Familientreffen in Kiew

Mit einer internationalen Konferenz will die Anti-Atomkraftbewegung an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl erinnern. von korbinian frenzel

Die Teilnehmerliste liest sich wie das Who is Who der internationalen Umwelt- und Anti-Atomkraftbewegung: Von Greenpeace über die »Internationalen Ärzte zur Verhinderung eines Atomkrieges« bis hin zum renommierten Nuclear Information and Ressource Service (NIRS) aus den USA werden in der kommenden Woche in Kiew alle anwesend sein, die sich einen Namen im Kampf gegen die Atomenergie gemacht haben.

Über drei Tage erstreckt sich das Programm der Konferenz »Chornobyl+20«, außerdem ist eine Exkursion in die verbotene Zone rund um den stillgelegten Atommeiler in Tschernobyl geplant, so dass also auch für ein bisschen Abenteuer gesorgt ist. Auf der Tagung soll es aber nicht nur um die Folgen der Reaktorkatastrophe gehen, sondern auch um die gegenwärtigen Entwicklungen in der Atompolitik sowie um die Proliferation .

Rund 1 000 Teilnehmer werden erwartet, unter ihnen zahlreiche Mitglieder von »Vorort-Initiativen«, die sich etwa gegen Atomtransporte nach Gorleben oder für eine bessere Versorgung der ukrainischen Strahlenopfer engagieren. Natürlich kommen auch jene, die die Anti-Atom-Bewegung in den achtziger Jahren in die Parlamente getragen hat. Grüne Parteien warten mit Prominenz auf, aus Deutschland hat sich unter anderem Renate Künast angekündigt, die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion. Ein Familientreffen, 20 Jahre nach dem großen Schock, dem die Anti-AKW-Bewegung ihren größten Zulauf verdankte.

Doch 1986 ist lange her, und die Gegner der Atomkraft, die noch vor wenigen Jahren die Ausstiegsbeschlüsse in Deutschland und Belgien als Erfolge feiern konnten, müssen mit einer Wiederkehr der gefährlichen Technologie rechnen. »In Namen des Klimaschutzes kommt die Atomkraft auf breiter Front als vermeintlich saubere Option zurück«, beklagt Michael Mariotte, der Direktor des NIRS in Washington. Die Atomindustrie habe sich damit geschickt in die Offensive gebracht und habe mit dem Beginn des Baus eines neuen Reaktors in Finnland einen ersten konkreten Erfolg vorzuweisen.

In den USA drängt die Atomwirtschaft auf den Bau von 13 neuen AKW. Im Land, in dem die Reaktorkatastrophe stattgefunden hat, in der Ukraine, gebe es Pläne für elf neue Reaktoren, berichtet Tetyana Murza von der ukrainischen Organisation Ecoclub. Tschernobyl, meinen die Organisatoren der Kiewer Anti-Atom-Konferenz, werde zu einem »tragischen Ausnahmefall« heruntergespielt, und verweisen auf den bizarren Streit zwischen Atom-Lobby und Kritikern, der sich an der Frage entzündete, wie vielen Menschen die Reaktorkatastrophe den Tod durch Krebs und andere Krankheiten noch bringen wird.

So wenig die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) den Atomkraftgegnern die Deutungshoheit über die Zahlen überlassen will, so sehr ist sie auch bemüht, am symbolträchtigen Datum anwesend zu sein.

Während der Konferenz der Anti-Atom-Initiativen lädt sie ebenfalls nach Kiew, um den Ausbau des weltweiten Nuklearparks zu propagieren. »Wir verstehen unsere Veranstaltung als klaren Kontrapunkt«, sagt Tetyana Murza.

Dabei geht es den Atomkraftgegnern, die als Folge der Wiederkehr der Atomkraft einen neuen Zulauf verspüren, nicht nur um Tschernobyl und die Risiken der Atomkraft. »Es ist Augenwischerei zu glauben, dass die Atomkraft eine ernsthafte Antwort auf die Probleme des Klimawandels sein kann. In den nächsten 40 bis 50 Jahren müsste alle zwei Wochen ein neuer Reaktor ans Netz, um spürbare CO2-Reduktionen zu erreichen«, rechnet Michael Mariotte vor. Dies erfordere Investitionen in Billiardenhöhe, die niemand leisten könne und wolle.

Strategien für den Ausbau erneuerbarer Energien werden daher am letzten Tag der Konferenz in Kiew eine zentrale Rolle spielen.