Das Gespött der Milchstraße

In Stanislaw Lems Universum werden die Menschen selten glücklich. Aber es gibt dort viel zu lachen. von jörn schulz

Manche glauben, dass am Anfang das Wort war. Andere sehen im Spaghettimonster den Schöpfer allen Lebens. Doch ist es nicht pure Arroganz, von einer bewussten Handlung auszugehen, deren Ziel es gewesen ist, so etwas wie uns hervorzubringen?

Als Ijon Tichy, der Gesandte der Erde, um Aufnahme in die Organisation der Vereinten Planeten ersucht, erfährt er die bittere Wahrheit. Menschen gibt es, weil die tarrakanischen Raumfahrer Gerr und Hott »auf die Felsen eines toten Planeten einen Eimer fermentierten Spülichts« ausgossen, weiteren Unrat hinzufügten und den Brei »in verbrecherischer und strafwürdiger Weise umrührten«. Nur so konnten auf einem Planeten, der für die Entwicklung intelligenten Lebens gar nicht geeignet ist, Wesen entstehen, die »zum Gespött der gesamten Milchstraße« werden.

Zum Glück war das nur ein böser Traum Tichys. In Wahrheit hat nämlich er selbst das Universum und die Menschheit erschaffen, genauer gesagt: Er hat ihre Existenz legalisiert. Denn wie Professor Rasglas überzeugend darlegt, ist das Universum eine »Abweichung von den Gesetzen der Physik«. Entweder gab es vor dem Urknall nichts. Dann wäre das Universum aus dem Nichts entstanden, was unmöglich ist. Wenn es aber schon immer ein »Uratom« gab, hätte es früher, unendlich viel früher, einen Urknall geben müssen. Da die Entstehung des Universums gar nicht möglich war, muss es sich um eine Anomalie handeln, deren Existenz jederzeit enden kann.

Wenn man jedoch ein Elektron rückwärts durch die Zeit schickt, könnte es zum fehlenden Uratom werden und dem Universum eine den Gesetzen der Physik gemäße legale Existenz verschaffen. Mehr noch, bei dieser Gelegenheit könnten durch eine geschickte Programmierung des Elektrons gleich die zahlreichen Unzulänglichkeiten korrigiert werden, die das Universum aus ästhetischer und huma­nistischer Perspektive aufweist. Der Weltverbesserer Tichy scheitert jedoch, weil ihm seine Assistenten mit Korrekturen ins Handwerk pfuschen, »deren Folgen jeder zur Genüge besichtigen kann, wenn er sich nur ein wenig in dieser grässlichen Welt umsieht«. Auch in Werken wie den »Sterntage­büchern«, die Stanislaw Lem selbst als die »grotesk-­humoristische« Seite seiner schriftstellerischen Arbeit bezeichnete, präsentiert er eine recht pessimistische Sicht der Welt.

1921 in Lwow geboren, beteiligte sich Lem während des Zweiten Weltkriegs am Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Er nahm sein Medizinstudium wieder auf, verzichtete aber auf den Doktortitel, weil alle Absolventen seines Jahrgangs zum Militärdienst verpflichtet werden sollten. Dennoch lebte er mit der realsozialistischen Bürokratie Polens weitgehend in friedlicher Koexistenz. Er verweigerte sich der an ihn herangetragenen Forderung, optimistische Fortschrittsliteratur zu schaffen, enthielt sich aber auch der bei anderen osteuropäischen Autoren beliebten Satiren über die Bürokratie.

Die literarische Auseinandersetzung mit den bornierten Verwaltern des Realsozialismus erschien ihm wohl als ein zu banales Thema. Lems Weltraum ist eine Bühne für philosophische Spekulationen und psychologische Beo­bachtungen. In den meisten Science-Fiction-Romanen bevölkern den Weltraum nur alte Bekannte, Spezies oder »Rassen«, die in konzentrierter Form menschliche Eigenschaften repräsentieren. Lems Raumfahrer dagegen treffen nicht selten auf Wesen, die so fremd­artig sind, dass schon die Kontaktaufnahme scheitert oder sich in unerwarteten, für die Menschen unverständlichen Formen vollzieht.

