Eine Partei unter Deck

Die SPD zeigt sich in der großen Koalition als Staatspartei, die sich selbst überflüssig macht. von felix klopotek

Ein gut fünf Jahre alter Hit kommt dieser Tage in diversen Kommentaren noch mal zu Ehren: »Wenn ich nicht hier bin / bin ich auf’m Sonnendeck.« Der Song von Peter Licht soll die beschwingt-lockere Situation der CDU und ihrer Vorsitzenden beschreiben, während die SPD, so die Aussage eines ihrer Spitzenpolitiker, »im Maschinenraum schuftet«.

Nicht mal zwei Wochen vor den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist die SPD in allen Umfragen erneut da gelandet, wo sie im vergangenen Jahr schon mal war: weit unten, irgendwo unter 30 Prozent. So ist das, seufzen die Sozis, wenn man in der Koalition die Sachen machen muss, für die sich die anderen zu schade sind, ja, von denen die gar keine Ahnung haben: etwa die Sozialpolitik. Sozialpo­litik heißt heute völlig ungeschminkt Verarmungspolitik, die Illusion der siebziger Jahre, dass sie doch eigentlich »Umverteilung von oben nach unten« bedeute, ist schon lange passé. Die Sozialdemokraten, allen voran ihr bewährter Mann fürs Grobe, Franz Müntefering, organisieren die illusionslose Sozialpolitik der Gegenwart und beklagen sich, dass sie dafür nicht geliebt werden.

Wo ist da die Logik? Naheliegend wäre es doch, eine Politik, die der eigenen Partei schadet und vor allem der Klientel, für die die Partei doch einstehen soll, nicht länger zu unterstützen, in die Opposition zu gehen und die dann regierende Koalition so lange zu kritisieren, bis diese nachgeben muss. Die SPD aber schlägt die entgegengesetzte Richtung ein. Je bedrohlicher die Lage für die Partei wird, je absurder der Anspruch auf Interessenvertretung der »kleinen Leute«, desto mehr wirft sich die Partei in die Pose der Verantwortung: Verantwortung gegenüber der Nation in diesen schwierigen Zeiten.

Müntefering ist der exemplarische Ver­ant­wor­tungsträger. Er braucht von den Posten, die er übernimmt (das waren in den vergangenen Jahre einige: Bundesgeschäftsführer, Verkehrsminister, Fraktionsvorsitzender, Parteivorsitzender, Vizekanzler, Arbeits- und Sozialminister), keine Ahnung zu haben. Er muss nur zur Stelle sein, um Verantwortung zu übernehmen. Intellektuell ist er äußerst anspruchslos, selbst das obligatorische, von Ghostwritern geschriebene Politikerbuch gibt es nicht von ihm.

Müntefering stellt den Typ des reinen So­zial­demokraten dar. Manche sagen, dieser Typ sei entstanden durch die Traumatisierung, die in der Partei durch das kaiserliche Diktum von den »vaterlandslosen Gesellen« ausgelöst wurde. Der Großteil der Partei müht sich seit dem Ende der Sozialistengesetze vor 116 Jahren ab, diesen Vorwurf gegenstandslos zu machen. Ursache dafür (und Grund, dass der Vorwurf des Kaisers überhaupt fruchtete), ist der kon­sequente Etatismus, der in der Partei schon von jeher virulent war und auf Ferdinand Lassalle zurückgeht: der Staat als mächtiges Ins­tru­ment, das die in negative Partikular­interessen zerfallende Nation zur Einheit zwingt und darüber soziale Standards durchsetzt; der Staat als Instrument und Garant eines Sozialismus, der sich nur inner­halb der Grenzen des Nationalen zu entfalten vermag.

Die SPD ist im Laufe der Jahrzehnte aus der Partei des idealen Staats zur idealen Staatspartei geworden. Das liegt in der Natur der Sache. Denn je mehr sich der nationale Staat als Na­tio­nal­staat, also als Staat aller Deutschen verstand, desto geringer wurden die Ansprüche der Sozialdemokraten an den Staat und desto schneller wuchs die Partei in den Staat hi­nein. Soll heißen: übernahm Verantwortung. Damit wird aber Schritt für Schritt die Partei überflüssig. In der idealtypischen Vorstellung der Sozialdemokratie stirbt nicht der Staat ab, sondern die Partei, weil sie sich ganz dem Staat, der nun ein schüt­zender, ein fördernder und fordernder geworden ist, anverwandelt hat.

