Flexible Brötchen

Verschuldete Privathaushalte

Da wir nun alle kleine Unternehmer sind, müssen wir die Vorteile dieses Standes nutzen. Sie bestehen darin, von der Arbeit anderer zu leben und Geld auszugeben, das man nicht hat.

Die Lebensgefährtin ist als Mini-Jobberin eingestellt, die gemeinsame Tochter hat als Franchisegeberin ihren Kinder-Flohmarkt ins Unternehmen eingebracht, ein Existenzgründerzuschuss nach Paragraph 421 ist beantragt, jedoch sind Firmenwagen, Firmenkleidung und Firmenkantine noch unterfinanziert. Seltsamerweise will keine Bank die Geschäftsidee unterstützen, einen brotlosen Beruf in eine Flexible Brötchen GmbH & Co. KG umzuwandeln, aber immerhin hat sich die Kredithai AG großzügig gezeigt, außerdem ist der Dispo im ersten Monat noch nicht ganz ausgeschöpft. Im zweiten allerdings wird die geduldete Überziehung nicht länger geduldet, und die Zinsforderungen liegen rasch höher als die Milchmädchenrechnung.

Das sind selbstverständlich nur die üblichen Startprobleme, passenderweise begleitet vom stotternden Motor des noch nicht abgestotterten Firmenwagens. Doch nun leert sich das Gefrierfach, und bald schon muss die Kantine aus logistischen Gründen geschlossen werden. Wir stehen vor einem Problem, das im Liquiditätsplan nicht vorgesehen war. Mama hat gerade kein Geld übrig, weil sie sich mit einem Nagelstudio selbständig macht, und die Freunde versuchen als Gastropromoter und Messehostessen ihr Glück. Zu allem Überdruss zieht sich die einzige Angestellte samt Franchisegeberin aus dem viel versprechenden Unternehmen zurück und nimmt den stotternden Wagen mit.

Das klingt alles nicht nur sehr bekannt, so geht es Hunderttausenden. Mehr als drei Millionen überschuldeter Haushalte gibt es im Land, mehr als je zuvor, wie der gerade veröffentlichte Schuldenreport berichtet. Allerdings geben nur zwischen 16 (Osten) und 20 Prozent (Westen) als Grund für ihre Misere »gescheiterte Selbständigkeit« an. Aber schlagen wir doch die 23 Prozent Verarmungen (West) aufgrund von Trennung und Scheidung einfach drauf. Denn auch einberechnet, dass manche Trennung nichts als Diversifizierung ist und die meisten Töchter lediglich deshalb von zu Hause weggehen, um ein Tochterunternehmen zu gründen, sieht man doch an unserm Beispiel, dass die scheidenden Teilhaber Kapital (hier den Gebrauchtwagen) aus dem Unternehmen ziehen, und das schmerzt.

Und was sind Überschuldungen infolge von Arbeitslosigkeit (46 Prozent im Osten) anderes als Insolvenzen und Konkurse? Mancher Bankrott liegt im Unwissen des Bankrotteurs darüber begründet, ein Unternehmen geführt zu haben. Der Steuermann, dem niemand gesagt hat, dass er einer ist, wird nicht steuern. Also läuft das Schiff auf Grund. Hier sollten wir von latentem Kapitalismus oder simulierter Unselbständigkeit sprechen. »Aber ich war doch bei Dietmar Ausbeuter & Kumpel fest angestellt!« – Das sind Nachtgesichte, mein Sohn, ich aber sage dir: Wer sich an der Quelle sieht, wird outgesourct, und wer sich für einen Angestellten hält, wird abgestellt. »Aber, Vater, ich will mich doch nur nähren von meiner Hände Arbeit.« – Öffne deine Hände, mein Sohn, und schau, was darin liegt. Nichts? Dann bist du ein Existenzgründer ohne Businessplan.

Der Gerechtigkeit halber sei hinzugefügt, dass eher ein Kamel in den Aufsichtsrat kommt, bevor ein Großunternehmer an Schulden scheitert. Dass wir Konkurs anmelden müssen, liegt also durchaus nicht nur an fehlenden Talenten oder am fehlenden Talent, sondern daran, dass wir stets am falschen Ort das Falsche tun.

stefan ripplinger