SOS Brandenburg

Der Verein »Opferperspektive« kümmert sich um Opfer rechter Gewalt in Brandenburg. Auch ihn könnte die geplante Umwidmung von Mitteln des Regierungsprogramms gegen Rechtsextremismus treffen. von andreas speit

Die Taten wirken nach. Viele Betroffene rassistischer Übergriffe und neonazis­tischer Angriffe leben in dauerhafter Angst. »Das alltägliche Leben hat sich für sie von einem Tag auf den anderen geändert«, erzählt Olga Schell von der »Opferperspektive«. Die körperlichen Schäden verheilten möglicherweise schnell, die seelischen Probleme aber wirkten oftmals länger nach, betont die Mitarbeiterin des in Potsdam ansässigen Vereins, der sich für die »Opfer rechter Gewalt« einsetzt. »Die Schläge oder Tritte entziehen Menschen den Boden, und wenn sie von Angriffen wie auf Ermyas M. hören, erschüttert sie das wieder«, sagt sie.

Die alltäglichen Anfeindungen etwa hatten die zwei Asylbewerber aus Afrika, die Schell derzeit betreut, längst als »normal hingenommen«. Aber in der Nacht des 11. März wurden sie in Cottbus brutal von zwei Rechtsextremen angegriffen. Gegen 0:45 Uhr wurde der eine in einem Bus in der Nähe der Haltestelle Stadtpromenade so heftig getreten, dass er durch die Tür auf die Straße fiel. Als der andere die Angreifer zur Rede stellen wollte, wurde er beschimpft und geschlagen. Kurz nach dem Angriff brachte die Polizei die beiden Asylbewerber auf die Wache, wo sie aber erst nach stundenlangem Warten Anzeige erstatten durften. Der Angriff habe sie nicht bloß körperlich verletzt, erzählt Schell. »Einer der beiden ist seit dem Vorfall psychisch stark angegriffen, er fühlt sich in Cottbus nicht mehr sicher.«

Sie könnte von weiteren Übergriffen aus den vergangenen Tagen berichten, wie etwa von jenem in Rheins­berg, wo am 20. April zwei Rechte auf einen 16jährigen einschlugen. In der Chronologie rechter Über­griffe des Vereins tauchen Rheinsberg und Cottbus immer wieder auf. Aber auch Potsdam. Rund 300 rechte Gewalttaten zählt die »Opferperspektive« jährlich. »In Brandenburg ist die Gefahr, von Rech­ten angegriffen zu werden, zehn Mal größer als im Bundesdurchschnitt«, betont Kay Wendel, ein Team­kollege von Schell. Diese Zahlen zeigten zwar das »erschreckende Niveau der Gewalt«, hebt er hervor, »sie sagen aber wenig über das Ausmaß von Angst und Einschüchterung aus«.

Erst im vergangenen Jahr haben auch Antifa-Gruppen auf die »neue Qualität neonazistischer Gewalt« in der brandenburgischen Hauptstadt hingewiesen. Opfer der Neonazis werden immer wieder Menschen mit der »falschen Hautfarbe« oder solche, die für links gehalten werden. Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) bekennt: »In Sachen Rechtsextremismus haben wir ein Problem.« Nur Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) will nicht von einer »fest gefügten Szene« in der Landeshauptstadt sprechen.

»Der Minister liegt falsch«, meint Marvin Schulte von der Forschungsgruppe Rechtsextremismus an der Universität Potsdam. Seit dem Jahr 1998 ist »Potsdam Aktionsort rechtsextremer Kameradschaften aus Berlin und Brandenburg«. Das belegt die Studie »Rechtsextremismus in Potsdam 1992 bis 2005«. Die »Anti-Antifa-Sektionen« gingen »besonders gegen Linke und Jugendliche vor«, heißt es darin. In Potsdam und Umgebung habe die »rechtsterroristische ›Nationale‹ Bewegung« auch Brandanschläge auf jüdische Einrichtungen und Geschäfte von Ausländern verübt. Die Hemmschwelle für Gewalt sei bei den Jugendlichen »ins Bodenlose gefallen«, betonte Tamás Blénessy am Freitag bei der Vorstellung der Studie. Viele Rechte seien »völlig enthemmt und ohne Reue«.

