I’m a Nazi, Schatzi!

Nichts war krasser als Punk. Ist mit seinem Tod auch die Idee des Provo-Pop gestorben? von markus ströhlein

Einen ziemlich roten Kopf bekam Billy Idol. Im vergangenen Jahr war der ehemalige Sänger der Punk-Band Generation X zu Gast in einer US-amerikanischen Fernsehshow. Er sollte das Verhalten des britischen Prinzen Harry kommentieren, der kurz zuvor mit einer Hakenkreuzbinde am Arm auf einer Party erschienen war. Er nahm die Angelegenheit nicht sonderlich ernst und sagte: »Als wir Punkrocker waren, haben wir auch Hakenkreuze getragen.« Sein Gastgeber Donnie Deutsch, ein jüdischer Fernsehmoderator, reagierte nicht allzu erfreut auf das Bekenntnis seines Interviewpartners und fuhr ihn verärgert an: »Damit habe ich ein großes Problem. Billy, damit habe ich ein ziemlich großes Problem.«

Dem Sänger kam darauf seine antrainierte Coolness abhanden. Mit rotem Kopf stammelte er, es sei ihm als Jugendlichen lediglich darum gegangen, seine Eltern und Lehrer zu provozieren. Donnie Deutsch genügte die Erklärung keineswegs. So rang sich Idol am Ende eine schlichte Wahrheit ab: »Das Hakenkreuz zu verwenden, war ein großer Fehler. Es ist das schrecklichste Symbol, das es gibt. Ich hasse es.«

Auch andere Punks der ersten Stunde versuchen, sich von ihren vergangenen Kleidungsvorlieben zu distanzieren. Steve Severin, Bassist bei Siouxsie and the Banshees, liefert diese Interpretation: »Für uns waren Hakenkreuze keine Zeichen der Intoleranz, sondern Symbole der Provokation, die gegen eine ältere Ge­neration gerichtet war. Wir ließen sie recht schnell weg. Als Punk noch eine kleine Bewegung war, konnte man ein solches Symbol benutzen. Auf einer breiteren Ebene hätte es eine falsche Bedeutung vermittelt.«

Billy Idol und Steve Severin mögen darauf aus gewesen sein, ihren Alten eins auszuwischen, als sie sich Hakenkreuze auf die Lederjacken malten. Die Verachtung der Punks galt aber nicht nur den Eltern und Lehrern, sondern auch der vorangegangenen Popgeneration. »Never trust a hippie!« war eine der beliebtesten Parolen.

Unter dem Motto »Peace and Love« hatten die Hippies behauptet, für eine bessere Welt zu kämpfen. In den siebziger Jahren hatten sich die meisten von ihnen längst mit der schlechten Welt arrangiert. Sich als Re­ak­tion darauf des Ha­kenkreuzes zu bedienen, war ein Kurzschluss: Standen die Hippies für grenzenlose Liebe, stehen wir, die Punks, eben für grenzen­losen Hass. Sagen die »Peace and Love«, sagen wir »Sieg Heil!«

»Hippies sind Spießer mit langen Haaren«, sang die New Yorker Proto-Punkband The Dictators bereits 1975 in ihrem Song »Master Race Rock«. Welche »Herrenrasse« die jüdischen Jungs aus Brooklyn damit meinten, zeigen ihre zynischen Texte. Die Dictators sangen von Langeweile, Junk Food, Fernsehen und Football, eben der täglichen Tristesse des Lebens.

Vorweggenommen haben sie damit, was am radikalen Gestus des Punk wirklich politisch war. Die Hippies hatten die große Utopie in Aussicht gestellt. Diese hakten die Punks aus nachvollziehbaren Gründen ab. Sie beschränkten sich auf eine ästhetische Bestandsaufnahme einer hässlichen Welt. Zerrissene Klamotten, Sicherheitsnadeln und Rasierklingen waren die Mittel, das bürgerliche Leben als das bloßzustellen, wofür sie es hielten: als sinnlos, entbehrlich und verstümmelt. Mit ihren Kleinwagen, Reihenhaushälften und Pauschalreisen konnten die Alten und Normalbürger nicht verbergen, dass die Welt sie zu nichts anderem als menschlichem Abfall degradierte.

Das Hakenkreuz ins ästhetische Repertoire der Negation aufzunehmen, war ein logischer letzter Schritt. Denn hinter der Charakterfassade des Bürgers steht nicht unbedingt das ver­stümmelte, entfremdete Subjekt, das irgendwann seine Befreiung in die Hand nimmt. Hinter dem Spießer lauert der Nazi.

So hätte das Hakenkreuz innerhalb einer Ästhetik der Entlarvung Sinn ha­ben können, wenn die Adressaten mit­gespielt hätten. Doch die Bürger, denen der Spiegel vorgehalten werden sollte, reagierten nur auf einen Schlüsselreiz: Punk war gleichbedeutend mit Schmutz und Dreck. Den macht man weg. Oder man sieht nicht hin.

Wohl gab es einige Zeitungsberichte über Jugendliche, die sich mit Hakenkreuzen schmückten. Den größten Skandal verursachten jedoch die Sex Pistols, als sie in einer Fernsehshow »Scheiße« und »Ficken« sagten. Und so schnell, wie dieser Wortmüll wieder vergessen war, trat die Müllabfuhr der Popindustrie auf den Plan und entsorgte Punk in der subkulturellen Nische, in der er bis heute vor sich hin modert.

