Der Geldhahn tröpfelt

Die von der EU beschlossenen Finanzhilfen fließen noch nicht der Hamas direkt zu, stärken die Terrororganisation aber politisch. von andré anchuelo

Kein anderer Geldgeber tut so viel wie wir, um die geschäftsführende Regierung zu unterstützen.« Benita Ferrero-Waldner, die österreichische Außenkommissarin der Europäischen Union, übertrieb nicht, als sie die Anfang voriger Woche beschlossenen Hilfen der EU für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) rühm­te. Die Europäische Kommission stellte mehr als 120 Millionen Euro einer Institution zur Verfügung, deren Ministerpräsident Ismail Hani­yah die islamistische Hamas repräsentiert. Eine Gruppe, die auch der EU als »terroristische Organisa­tion« gilt.

Ein Teil des Geldes, 40 Millionen Euro, soll an die Lieferanten – zumeist israelische Firmen – von Strom, sonstiger Energie und Wasser fließen. 64 Millionen Euro gehen an die Gesundheits- und Bildungseinrichtungen des Palästinahilfswerks der Ver­einten Nationen, UNRWA. Weitere 17,5 Millionen Euro sollen direkt dem palästinensischen Haus­halt zukommen. »Dieses heute von uns präsentierte 120 Millionen Euro-Paket ist ein sehr erheb­licher Beitrag, der mithilft, die Not zu verringern und die fi­nanziellen Belastungen der geschäftsführenden Regierung abzuschwächen«, behauptete Ferrero-Waldner.

Dazu gab es allerdings auch Widerspruch. So kritisierte etwa die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin in einem Beitrag für das Magazin Focus: »Ich halte die Entscheidung der EU für falsch, ihre finanzielle Hilfe für die Autonomiebehörde trotz der anstehenden Regierungs­übernahme durch die Hamas fortzusetzen. Die EU gibt mit diesen Zahlungen in Höhe von 121,5 Millionen Euro nämlich ihr letztes Druckmittel in der Region aus der Hand.«

Ähnlich sieht es die israelische Regierung. Sie stellte bereits Mitte Februar die Weiterleitung von Zoll- und Steuereinnahmen an die PA ein (Jungle World, 8/06). Die nun beschlossenen Zahlungen der EU würden zwangsläufig auch an palästinensische Terroristen gehen, die an der Zerstörung Israels arbeiten, meint die Regierung in Jerusalem. »Wenn man einer Terrororganisation Geld gibt, geht es in die falsche Richtung«, kritisierte Israels Außenministerin Tzipi Livni während einer ausgedehnten Reise durch mehrere europäische Hauptstädte. Israels Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, räumte ergänzend ein, dass die Entscheidung der EU zwar nicht von den Grundsätzen der Nahost-Vermittler (USA, UN, EU und Russland) abweiche, warnte aber zugleich, dass damit keine Aufweichung bisheriger Positionen verbunden sein dürfe.

Offiziell herrscht Uneinigkeit zwischen der EU und der israelischen Regierung, ob das jetzt zugesagte Geld bereits die Unterstützung der künftigen Hamas-Regierung bedeute oder lediglich den Kollaps der PA verhindere, deren Präsident weiterhin der Vorsitzende der Fatah, Mah­moud Abbas, ist. Offenbar geht es der EU vor allem darum, Wege zu finden, die PA weiterhin zu fördern und Kontakte zur neuen Regierung zu knüpfen, ohne offen die Hamas zu unterstützen.

Nicht umsonst begrüßte etwa Frankreichs Premierminister Dominique de Ville­pin Mitte Februar Russlands Ein­ladung der Hamas zu Gesprächen nach Moskau. Am Freitag war es dann so weit. Eine hochrangige Hamas-Delegation unter Leitung des Politbüro-Vorsitzenden Khaled Meshaal landete in Moskau und traf mehrere russische Parlamentarier und Regierungspolitiker, darunter Außen­minister Sergej Lawrow. Wie die Nach­rich­tenagentur Reuters berichtete, kri­tisierten tschetschenische Rebellen die Hamas deswegen als machthungrige Gruppe, die nicht nur ihre eigenen Prinzipien aufgegeben, sondern auch ihren Segen für den »Mord am tschetschenischen Volk« erteilt habe.

