Dancing in the Street

Kämpfe in Nigeria von ruben eberlein

Fast 150 Menschen sind im Laufe der vergangenen Woche bei religiös aufgeladenen Ausschreitungen in Nigeria getötet worden. Nach­dem in den Städten Maiduguri, Bauchi und Katsina im Norden des Landes Jagd auf Christen gemacht und Kirchen niedergebrannt wurden, suchte im überwiegend christlichen Süden der Mob »Vergeltung« und ermordete Muslime. Doch die seit zwei Jahren schwersten interkommunalen Kämpfe in Nigeria sollten nicht als Folge des Streits um die dänischen Mohammed-Karikaturen missverstanden werden.

Im kommenden Jahr steht in dem westafrikanischen Land ein Wahlmarathon an. Um die einträglichen Posten des Petrostaats, der vor allem als riesige Maschine zur privaten Aneignung der Erdölrenten fungiert, konkurrieren seit Monaten polyglotte politische Unternehmer, die durch ethno-regionale und religiöse Ideologien ihre Klientel mobilisieren. Nach jungen Männern, die mit Knüppeln durch die heruntergekommenen Viertel der nigerianischen Städte ziehen, braucht man angesichts der sozialen Misere nicht lange zu suchen. Der Wahlkampf bietet ihnen außerdem die seltene Gelegenheit, mit dem so genannten dancing in the street, der Unterstützung für aussichtsreiche Kandidaten, wenigstens für einige Monate an der Verteilung der Ölrente teilzuhaben.

Derzeit finden in sechs Städten Nigerias, unter ihnen Katsina und Maiduguri, umstrittene Anhörungen über eine Reihe von Ver­fassungsänderungen statt. Unter anderem steht eine Verlängerung der möglichen Amtszeit von gewählten Repräsentanten zur Diskussion.

Die meisten Gouverneure in den Bundesstaaten sind angetan von dieser Idee, könnten sie doch noch einmal zur Wahl antreten. Als Preis winkt aber auch die Präsidentschaft. Atiku Abubakar, dem Stellvertreter des Amtsinhabers Olusegun Obasanjo, werden Ambitionen auf das höchste Staatsamt nachgesagt. Abubakar gilt als Vertreter der muslimischen Oligarchie des Nordens. Obasanjo, ein christlicher Yoruba aus dem Süden, hat sich bisher nicht eindeutig zur Mandatsverlängerung und seinen Vorhaben geäußert.

Vertreter sowohl von muslimischen als auch christlichen Verbänden in Nigeria machten die Diskussion um eine Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten für die Gewaltexzesse verantwortlich. »Die Lage ist gespannt, weil jeder mit den Gerüchten über eine dritte Amtszeit gefüttert wurde. Niemand hat sie bisher dementiert oder bestätigt. Die angestaute Spannung findet nun ihren Ausdruck in diesen gewalttätigen Ausbrüchen«, kommentierte der Vorsitzende der Versammlung der Muslime Nigerias. Ein NGO-Aktivist aus Kano im Norden des Landes berichtet der Jungle World: »Alle politischen Aktivitäten sind zum Stillstand gekommen. Jeder wartet nun auf das Ergebnis der Diskussionen um die Verfassungsänderungen.«

Als »Instrumentalisierung der Unordnung« beschrieben die Politikwissenschaftler Patrick Chabal und Jean-Pascal Daloz in ihrem Buch »Africa Works« eine der zentralen Herrschaftstechniken in einer Reihe von afrikanischen Ländern. Obasanjos Schweigen zu den Aktivitäten seiner Unterstützer ist ein klassisches Beispiel für die Instrumentalisierung von selbst erzeugter sozialer Unordnung. Die Herstellung gesellschaftlicher Instabilität, mit dem Ziel, sich den Wählern und der internationalen Diplomatie als einzige Alternative zu Chaos und Gewalt präsentieren zu können, zieht sich als lange Konstante durch die postkoloniale Geschichte Nigerias.

Klare Worte des Westens, die Menschenrechtsaktivisten in Nigeria bereits vor drei Jahren vergeblich gefordert hatten, sind auch jetzt nicht zu erwarten.