Überhaupt ist die Annahme fragwürdig, dass eine große Anzahl von Punks mit dem Tragen des Hakenkreuzes eine Strategie ver­bunden hätte. Es ließ sich eben gut schocken mit dem Symbol. Der Mythos, der Punk sei von Beginn an eine antifaschis­tische und irgendwie linke Bewegung gewesen, verdeckt, dass einige der Protagonisten von damals mehr an dem Nazikram faszinierte als der radical chic.

Siouxsie, die Sängerin der Banshees, trug auf der Bühne gerne Hakenkreuze und hob den rechten Arm zum Hitlergruß. »Es gibt zu viele Juden für meinen Geschmack«, hieß es ursprünglich in ihrem Song »Love in a void«. In einem Interview verteidigte sie die Textzeile mit den Worten, es gebe »zu viele fette Geschäftsleute«. Und Rat Scabies von The Damned beschimpfte den Sänger der eingangs erwähnten Dictators in einem Interview mit dem englischen Magazin NME als »fetten jüdischen Drecksack«.

Joy Division wurden durch das Sado-Maso-Buch »The House of Dolls«, das von Zwangsprostituierten in einem Vernichtungslager handelt, zu ihrem Namen inspi­riert. Ian Curtis, Sänger von Joy Division, war bekannt für die Faszination, die der Nationalsozialismus auf ihn ausübte. Auf der Platte »Live at the electric circus« fragt er das Publikum, bevor ein Song beginnt: »Habt ihr alle Rudolf Heß vergessen?«

Wie schmal der Grat zwischen Provoka­tion und Affirmation war, schilderte ein Autor des Punk-Magazins Ripped and Torn: »Ich trug ein Hakenkreuz und ein Eisernes Kreuz. Es begann mich zu interessieren. Ich fing an, mich zu wehren, wenn mich Leute wegen des Nazikrams anmachten. Manche beschimpften mich als Judenhasser, und ich trat plötzlich für den Judenmord ein.«

Ein weiteres Beispiel ist eine Band, die im Jahr 1977 in bester Punkmanier »You’re the backstreet kids, street rats, alright« oder »I’m antisocial, I hate the world« sang und sich Hakenkreuze auf ihre Jacken malte. 1982 trugen sie immer noch Hakenkreuze, sangen jedoch von »White Power«. Die Band hieß Skrewdriver, und aus der Punk- wurde bald eine Neonaziband. Ein nicht unerheblicher Teil der Oi- und Streetpunk-Szene ging den­selben Weg.

Das prominenteste fashion victim der Hakenkreuzmode dürfte immer noch Sid Vicious sein, der Bassist der Sex Pis­tols. Provokativer, als im Haken­kreuz­shirt durch das jüdische Viertel von Paris zu spazieren, wie er es im Film »The great Rock’n’Roll swindle« macht, geht es nicht. Ekelhafter auch nicht.

Freilich war das alles wohl kalkuliert. »Cash from Chaos« war der Leitspruch des Bandmanagers Malcolm McLaren. Wenn genug Trubel entsteht, klingelt die Kasse. Schon als kleiner mittelständischer Ladenbesitzer beherzigte er die simple Weisheit und verkaufte in seinem Punkladen nachgemachten Nazikrempel. Seine Partnerin Vivienne Westwood kleidete Johnny Rotten in ein T-Shirt mit der Aufschrift »Destroy«, auf das als Hintergrund ein großes Hakenkreuz ge­druckt war.

Sex sells. Noch besser verkauft sich nur der Führer. Das weiß man beim Spiegel. Das weiß Guido Knopp. Doch der Punk kann sich rühmen, das Haken­kreuz selbst zum Werbelogo und zum Accessoire des radical chic gemacht zu haben. So stellte Gary Lachman alias Gary Valentine, der erste Bassist von Blondie, im vergangenen Jahr in einem Artikel im Guardian frustriert fest: »Man denke an die Aneignung des Hakenkreu­zes durch den Punk, an die Ästhetisierung des Symbols: Während man sich dessen Geschichte entledigte oder, schlimmer noch, man sich in seiner Macht feierte, schockieren zu können, ignorierte man, warum dies überhaupt gelingen konnte.«

Punk war krass. Und nach dem Haken­kreuz kann eigentlich auch nichts mehr kommen. Nun ist er schon län­gere Zeit tot, der Punk. Hat er die Idee des Provo-Pop mit ins Grab genommen? Einiges in der Geschichte des Punk spricht dafür: Die politische Provoka­tion verpufft in der Kultur. Die Provokation um der Pro­vokation willen entpuppt sich als Avant­garde für das Reak­tionäre. Und da er ja auch etwas essen muss, macht sich der Provokateur stets zum Erfüllungsgehilfen der Kulturindus­trie.

Vielleicht sollte man es mit der ameri­kanischen Postpunk-Band Big Boys hal­ten. Die sang 1980: »I’m apolitical.« Wer seine Musik der Politik verweigert, hat mehr Zeit zum Proben. Less talk, more rock.