Viele Pannen, neue Thesen

20 Jahren nach dem Mord an dem schwedischen Premierminister Olof Palme gibt es eine neue Theorie: Er soll einer Verwechslung zum Opfer gefallen sein. von bernd parusel, stockholm

Da liegt ein 57jähriger Mann im Bett. Er ist sehr krank. Ich glaube, er wird bald sterben.« Mit diesen Worten beginnt Mikael Hylins Dokumentation »Ich sah den Mord an Palme«, die der schwedische Fernsehsender SVT vergangene Woche mehrmals ausstrahlte. Der sozialdemokratische Premierminister Olof Palme war in Stockholm am 28. Februar 1986 nach einem Kinobesuch erschossen worden.

Zu dem bis heute unaufgeklärten Mord gibt es viele Theorien. Lange vermuteten die Ermittler die kurdische Arbeiterpartei PKK hinter der Tat. Dann entdeckten Fahnder den drogenabhängigen Kriminellen Christer Pettersson. Palmes Ehefrau Lisbeth identifizierte ihn als Mörder, doch er wurde freigesprochen, weil sich herausstellte, dass die Polizei ihr vor einer Gegenüberstellung Tipps gegeben hatte, und zudem die Mordwaffe und ein Motiv fehlten. Hobbyermittler machen seither Neonazis, Palme-Hasser innerhalb der Polizei, das südafrikanische Apartheid-Regime oder auch die italienische Geheimloge P2 für den Mord verantwortlich.

Hylin zufolge, der für seine Dokumentation in der Stockholmer »Unterwelt« ermittelte und ehemalige Kriminelle und Drogendealer befragte, fiel Palme ganz einfach einer Verwechslung zum Opfer. Der mittlerweile 57jährige Roger Östlund, den man am Anfang der Dokumentation in einem Krankenhausbett liegen sieht, war zur Tatzeit in dem Kino, in dem sich das Ehepaar Palme gerade den Film »Gebrüder Mozart« angesehen hatte, und telefonierte mit dem Dealer Sigge Cedergren. In der Nähe hielten sich weitere Personen aus der kriminellen Szene auf, unter ihnen auch Pettersson.

Glaubt man Östlund, hatte deren Anwesenheit jedoch nichts mit dem Kinobesuch des Premierministers zu tun. Vielmehr sei für jene Nacht eine »Abrechnung im Drogenmilieu« geplant gewesen. Pettersson soll von einem unbekannten Hintermann, »Mister X«, den Auftrag erhalten haben, den in Ungnade gefallenen Cedergren zu beseitigen, der in der Nähe des Kinos wohnte.

Der unter Drogen stehende Pettersson glaubte Öst­lund zufolge, in einem der Männer, die das Kino verließen, Cedergren zu erkennen, und habe auf diesen geschossen. Das Opfer war jedoch nicht der Dealer, sondern der Premierminister. Der Täter schoss auch auf Lisbeth Palme und verschwand.

Pikant macht diese Tatvariante der Umstand, dass sich bis kurz vor dem Mord zahlreiche Polizisten in der Umgebung des Kinos aufhielten, die in der Dro­genszene ermittelten und die dann verschwanden. Eine von Hylin befragte Person erklärte, die Polizisten hätten kurz vor den Schüssen ihren Einsatz abgebrochen, weil ein Polizeichef von »Mister X« bestochen worden sei. Diese These könnte erklären, warum der Polizei im Fall Palme viele angebliche Pannen passierten und wichtige Unterlagen, so die Aufzeichnung des Telefonats, das Östlund mit Cedergren führte, nicht mehr auffindbar sind.

Die Kette rauchenden ehemaligen Kriminellen, die in der Dokumentation zu Wort kommen, haben nun für aufgeregte Kontroversen gesorgt. Sollte Palme, der vergangene Woche wieder mal als einer der bedeutendsten Politiker Schwedens gefeiert wurde, einer schlichten Verwechslung zum Opfer gefallen sein? Der Kriminologe Leif G.W. Persson glaubt nicht daran. Die Ähnlichkeit zwischen Palme und Cedergren sei gering, eine Verwechslung sei deshalb auszuschließen, sagte er in einer Fernsehsendung. Der Leiter der Ermittlungen, Stig Edqvist, will hingegen untersuchen, ob Öst­lund die Tat wirklich habe beobachten können.

Viel Zeit bleibt ihm dafür wohl nicht mehr. Roger Östlund ist schwer krebskrank. Sein Kumpel Pettersson starb bereits im Jahr 2004 an einer Kopfverletzung unbekannten Ursprungs, und Cedergren ist seit 1996 tot. Umfragen zufolge glaubt in Schweden heu­te kaum mehr jemand, dass der Fall Palme je aufgeklärt wird.