In »Solaris«, Lems wohl bekanntestem Roman, ist es ein lebendiger Ozean, mit dem sich die Menschen vergeblich zu verständigen versuchen. Das Objekt ihrer Untersuchung kommuniziert mit ihnen, indem es Erinnerungen aus ihrem Unterbewusstsein in materieller Form erscheinen lässt. Und zwar ausgerechnet jene, die die Menschen am stärksten zu verdrängen suchen. Lem interessiert dabei weniger die Auseinandersetzung der Menschen mit dem von ihnen Verdrängten, die in beiden Verfilmungen in den Vordergrund gestellt wird, als das Problem der Kommunikation an sich und die Frage der Individualität. Der Ozean kann sich und andere nicht als Individuen erkennen, weil er ein völlig isoliertes Wesen ist. Doch der Psychologe Kelvin entschließt sich zu bleiben, in der vagen Hoffnung, die »grausamen Wunder« dieser Welt doch noch verstehen zu können.

Den auf dem Planeten »Eden« gestrandeten Raumfahrern gelingt es schließlich, sich mit einigen Wesen einer nicht humanoiden Zivilisation zu verständigen. Es sind Flüchtlinge, die zu ihnen Kontakt aufnehmen. Doch in die von ihnen als grausam empfundenen Verhältnisse einzugreifen, wagen die Raumfahrer nicht. Als sie ihre Rakete repariert haben und den Pla­neten verlassen, bleiben die »Dissidenten«, die ihre Welt nicht verlassen wollen, im Rück­strahl der Triebwerke stehen. »Das ist alles, was wir für sie tun können.«

Pessimistischer noch ist »Fiasko«, Lems letzter Roman. Hier reagieren die Menschen auf die Kommunikationsverweigerung der fremden Zivilisation mit Aggres­sionen. Sie haben aber auch vorausberechnet, dass die Aliens ihre Welt in einem Krieg vernichten werden, und fühlen sich verpflichtet, das zu verhindern. So entschlie­ßen sie sich, die Kommunikation mit einer kosmischen Machtdemonstration zu erzwin­gen. »Fiasko«, geschrieben in der Schlussphase des Kalten Kriegs, ist Lems wohl politischster Roman, eine Warnung vor der Gefahr der Selbstvernichtung einer militarisierten Welt konkurrierender Mächte und den Risiken einer »humanitären Interven­tion«.

Der Idee des sozialen Fortschritts stand Lem mit großen Zweifeln gegenüber. Wie viele bedeutende Schriftsteller war er, zumindest in philosophischer Hinsicht, ein Konservativer, er glaubte nicht an einen »neuen Menschen«. Er war ein Skeptiker, dessen spielerischer Umgang mit Schöp­fungs­mythen und wissenschaftlichen Gewissheiten letztlich das religiöse und auch das traditionell humanistische Denken viel radikaler in Frage stellt als alles, was heutzutage als Blasphemie oder Wissenschaftskritik gehandelt wird.

Nicht immer lag Lem richtig. Seit eine Sonde auf dem Saturnmond Titan gelandet ist, wissen wir, dass es die wunderbaren bizarren Formen, durch die Lem seinen Piloten Pirx im ersten Kapitel von »Fiasko« stap­fen lässt, dort nicht gibt. Wenn ein Geheimnis gelüftet wird, ist die Enttäuschung meis­tens groß. Vielleicht hat das Universum wirk­lich nicht mehr zu bieten als diverse Varianten unserer eigenen Spezies, vielleicht noch nicht einmal das.

Umso wichtiger ist es, eine phantasievollere Welt wenigstens zu erfinden. Stanislaw Lem, der am Montag der vergangenen Woche in Krakow starb, hat gleich mehrere erschaffen. Und wer immer sich in Zukunft mit der Korrektur der Schöpfung befasst, sollte darauf achten, dass sie der Menschheit erhalten bleiben.