Der Pariser März

Studenten und Lohnabhängige protestieren mit Streiks und Großdemonstrationen gegen ein Gesetz der französischen Regierung, das den Kündigungsschutz für junge Erwachsene aufweicht. von bernhard schmid, paris

Aus einer Mülltonne ragen zwei Füße heraus. Darunter steht: »Nein zum Mülleimer-Einstellungsvertrag.« Dieses Bild ziert das Plakat, mit dem die französische KP gegen die geplante Einführung eines neuen Arbeitsvertrags, des so genannten Ersteinstellungsvertrags (CPE), für die unter 26jährigen Beschäftigten protestiert. Dessen Ziel ist die Abschaffung des Kündigungsschutzes für die betroffenen Lohnabhängigen während der ersten beiden Jahre nach Eintritt in das Arbeitsverhältnis.

Das dafür erforderliche Gesetz ist Mitte vergangener Woche zwar im französischen Parlament verabschiedet worden, nachdem beide Kammern – die Nationalversammlung und der Senat – nacheinander zugestimmt hatten. Doch noch halten manche Beobachter es für recht fraglich, ob es wie vorgesehen in Kraft treten wird. Denn auch nach der Annahme durch das Parlament dürfte dies in Wirklichkeit stark vom Ausmaß der sozialen Widerstände abhängen, die sich dagegen in den nächsten Wochen manifestieren.

In Deutschland hat die regierende große Koali­tion bereits im Oktober vorigen Jahres beschlossen, eine zweijährige Periode ohne Kündigungsschutz für alle Lohnabhängigen einzuführen, ohne größere Proteste hervorzurufen. Auch in Frankreich verfolgt das bürgerlich-konservative Lager dieses Ziel, beschritt dafür aber zunächst einen anderen Weg. Da man mit zu starken Protesten gegen eine solche Demontage des Kündigungsschutzes rechnete, hielt man es für geschickter, nach dem guten alten Prinzip der »Salamitaktik« vorzugehen.

So wurde zunächst im August vorigen Jahres, mitten in der hochsommerlichen Urlaubsperiode, ein Sondervertrag mit zweijähriger »Super-Probezeit« für die Beschäftigten in kleinen und mittleren Betrieben eingeführt. Er bekam den Namen CNE (Neueinstellungsvertrag). Anfang dieses Jahres zauberte die konservative Regierungsmannschaft dann einen neuen Sondervertrag aus dem Hut, wiederum für eine bestimmte Beschäftigtengruppe – den CPE für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Doch in Interviews, die Ende Januar in Le Monde und im Nouvel Observateur erschienen, erklärte Premierminister Dominique de Villepin bereits ziemlich unverhohlen, dass es sich auch dabei nur um eine Zwischenstation handele. Denn man erwäge, die zweijährige kündigungsschutzfreie Periode nach Arbeitsantritt bis Juni auf alle Arbeitsverträge auszudehnen.

Die Äußerungen de Villepins wurden als eine Art Test verstanden, wie die Bevölkerung auf weitere Schritte zum Abbau von Arbeitsrechten reagieren würde. Doch der Versuch, den geplanten Abbau des Kündigungsschutzes gewissermaßen scheibchenweise durchzusetzen, könnte sich als taktische Dummheit herausstellen. Denn nunmehr fühlt sich die junge protestfreudigere Generation besonders benachteiligt. Selbst der sozialdemokratische Parteivorsitzende und Oberlangweiler François Hollande konnte im Parlament mit dem Argument gegen de Villepin auftrumpfen: »Sie haben Angst vor der Jugend.« Das war im Februar, als – obwohl der erste Ak­tions­tag gegen den geplanten CPE in weiten Landesteilen inmitten der Schul- und Hochschulferien lag – bereits Hunderttausende an Protest­de­mons­tra­tionen teilgenommen hatten. Seitdem haben die Widerstände erheblich zugenommen. Viele haben verstanden, dass Kündigungsschutzregeln in erster Linie auch eine Schutzbestimmung gegen Unternehmerwillkür sind. Wer jederzeit ohne besondere Gründe entlassen werden kann, dürfte nur schwerlich auf die Ein­haltung der ihm gesetzlich garantierten Rechte pochen. Das kann beispielsweise bedeuten, während der zweijährigen »Probezeit« kaum auf seine Überstun­den zu achten – soweit man den Lohnabhängigen überhaupt so lange »behalten« wird, denn dasselbe Unternehmen kann nach dem neuen Gesetz beliebig viele CPE hintereinander abschließen. Und dies sogar mit demselben Beschäftigten nach einem Bruch des Arbeitsverhältnisses, sofern eine minimale »Karenzperiode« eingehalten wird.

