Neukölln als Ghetto

Detlev Buck galt früher als der lustige Kauz aus dem hohen Norden. In seinem neuen Film soll einem das Lachen vergehen, denn der ist: »Knallhart«. von andreas hartmann

Große Debatten schon vorab. »Knallhart«, der neue Film von Detlev Buck, mit dem man eigentlich gar nicht mehr gerechnet hatte, sorgte schon während seiner Premiere auf der Berlinale für großen Wirbel. Es war die Zeit, als aus allen Ecken der Welt die Bilder einiger von läppischen Mohammed-Karikaturen aufgebrachter Muslime ins Fernsehen schwappten, vom beginnenden »Kulturkampf« die Rede war und Multikulti mal wieder auf den Prüfstand gezerrt wurde.

Und da platzte nun Detlev Buck, der in man­chen Kreisen wegen Filmen wie »Karniggels« und »Wir können auch anders« gerne »Kultregisseur« genannt wird, mit so einem Film herein. Mit einer Milieustudie, wenig witzig, auch nicht unfreiwillig. Mit einem Porträt, das verspricht, das Berliner Problemviertel Neukölln endlich einmal realistisch und »ungeschminkt« darzustellen, so, wie es dort wirklich zugeht, eben: »knallhart«.

Der Tagesspiegel organisierte gleich ein Streit­gespräch zwischen dem Neuköllner Bürger­meis­ter und einem Grünen-Abgeordneten über den Film, und Cem Özdemir musste ebenfalls öffentlichkeitswirksam seine Meinung über den Film kundtun. Bürgermeister und Özdemir begrüßten den Film gleichermaßen und mit derselben Begründung: Endlich zeigt mal jemand, wie groß die Probleme in dem Viertel mit überdurchschnittlich hohem Anteil von Migranten wirklich sind. Doch der Bürgermeis­ter hatte etwas andere Vorstellungen als Özdemir, wie man die sozialen Probleme beheben könnte: durch die Forderung nach deutscher Leitkultur. Sein Lob des Films ging immer in dieselbe Richtung: Hier sieht man es ja, zu viele Ausländer, in Neukölln wird man schnell fremd im eigenen Land. Und von Integration wollen Unterschichtstürken wie die im Film sowieso nichts wissen. Das sind dann die völlig hoffnungslosen Fälle, endlich werden die auch mal im Kino gezeigt, findet der Bürgermeister.

In »Knallhart« geht es um den Jungen Micha­el Polischka, der mit seiner Mutter aus dem reichen Villenbezirk Zehlendorf weg­ziehen muss und im Drecksloch Neukölln landet. Geld hat seine Mutter keines, doch das glaubt ihnen hier sowieso niemand. Michael, den alle nur Polischka nennen, scheint beinahe der einzige Jugendliche ohne migrantischen Hintergrund im Viertel zu sein. Er ist äußerst hübsch, smart, er fällt auf, doch leider nicht nur den Mädchen. Schon nach einem Tag auf der Schule wird er von dem halbstarken Erol, der keinerlei Perspektiven hat, außer Berufsschläger oder Kleindealer zu werden, und seiner Gang zusammengeschlagen und dazu verdammt, ab sofort regelmäßig »Schutzgeld« abzudrücken. Der Deutsche ist hier also das Opfer der Migranten, eigentlich ist das ja bloß gerecht: In Neu­brandenburg funktioniert es andersrum. Dennoch: Dass ein Film mit einer derart simplifizierten Darstellung der Verhältnisse Gefahr läuft, ab sofort als Propagandawerkzeug gegen das angeblich gescheiterte Modell des Multikulti eingesetzt zu werden – und zwar nicht bloß vom Neuköllner Bürgermeister –, das hin­ter­lässt schon einen ­etwas faden Bei­ge­schmack.

Dabei ist gegen die als authentisch gelobte Milieuschilderung gar nicht mal allzu viel einzuwenden. Vollassis in Trainingsanzügen, lern­unwillige Schüler, auf deutsch radebrechende Migranten-Kids, das kann und sollte man durch­aus genau so darstellen. Von einem Film, der von sich selbst behauptet, knallhart zu sein, will ja auch gar niemand, dass sich am Ende alle wie­der lieb haben und über Selbsterkennt­nis zu einem besseren Miteinander finden.

