Der Müllmann

Das atomare Endlager in Salzgitter darf gebaut werden von jochen stay

Sigmar Gabriel hätte einen guten Slalomfahrer abgegeben. Vielleicht hätte es für eine Teilnahme an den Olympischen Spielen nicht gereicht, aber in seiner ureigenen Disziplin ist er unschlagbar. Diese Disziplin heißt Schacht-Konrad-Slalom. Gabriel schlängelt sich so gekonnt hin und her, dass einem schon beim Zuschauen schwindlig werden kann und es kaum zu erkennen ist, auf welcher Seite der Slalomstangen er sich gerade befindet.

Worum geht es? Seit Jahrzehnten dauert der Streit darüber an, ob das ehemalige Bergwerk »Schacht Konrad« im niedersächsischen Salzgitter, in dem einst Eisenerz gefördert wurde, zu einem Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll ausgebaut werden soll. Der ehemalige Ministerpräsident, ehemalige »Pop-Beauftragte« der SPD und derzeitige Bundesumweltminister scheint dazu alle nur denkbaren Ansichten gleichzeitig zu vertreten.

In den achtziger Jahren beteiligte er sich als aufstrebender Juso-Politiker an Demons­trationen gegen das geplante Lager. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident für die Genehmigung der Anlage zu sorgen. Als er im vergangenen Jahr im Wahlkreis Salzgitter für den Bundestag kandidierte, wurde auf seinem Auto ein Aufkleber gegen »Schacht Konrad« entdeckt. Auf Wahlveranstaltungen wurde aus dem Mann, der kurz zuvor das erste Endlager für Atommüll in der Republik genehmigt hatte, ein entschiedener Kämpfer für die Verhinderung dieses Vorhabens.

Trotz alledem wurde er in den Bundestag gewählt, bald darauf trat er überraschend die Nachfolge von Jürgen Trittin als Umweltminister an. Seither ist er für die weiterhin ungelöste Frage zuständig, was mit den radio­aktiven Abfällen geschehen soll. Er ist sozusagen der Atommüllmann der Nation. Kraft seines Amtes ist er auch der oberste Dienstherr des Bundesamts für Strahlenschutz mit Sitz in Salzgitter. Das ist die Behörde, die im Jahr 2001 jenen Antrag einreichte, dem die niedersächsische Regierung unter Gabriel zustimmte. Somit hat der wendige Siggi Bemerkenswertes geleistet: Zunächst hat er das Endlager genehmigt, jetzt kann er seine eigene Genehmigung in die Tat umsetzen, und das, obwohl er eigentlich immer dagegen war und es noch immer ist.

Anfang März wies das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Klagen von Anwohnern und Kommunen gegen die Genehmigung zurück. Selbst wenn kommende Generationen durch den Betrieb des Lagers für Atommüll geschädigt würden, spiele das juristisch keine Rolle, da sie noch gar nicht geboren und somit auch nicht klagebefugt seien, hieß es zur Begründung. Gabriel sagte nach dem Urteil, jetzt sei eine Inbetriebnahme des Endlagers sehr wahr­scheinlich geworden. Aus Rücksicht auf die Kläger wolle er aber erst mit dem Ausbau beginnen, wenn das Urteil rechtskräftig geworden sei.

In den vergangenen Jahrzehnten haben die örtlichen Initiativen vor allem mit rechtlichen Mitteln und mit Lobby­tätigkeit das Endlager zu verhindern versucht. Doch spätestens jetzt ist es Zeit, darüber nachzudenken, in welcher Form direkt in die bevorstehenden Bauarbeiten eingegriffen werden kann. Vielleicht ließe sich davon sogar Sigmar Gabriel beeindrucken. Schließlich ist der ja auch gegen den »Schacht Konrad« – irgendwie.