Substanzielles dürfte bei dem Treffen allerdings nicht herausgekommen sein. Während die russische Regierung schon vorher verlauten ließ, sie wolle die Hamas überzeugen, der Gewalt abzuschwören und Israels Existenzrecht anzuerkennen, kamen von der Hamas ganz andere Äußerungen. Das »Thema Anerkennung Israel ist kein Gegenstand der Diskussion«, stellte der ranghohe Hamas-Vertreter Muhammad Nzal unmittelbar nach seiner Ankunft in Moskau klar. Meshaal betonte allerdings, die Gespräche in Moskau seien ein wichtiger Schritt.

Zusammengenommen bedeuten die Finanzzusagen der EU und das Treffen in Moskau bereits erhebliche Rückschläge für die israelische Strategie. Israel wirbt seit dem Wahlsieg der Hamas Ende Januar dafür, die Organisation finanziell und diplomatisch zu isolieren. Die Europäer hingegen spielen auf Zeit. So sagte etwa Deutschlands Außenminister Frank-Walter Stein­meier, die Situation im Nahen Osten sei »wenig durchschaubar« und die EU sei noch nicht in der Lage zu beurteilen, ob es in der Hamas einen Diskussionsprozess gebe, der dazu führen könne, dass die gestellten Bedingungen akzeptiert werden. Dabei erzählt die Hamas jedem, der es wissen will, und – zum Leidwesen der Europäer – auch jedem, der es lieber nicht so genau wissen möchte, dass sie keineswegs vorhat, die Waffen niederzulegen und Israel anzuerkennen.

Was allerdings passieren soll, wenn die Terror­organisation in wenigen Wochen vollständig die Regierungsgewalt übernimmt, scheint in der Europäischen Union keiner so genau zu wissen. Bislang gab es zu dem Thema weder offizielle noch informelle Äußerungen. Abstrakt verweist man auf die gestellten Bedingungen, von denen bereits jetzt klar ist, dass sie nicht erfüllt werden dürften. Gleichzeitig wird immer wieder betont, dass ein Zusammenbruch der PA und ein Ende humanitärer Hilfen verhindert werden müssten. Vermutlich dürfte ein Großteil des Geldes an Nichtregierungsorganisationen (NGO) umgeleitet werden.

Dieses Problem allerdings treibt auch die israelische Regierung um. Im Wissen um die nahezu vollständige Abhängigkeit der palästinensischen Wirtschaft von ausländischem Geld ist man sich auch dort der Gefahren bewusst, die ein tatsächliches Ende der europäischen und amerikanischen Finanzhilfen birgt. So heißt es der Zeitung Yedioth Achronot zufolge in einem internen Bericht des israelischen Außenministeriums, die Einstellung der Zahlungen könne zum Zusammenbruch der Autonomiebehörde führen und der palästinensischen Zivilbevölkerung großen Schaden zufügen.

Das dürfte auch die eher zurückhaltenden israelischen Reaktionen auf die Beschlüsse der EU erklären. Denn die vor allem von der israelischen und der amerikanischen Regierung unternommenen Versuche, der palästinensischen Bevölkerung Hilfen zukommen zu lassen, ohne mit diesen Hilfen zugleich anti-israelische Terroraktionen und Propaganda zu unterstützen, waren bislang zum Scheitern verurteilt. Schließ­lich haben bereits die vergangenen Jahre gezeigt, dass auch das Geld, das humanitären Organisationen und NGO zufließt, nicht unbedingt für die Zwecke verwendet wird, für die es gedacht war. So wurde etwa auch in Schulen des UNRWA immer wieder anti-israelische Propaganda betrieben. Oder es wurden Lebensmittelhilfen von bewaff­neten Organisationen beschlagnahmt und auf dem Schwarzmarkt zwecks Auffüllung der eigenen Kriegskasse verhökert.