Beschweren Sie sich!

Das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg ist vollauf beschäftigt mit den Klagen von sechs Ein-Euro-Jobbern. von christoph villinger

Detektivische Fähigkeiten werden Bernd Wagner derzeit abverlangt. Der Vertreter des Erwerbslosenausschusses von Verdi im Beirat des Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg hat 21 Fragen formuliert, auf die er Antworten verlangt. Insbesondere gilt es, die Verbindungen zwischen Mitarbeitern der Behörde, einem Verein, der Ein-Euro-Jobs anbietet, sowie den politisch Verantwortlichen zu eruieren. Denn sie alle sind verwickelt in eine desaströse Berliner Geschichte um Ein-Euro-Jobs.

Ursprünglich sollten 50 erwerbslose Geisteswissenschaftler, Redakteure und Fotografen neun Monate lang die »Biografien von Senioren und Migranten mit historischer Relevanz festhalten« und veröffentlichen. Dafür bewilligte das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg im August vorigen Jahres dem Trägerverein Yopic zusätzlich zu den Mehraufwandsentschädigungen »Regiegelder« von etwa 112 500 Euro. »Weder ausreichend Computer und Drucker noch Aufnahmegeräte wurden uns zur Verfügung gestellt«, erinnert sich der Geisteswissenschaftler Boris Talheimer *. Stattdessen hieß es, man könne die Aussagen auch mitschreiben oder Gedächtnisprotokolle anfertigen. Mit der Zeit geriet die geplante Veröffentlichung ebenso aus dem Blick wie die gesetzlich vorgeschriebenen Qualifizierungen für die Ein-Euro-Jobber.

Als schließlich die »Betreuung von Senio­ren« zum Inhalt des Projekts wurde, platzte den Ein-Euro-Jobbern der Kragen. Nach erfolglosen Beschwerden beim Jobcenter erhielten Anfang Januar mehrere Bundesbehörden Be­schwer­de­briefe, darunter die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Mittlerweile befasst sich eine Mitarbeiterin des Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg, wie sie sagt, »fast nur noch mit dem Fall«. Der Vorladung etlicher Teilnehmer der Maßnahme zu Einzelgesprächen folg­te vor kurzem eine Krisensitzung im Jobcenter, die aber ohne konkretes Ergebnis blieb.

In ihrem mehrseitigen Beschwerdebrief erheben die Ein-Euro-Jobber schwere Vorwürfe gegen den Trägerverein, Yopic. Der wird geleitet von Doris Habermann, die unter der Telefonnummer des Vereins auch die Weiterbildungs- und Beratungsfirma Kom­bi Consult GmbH sowie den Kreuzberger Tourismusverein »Multi-Kult-Tours« betreibt. »Kon­kret ist in fünf Monaten von den 50 MitarbeiterInnen unseres Projekts ›Geschichtswerkstatt‹ gerade ein Flyer fertig gestellt worden, weil alle unsere Planungen ohne Begründung verworfen wurden«, sagt Anna Bergmann *.

Auf die Vorwürfe will Doris Habermann auf Nachfrage nicht eingehen, zeigt aber Verständnis für die Teilnehmer. »Da sind einige dabei, die haben sogar promoviert und sind nun arbeitslos, das frustriert natürlich.« Wie es kam, dass die Ein-Euro-Jobber plötzlich als Altenpfleger tätig werden sollten, beschreibt sie so: »Idee dieses Projekts ist es, mit älteren Menschen einfache Gespräche zu führen, sie aus ihrem Leben erzählen lassen und damit eine soziale Beziehung aufzubauen.« Netterweise könne man auch mal was für sie einkaufen; »eine kleine Broschüre ist dabei nur als Beiprodukt angedacht«. Was dieses Konzept mit einer »Geschichtswerkstatt« zu tun hat, bleibt ihr Geheimnis.

Auch will sie nicht verraten, woher sie die Namen der Unterzeichner der Beschwerdebriefe kennt, die sie deswegen vorlud und abmahnte. Kreuzberg sei »eben ein Dorf, da bleibt kein Name geheim«. Die Betroffenen vermuten inzwischen, dass einer der Bezirksstadträte plauderte, und reichten eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein.

Die Verantwortlichen im Trägerverein, im Jobcenter und in der Politik beantworteten bisher keine der 21 Fragen Bernd Wagners. Stattdessen vergatterten sie alle Mitglieder des Beirats zur Vertraulichkeit.

*Namen von der Redaktion verändert