Andere Studien weisen in eine andere Richtung, aber auch sie geben keine Entwarnung. In der Studie »Jugend in Brandenburg 2005« etwa stellte das Team um Dietmar Sturzbecher, den Leiter des Instituts für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam, fest, dass immer mehr brandenburgische Jugendliche »rechtsextremistische Positionen völlig ablehnen«. Im Jahr 1993 habe dieser Anteil nur ein Drittel betragen, 2005 mehr als die Hälfte. In der Erhebung wurden 3 379 Jugendliche im Alter von 12 bis 20 Jahren befragt. Knapp die Hälfte der Jugendlichen stimmte allerdings Aussagen zu wie: »Deutschland braucht wieder einen Führer« oder »Die Juden sind mitschuldig, wenn sie gehasst und verfolgt werden«. »Unter der Landesjugend«, erläutert Sturzbecher, befinde sich »ein ›harter Kern‹ von ca. drei Prozent rechtsextremen Jugendlichen«. Auch eine leichter Zunahme gewalttätiger Aktionen sei festzustellen.

Die im Umfang kleiner angelegte Untersuchung des Berliner Archivs der Jugendkulturen korrespondiert mit der größeren Erhebung. Das Team um Klaus Farin befragte 1 001 14- bis 18jährige ostdeutsche Schüler, von denen etwa drei Prozent Sympathien für die rechte Szene zeigten und 50 Prozent ihre Antipathie kundtaten. »Wer auf dem jugendkulturellen Beziehungsmarkt nicht zum Außenseiter werden will«, betont Farin, »meidet die rechte Szene.« Er nimmt aber an, dass sich rassistische Jugendliche vermehrt der größer werdenden HipHop-Szene zuwenden könnten. Mehr als ein Drittel der ostdeutschen Jugendlichen sei immer noch offen rassistisch und antisemitisch, betont die Studie.

Diese Tendenzen findet Schell von der »Opferperspektive« nicht minder alarmierend. Rassistische Ressentiments genügten um zuzuschlagen. Die Täter brauchten kein neonazistisches Weltbild, um auf ihre Opfer einzuprügeln. Diese Unterscheidung führe oft zur Ausblendung des politischen Tatmotivs. »Für die Opfer ist das unerträglich«, sagt Schell. Die Angegriffenen erscheinen dann oft selbst als »irgendwie kriminell verstrickt« oder als Verursacher der Auseinandersetzung.

Die nach dem rassistischen Übergriff auf Erm­yas M. in die Kritik geratene geplante Umwidmung von Mitteln des Programms gegen Rechtsextremismus könnte auch die »Opferperspektive« treffen. Im Jahr 2001 hat die damalige rot-grüne Regierung das Ak­tions­programm »Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus« gegründet und jährlich 19 Millionen Euro bereitgestellt. Da das Programm zum Jahresende ausläuft, will Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) das Geld ab 2007 anders verteilen. Hanno Schäfer, der Sprecher des Ministeriums, sagt der Jungle World: »Die Parteien haben sich darauf verständigt, das Förderprogramm künftig den aktuellen Entwicklungen anzupassen. Das bedeutet, dass der Rechtsextremismus zwar weiterhin im Vordergrund stehen wird, aber künftig zusätzlich die Integration junger Migranten gefördert wird.«

Wie diese Integrationsförderung aussehen soll, kann er nicht erklären. Er räumt ein, dass eine weitere thematische Änderung des Förderprogramms geplant sei. Ab 2007 soll jeder Form des Extremismus, also auch »Linksextremismus« und »Islamismus«, entgegengewirkt werden. »Es gibt in Deutschland ja eigentlich keinen aktiven, bedrohlichen Linksextremismus. Deshalb handelt es sich bei den geplanten Fördermaßnahmen eher um eine Bestandsaufnahme«, sagt Schäfer.

Jonas Fridmann von der »Opferperspektive« kritisiert dies scharf: »Diese Änderung ist konzeptionell unsinnig, da wir in Ostdeutschland kein Problem mit Linksextremismus und der Integration von Migranten haben, und praktisch verheerend, da uns das Geld fehlen würde, gegen Rechtsextremismus vorzugehen.«