Zündfunk in Gefahr

Der Bayerische Rundfunk will einen Jugendsender gründen. Dem könnte die einzige kritische Sendung zum Opfer fallen: der Zündfunk. von stefan wirner

Dunkelgrüne Wälder, die Hügel in Nebel gehüllt, endlose Tage, an denen nichts passiert. Du hast keine Lust zu gar nichts, vor allem nicht auf Hausaufgaben. Langeweile, Ödnis, Leere, nicht einmal die Freunde von der Bus­haltestelle kommen, wegen des schlechten Wetters. Der nächste Höhepunkt, der bevorsteht, ist die »Kirwa«, das Kirchweihfest. Berlin, Hamburg, Köln, die Städte, in denen etwas passiert, sind weit, verdammt weit weg. Aber es gibt ein Licht, das leuchtet auch über deinem Dorf in der bayerischen Provinz. Es ist nachmittags um halb fünf, und du drehst das Radio an, »Bayern 2«: der Zündfunk!

So oder so ähnlich haben sich wohl viele gefühlt, die in Bayern aufgewachsen sind. Für mehrere Generationen Jugendlicher, und nicht nur für sie, war der Zündfunk der einzige Trost in der Tristesse der bayerischen Provinz. Zwei Stunden am Tag schien es auch hier möglich zu sein, etwas anderes zu hören als den sprichwörtlichen Landfunk.

In den vergangenen Wochen aber wurden die Gerüchte immer zahlreicher, dass der Zündfunk demnächst vielleicht nicht mehr das Radioprogramm beleben könnte.

Der Pressesprecher des Bayerischen Rundfunks, Rudi Küffner, bestätigte der Jungle World, dass die Gründung eines Jugendradios geplant sei. Man sei »fest entschlossen«, man müsse etwas tun »im Sinne der Nachwuchspflege«. Doch so wichtig und dringlich dieses Projekt zu sein scheint, eine UKW-Frequenz will der Bayerische Rundfunk dafür nicht zur Verfügung stellen. Das Jugendradio soll »auf dem allerdings nicht sehr weit verbreiteten DAB (Digital Audio Broadcast) laufen«, gesteht Küffner freimütig ein. »Das ist das einzige, was feststeht«, sagt er. Die Gründung des Jugendradios müsse aber nicht das Ende des Zündfunks bedeuten, es könne auch sein, dass er im neuen Radio aufgehe.

Das aber ist genau das, was schon seit langem zu befürchten war: dass der Zündfunk eines Tages in einem anderen Programm des Bayerischen Rundfunks »aufgeht«. Denn die Sendung war immer etwas Besonderes im bayerischen Radio, ein Ding der Unmöglichkeit, etwas, das es eigentlich nicht hätte geben dürfen. Mit seinen kritischen politischen Berichten, seiner Musik jenseits des Mainstreams und seiner Kritik der Popkultur ist er in Bayern eine extraterrestrische Erscheinung.

Zwar gibt es einen Popkanal, »Bayern 3«, der von übel gesonnenen Menschen aber gerne »Bayern Brei« genannt wird wegen seiner »Ausgewogenheit« zwischen Simply Red und Robbie Williams. Der Rest des Radioprogramms des Bayerischen Rundfunks »bietet 365 Tage im Jahr vorweihnachtliche Stimmung«, wie es der Journalist Wolf Reiser einmal ausdrückte. Die Bands Ideal oder Fehlfarben hätte man zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle in Bayern ohne den Zündfunk nicht zu hören bekommen, genauso wenig wie knapp zwei Jahrzehnte später Tocotronic oder andere Gruppen der »Hamburger Schule«. Wahrscheinlich hätte es auch die oberbayerische Musikszene, Bands wie The Notwist oder Console, ohne den Zündfunk nie zu größerer Bekanntheit gebracht, vermutet das Internetmagazin Telepolis.

Der Zündfunk wurde er mit vielen Preisen ausgezeichnet, etwa mit dem New York Radio Festival Award, und belegte in Umfragen von Musikzeitschriften, wie etwa der Spex, immer vordere Plätze unter den beliebtesten Radiosendungen. Die Zeit sprach im vorigen Jahr vom »Besten, was der Musikjournalismus in Deutschland zu bieten hat«.

Dabei ist er schon lange keine reine Jugendsendung mehr. Weil er in all dem von der CSU dominierten Radio und Fernsehen eine der wenigen liberalen Stimmen in Bayern darstellt, wird er auch von Leuten gehört, die älter sind als 30. Nur zur Erinnerung: Der Bayerische Rundfunk etwa verweigerte in den achtziger Jahren schon mal die Ausstrahlung des »Scheibenwischers« mit Dieter Hildebrandt, weil dort Kritik am Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf geäußert wurde.

Derzeit sendet der Zündfunk auf »Bayern 2« eineinhalb Stunden am Vorabend und eine Stunde nachts den »Nachtmix« mit prominenten DJs wie etwa dem Schriftsteller und Musiker Thomas Meinecke von der Band FSK. Künstler wie Herbert Achternbusch oder Elfriede Jelinek haben in der Vergangenheit Beiträge für ihn verfasst. Das neue Jugendradio aber soll ein »quadromediales Ereignis« werden, wie Küffner es beschreibt, und »sehr stark auf die Bedürfnisse der heutigen Kundschaft« ausgerichtet sein. Es soll im Internet begleitet werden, etwa mit »Blogging«, es werde kein »Jugendradio alten Stils« enstehen.

Die bayerischen Rundfunkplaner scheinen sich die sanfte Abwicklung des ostdeutschen Jugendradios DT 64 zum Vorbild genommen zu haben. Anfang der neunziger Jahre, nach der Wende in der DDR, hatte es seine beste Zeit, mit kritischer Berichterstattung und einem Musikprogramm, das nicht überall zu hören war. Der erste Schritt zu seiner Auflösung war damals die Angliederung an den MDR. Die Redaktion musste von Ost-Berlin nach Halle umziehen, und das Programm war nicht mehr in allen fünf neuen Ländern zu hören. Man kappte die UKW-Frequenz, schob es aufs Kabel ab und nannte es »Sputnik«. Neue Namen aber bringen nicht immer nur Glück, manchmal dienen sie auch dazu, eine Tradition zu brechen. DT 64 war tot, das Team der Mitarbeiter zerbrach, und »Sputnik« wurde ein Mainstreamradio unter vielen beim MDR.

Etwas Vergleichbares scheint nun dem Zündfunk zu drohen. Seine schleichende Abwicklung begann für manche bereits im Jahr 2003. Bis dahin war er nachmittags zwischen 16 Uhr 30 und 18 Uhr zu hören. Man verschob die Sendezeit nach hinten, auf 19 Uhr, und schon waren die kritischen Berichte, etwa über den Rechtsextremismus in Deutschland, aus der Primetime, in der die Leute im Auto gerne Radio hören, verbannt. Die neue Sendezeit kostete Zuhörer: Die Veranstaltungshinweise für den Abend kommen um 19 Uhr zu spät, außerdem müssen viele Jugendliche um diese Zeit am Familienleben teilnehmen und mit den Eltern zu Abend essen.

»Die Frage ›Zündfunk hin, Zündfunk her‹, ist nicht die zündende«, wiegelt Küffner ab. Wenn er sagt, es sei kein weiterer »Musikbeschallsender« geplant, dann ist genau das Gegenteil zu erwarten. An bayerischen Radiogeräten könnte der Aus-Knopf wieder wichtiger werden.