweifel mehr daran, dass in den kommenden Monaten ein Referendum über die Unabhängigkeit der Teilrepublik des Staatenbundes Serbien und Montenegro stattfinden wird. Die Entscheidung über den Termin und den Modus des Referendums soll voraussichtlich bereits am kommenden Samstag auf einer Sondersitzung des Parlaments gefällt werden. Damit hat Djukanovic einen Konfrontationskurs eingeschlagen, der seine Regierung in Konflikte mit dem Nachbarland Serbien und einem großen Teil der Bevölkerung in Montenegro selbst bringt.

Der Hauptstreitpunkt in der etwas über 600 000 Einwohner zählenden Zwergrepublik an der Adriaküste ist nicht so sehr die Frage eines Referendums, sondern die Frage, unter welchen Bedingungen es stattfinden soll. Umstritten ist dabei vor allem, wie viele Wähler letztlich für die Unabhängigkeit stimmen müssen, damit das Referendum als erfolgreich gelten kann. Die Re­gie­rungs­­koa­li­tion unter Djukanovics Demokratischer Partei der Sozialisten (DPS) hält es für ausreichend, wenn mindestens 41 Prozent aller Wahlberechtigten für die Un­abhängigkeit stimmen. Die Koalition der Gegner der Unabhängigkeit unter Führung der Sozialistischen Volkspartei (SNP) fordert dagegen kategorisch, dass mindestens 50 Prozent aller Wahlberechtigten der Unabhängigkeit ihren Segen geben müssten.

Diese Position wird auch von der serbischen Regierung geteilt. Ein Kompromissvorschlag kommt von der Europäischen Union. Deren Abgesandter, der slowakische Diplomat Miroslav Lajcak, übermittelte vergangene Woche den Vorschlag, dass bei einer Mindestwahlbeteiligung von 50 Prozent mindestens 55 Prozent aller abgegebenen Stimmen für die Unabhängigkeit votieren müssten, damit das Referendum von der EU anerkannt würde.

Hinter der komplizierten Arithmetik, um die seit Monaten mit wachsender Verbitterung gerungen wird, verbirgt sich das Hauptproblem des Konfliktes. Trotz der beharrlichen Versuche der Unabhängigkeitsbewegung, eine eigenständige na­tio­na­le Identität zu schaffen, ist die Bevölkerung Montenegros in zwei fast gleich große Teile gespalten. Konn­ten bei der Sezession der übrigen ehemaligen jugos­lawischen Republiken bestimmte sprachliche, religiöse und historische Eigenheiten als Vorbilder neu­er ethnischer Nationalstaatsideen aktiviert werden, fällt dies montenegrinischen Nationalisten außerordentlich schwer. Die meisten Montenegriner sind wie die meisten Serben orthodoxe Christen. Eine eigenständige Nationalsprache existiert nur in der Phantasie einiger Linguisten. Viele Montenegriner betrachten sich selbst zugleich auch als Serben. Nach Meinungsumfragen würden derzeit nur etwa 55 Prozent der Bevölkerung die Unabhängigkeit bevorzugen, während sich immerhin 45 Prozent dagegen aussprechen.

Hintergrund des Referendums sind denn auch eher machtpolitische Fragen als ethnisierte Konflikte. Sowohl Djukanovic als auch der wichtigste Anführer der Unabhängigkeitsgegner, Predrag Bulatovic von der SNP, kommen aus dem im Jahr 1990 aufgelösten Bund der Kommunisten Jugoslawiens. Zur Spaltung in DPS und SNP kam es im Jahr 1997, als sich Djukanovic, unterstützt vom Westen, mit dem schwächelnden starken Mann in Belgrad, dem Staatspräsidenten Slobodan Milosevic, überwarf und das Land auf Unabhängigkeitskurs brachte. Seitdem ist die gegen Ser­bien gerichtete Mobilisierung der Bevölkerung das politische Medium, mit dem Djukanovic seine von heftigen Korruptionsvorwürfen und zahlreichen Affären überschattete Herrschaft Jahr um Jahr verlängert.