Das macht das masochistische Ver­halten der Sozialdemokraten nach­voll­ziehbar: das Harakiri Münteferings, die Heraufsetzung des Renten­alters zu for­dern und in absehbarer Zeit auch durch­zusetzen, die Unterwürfigkeit der sa­gen­umwobenen SPD-Linken, die osten­tative Langwei­ligkeit Matthias Platzecks, der peinlich darauf ach­tet, Ange­la Merkel nicht in die Quere zu kommen.

Aber, könnte man einwenden, gibt es nicht irgendeine Minimalbedingung, die die SPD davon abhalten müsste, wirklich jeden Quatsch mitzumachen? Immerhin soll sie doch noch einen utopischen Rest­bestand besitzen, eine Mission verfolgen, »demokratischer Sozialismus« genannt? Als Staatspartei, die den Staat absolut setzt und demgegenüber sich als abhängige Variable, als eine Art Schalter, der an der Staatsmaschinerie angebracht ist und den man nach vorne klappen kann, so dass die Maschine schließlich »Sozialismus« ausspuckt, als Staats­partei also hat die SPD jede soziale Utopie immer schon an den Staat gekettet. Der Staat wird Mittel und Zweck dieser Utopie. Er muss insbesondere dann verteidigt werden, wenn er in Zeiten von Globalisierung einerseits und Regionalisierung andererseits bedroht scheint. Übersetzt in die Sprache Mün­teferings: Wir machen diesen Job, weil die anderen alles nur noch schlimmer machen würden.

Darin liegt auch die Tragik Platzecks, der noch vor drei Monaten der große »Hoffnungsträger« war, der in seinem Auftreten an einen Filialleiter von Lidl erinnert. Platzeck, intellektuell so anspruchslos wie Mün­tefering, aber im Gegensatz zu diesem ohne Stallgeruch, ist ein reiner Technokrat. Ein Kanzler ohne Posten. Platzeck würde schlag­artig an Ausdruck gewinnen, würde er mor­gen Kanzler werden. In diesem Sinne verläuft seine Karriere vergleichbar mit der von Angela Merkel. Jetzt aber, da alle Merkels Krisenmanagement in diesen Katastrophenzeiten loben, ist für Platzeck, den (schon wieder obsoleten?) Spitzenkandidaten in spe, kein Platz, um sich zu profilieren.

Die SPD arbeitet konsequent an ihrer Abschaffung, ein Prozess, den nicht nur Linksradikale mitleidlos verfolgen sollten. Schließlich folgt dieser dem Zwang der Logik der Partei und ihres Etatismus. Dabei ist aber auch nicht völlig ausgeschlossen, dass Kräfte in der Partei die Selbstabschaffung als Selbstzerstörung missverstehen und den Weg in die Opposition, vielleicht auch in eine linke, also streng genommen nur partikulare Koalition gehen wollen. Es könnte tatsächlich zu einer Renaissance der Sozialdemokratie kom­men, dann nämlich, wenn der Druck auf der Straße, etwa durch Streiks bei der Müllabfuhr, so groß wird, dass die SPD sich offener für die Forderungen der Streikenden zeigt. Sie setzt sich in dem Moment nicht mehr als iden­tisch mit dem Staat, sondern erhebt Forderungen an ihn. Der Staat bleibt aber das Maß aller Dinge. Die Forderungen müssen dementspre­chend dem Maß des Machbaren unter­geordnet werden.

Das Denken in Sachzwängen, dem die SPD huldigt, hat dafür gesorgt, dass dieses Maß sehr klein ausfällt. So wie Schröder, der für die letzte SPD-Renais­sance stand, mit seiner »Neuen Mitte« nur ein schwacher Abglanz von Willy Brandts Slogan »Mehr Demokratie wagen!« war, so wird der nächste SPD-Vorsitzende nur eine schlechte Kopie von Schröder abgeben.