Doch leider bleibt sich der Film in seinen selbst erklärten Absichten gar nicht treu. In körnigen Schmuddelbildern, die nachträglich bearbeitet wurden, damit auch wirklich ein Grauschleier über der Stadt liegt, fährt die Kamera Neukölln auf und ab und behauptet, die Wirklichkeit der Straße einfangen zu können. Das geht erst mal voll in Ordnung. Auch Erol und seine primitiven Kumpels, die alle zu viele Gangsta-Rap-Videos gesehen haben müssen und jeden Satz mit »Du Opfer« beginnen, nimmt man als Figuren durchaus ernst. Sie sind überzeichnet, aber durchaus glaubwür­dig.

Doch dann gibt es eben Szenen, in denen Buck, der einmal als wirklich humorvoller Filmemacher begann und später zusammen mit Leander Haußmann allenfalls pseudowitzig war, einfach die Courage fehlt, die Sache wirklich durchzuziehen. Nur so lässt es sich erklären, dass Polischka mit den zwei einzigen Freunden, die er in seiner neuen Umgebung finden konnte, irgendwo ganz tief unten im Neuköllner Ghetto landet, in der Unterwelt eben, bei einem völlig verkauzten Hehler im Keller, der einfach nur lächerlich wirkt und so in den Straßen von Neukölln in Wirklichkeit bestimmt niemals zu finden sein wird.

Manche reden im Zusammenhang mit »Knallhart« ja bereits von einer deutschen Version von Martin Scorseses »Mean Streets«, doch in dessen leidenschaftlich und doch auch lakonisch erzähltem Film sucht man derart schlecht und billig charakterisierte Knallchargen wie den besagten Hehler vergebens.

Überhaupt leidet Bucks Film unter seinem schlechten Drehbuch, das auf einem Jugendbuch basiert, und unter Nebenfiguren, deren Einführung dem Fortgang der erzählten Geschichte rein gar nichts bringt. Da zeichnet sich zwischen Polischka und einem Mädchen aus seiner Schule eine kleine Romanze ab, die dann aber mal knallhart im Sande verlaufen muss. Über Jenny Elvers, die jetzt Jenny Elvers-Elbertzhagen heißt und die Mutter von Polischka spielt, muss man nicht auch noch viele Worte verlieren, das kann man ja alles im neuen Bestseller von Heiner Lauterbach nachlesen. Aber: Als Charakterschauspielerin ist sie gar nicht mal so schlecht. Bloß ihre Rolle als derangierte Sexbomben-Mutti führt halt, wie so vieles in diesem Film, nir­gend­wohin. Zu allem Überfluss verliebt sich auch noch Kommissar Gerber in sie, der funky Bulle aus dem Bezirk, höflich und zuvorkommend, einer, den bestimmt alle fürchterlich gern haben, ein echter Polizist eben, einer der letzten Gerechten in diesem Viertel. Auch so ein unnötiger Typ.

»Knallhart« ist also bestimmt nicht der Straßenfilm, der er gerne wäre, an Fatih Akins Debütfilm »Kurz und schmerz­los«, der sich ebenfalls als schmutzige Milieustudie präsentierte, reicht er lange nicht heran. Doch vor allem dank seines überragenden Haupt­darstellers David Kroß als Michael Polischka, dessen Werdegang vom abgezockten Verlie­rer zum Vertrauensmann eines deutsch-türkischen Drogenbosses dann doch einigermaßen konsequent erzählt wird, hat der Film auch seine Qualitäten. Und auch die Auswahl der Filmmusik ist für einen deutschen Film ganz erstaunlich: And You Will Know Us By The Trail Of Dead, The Go! Team, Clearlake und an­dere werden da aufgefahren, um dem Film mehr Power zu verleihen. Der neue deutsche Film, das muss man somit dann schon auch sagen, ist wirklich nicht mehr so hinterm Mond wie der deutsche Film.

»Knallhart« (D 2005). Regie: Detlev Buck. Drehbuch: Zoran Drvenkar/Gregor Tressnow. Darsteller: Jenny Elvers-Elbertzhagen, Erhan Emre, Kida Ramadan (Barut), David Kroß, Oktay Özdemir, Arnel Taci. Start: 9. März