Der Maulkorb, der einem Lohnabhängigen droht, zierte denn auch symbolisch zahllose Plakate und Schilder auf den Pro­test­märschen. Daneben unterstrichen unzählige Deutungen des Kürzels CPE den Protest, wie etwa »Crevez pour eux« (Krepiert für die) oder »Couilloné par l’Etat« (Für dumm verkauft vom Staat). Unter Linksradikalen beliebt ist auch »Contrat pour l’esclavage? Cocktail pour émeutes!« (Vertrag für Sklaverei? Mischung für Krawalle!) Am Dienstag voriger Woche demonstrierte fast eine Million Menschen in ganz Frankreich, davon knapp 100 000 in Paris. Gleichzeitig weitete sich der Universitätsstreik gegen das CPE-Projekt, der bereits in der zwei­ten Februarwoche in mehreren westfran­zösischen Hochschulen begonnen hatte, rapide aus. Am Freitag voriger Woche wur­den landesweit 45 Universitäten nach Angaben der Studentengewerkschaft, der Nachrichtenagentur AFP zufolge 40 Universitäten bestreikt – das entspricht der Hälfte aller Hochschulen in Frankreich. 20 davon wurden blockiert, Streikposten und Sperren verhinderten den Zugang zu Hörsälen und Hochschulgebäuden.

In Paris schafften es 2 000 Studierende am Donnerstag, sich ohne jede Genehmigung zu einer Spontandemonstration auf den Champs Elysées zu versammeln. Über eine Stunde lang konnten sie ein Verkehrschaos auf der angeblich »schöns­ten Avenue der Welt« – vor allem aber einer der teuersten – verursachen. Ähnliches hatte für eine kurze Zeitspanne am Vortag auch vor der Nationalversammlung stattgefunden. In der Nacht zum Donnerstag gelang es auch, die Sorbonne, die älteste Hochschule im historischen Stadtzentrum von Paris, mit mehreren hundert Personen zu besetzen – erstmals seit dem Mai 1968. In der folgenden Nacht versammelten sich 1 000 Studierende anderer Hochschulen vor ihrem Hauptgebäude, wurden aber unter Einsatz von Knüp­peln und Tränengas geräumt. Darauf kam es zur symbolischen Errichtung einer Barrikade in der Nähe der Sorbonne, die zwar nur eine Viertelstunde hielt, doch in den Medien viel beachtet wur­de, wegen der Nähe zu den Ori­gi­nal­schauplätzen des Pariser Mai 1968.

Die sym­bo­lische Parallele endet hier: Damals geriet mit dem Quartier Latin auch das ganze umliegende Wohnviertel in Aufruhr, doch dieses wurde damals noch von »kleinen Leuten« bewohnt, die sich das heutzutage nicht leisten könnten. Jenseits der wichtigen Symbolik ist diese Hochschule heute nicht der Mittelpunkt des Geschehens. In der Nacht zum Samstag wurden die zu dem Zeitpunkt rund 400 Besetzer von der Polizei vertrieben, und Bildungsminister Gilles de Robien ließ die Sorbonne am Wochenende vorläufig schließen.

Auf den Demonstrationen am Dienstag vergangener Woche waren auch abhängig Beschäftigte aus anderen Altersgruppen zahlreich erschienen. Die Gewerkschaftsapparate ließen sie allerdings schmählich im Stich. Bei einer Unterredung zwischen den Führungen der großen Gewerkschaften konnte die Leitung der rechtssozialdemokratischen CFDT sich schließlich gegen andere Auffassungen durchsetzen. Deswegen wird es zwar einen erneuten Aufruf der Gewerkschaften geben, in dieser Woche gegen den CPE zu protestieren – diesmal allerdings am Samstag, also ohne jeden Aufruf zum Streik. Damit spalten die Gewerkschaftsführungen zugleich die Protestierenden, denn die Studierenden und Oberschüler hatten ihren Aktionstag bereits zuvor auf den Donnerstag gelegt.

Ob es den Funktionären gelingen wird, dass die Bewegung sich totläuft, muss sich aber erst noch erweisen.