Zu viele Männer

In dem Band »Female Consequences« geht es um Selbstermächtigungen gegen weiße männliche Dominanz in der Popkultur. von jens kastner

Popmusik galt lange als Hort der Subversion. Eine nicht unbedeutende Fraktion der Linken beschäftigt sich bis heute mit dem emanzipatorischen Potenzial, das die Jugend- und Populärkultur birgt. Dass die Kids aber nicht zwangsläufig unbedingt »alright« sind, hat Diedrich Diederichsen schon Anfang der der neunziger Jahre konstatiert, als Jugendliche mit Malcolm-X-Kappen Brandsätze auf Asylbewerber­heime warfen. Gleichzeitig wurde immer diffuser, was eigentlich gemeint war, wenn von Pop geredet wurde: Ging es ­anfangs um (sub-)kulturelle Codes und Strategien, schien Pop nach dem Ende der achtziger Jahre alles Mögliche zu werden: Alberne Fernsehmoderatoren, Mainstream-Bands, Öffentlichkeit im allgemeinen, postmoderne Theorie und selbst der Bundeskanzler waren plötzlich Pop.

Der Sammelband »Female Consequen­ces« beschäftigt sich mit einem Thema der Poptheorie, das bislang kaum bearbeitet wurde. Es geht in ihm, grob gesagt, da­rum, wer hier überhaupt das Sagen hat. Denn auch in der Popkultur werden – wie im Rest der Gesellschaft – Ausschlüsse betrieben und reproduziert. Unter 116 Bands, die im Mai 2005 in verschiedenen deutschsprachigen Musikmedien besprochen wurden, fand sich beispielsweise nur eine einzige, die ausschließlich aus Frauen bestand. Diese von Stefanie Kiessling und Nina Stas­tný genannte Zahl ist nur ein Ausdruck des nach wie von Männern beherrschten Business. Weiße, heterosexuelle Männlichkeit, meinen die Autorinnen, stelle sich also auch im Pop als Universalie dar.

Während popkulturelle Studien zu »schwarzer Musik« längst die Regalmeter der Cultural-Studies-Bibliothek füllen, sind bislang nur wenige auf die Idee gekommen, Rock oder gar klassische Musik als Ausdruck von Weiß-Sein zu beschreiben. Musik auch im Hinblick auf Mehrheitsgesellschaften mit Ethnizität zu verknüpfen, geschieht bislang eher selten. Rosa Reitsamer tut dagegen in ihrem Beitrag beides. Sie beschreibt Pop als männlich und von Weißen dominiert. Die Musik erscheint ihr als Teil kultureller Prozesse, die weiße Überlegenheit behaupten. Was als Universalgeschichte der Musik daherkommt, sind also letztlich die Ausdrucksformen bürgerlicher weißer Männer, wobei ­sicherlich die Formen der Männlichkeit von Mozart über Iggy Pop bis zur »Hamburger Schule« erheblich variieren. Welche dieser Variationen gerade modern und vorherrschend ist, das wird in Kämpfen um »hegemoniale Männlichkeiten« (Robert Connell) entschieden.

Popmusik ist also immer in Macht und Herrschaft verstrickt. Die Reak­tionen darauf, die »Female Consequen­ces«, sind im Grunde jenen sehr ähnlich, die es in sozialen Bewegungen gab und gibt. Grob lassen sich zwei Strategien unterscheiden, um mit fehlender Repräsentation umzugehen: einerseits der schlichte Kampf um Hegemonie, andererseits etwas, das man Nischenpolitik nennen könnte. Beide Strategien werden in dem Sammelband in unterschiedlichen Kontexten besprochen.

Interessant ist auch die Feststellung, dass die notwendige Ausdifferenzierung feministischer Theorie der Verbreitung feministischer Positionen inzwischen fast entgegenzuwirken scheint. Antiessenzialismus, Poststrukturalismus, Psychoanalyse, wer kommt da noch mit? Auf dieses Problem im Kampf um Hegemonie weist zumindest Angela McRobbie in ihrem lesenswerten Text zum Zusammenhang von feministischer Forschung und Cultural Studies hin. Doch die mangelnde Vermittlung existiert nicht etwa nur im akademischen Bereich. Der Hype um Türk-Pop beispielsweise, davon erzählen dann Vlatka Frketic und Fatih Aydogdu im Gespräch mit der Herausgeberin und dem Herausgeber, hat letztlich keinerlei messbare Auswirkungen auf die Diskussionen um den EU-Beitritt der Türkei.

Als in gewisser Hinsicht wirkungsvoller erweist sich da die zweite Strategie, die mehr auf Selbstorganisation setzt. Für die individuelle Politisierung ist nicht selten ausschlaggebend, welche Zeitung man zu welchem Zeitpunkt in die Hände bekommt. Fan­zines und andere selbst produzierte Zeitungen dienen dabei aber nicht nur der Verstän­digung innerhalb der eigenen Gruppe und der Vergewisserung der eigenen Identität. Sie wurden bereits in den siebziger und achtziger Jahren auch dazu genutzt, »Rechte und Gleichberechtigung im sozialen, kulturellen und politischen Leben aktiv einzufordern«, wie Christiane Erharter und Elke Zobl aufzeigen. Die Autorinnen zeichnen die Entwicklung feministischer Zeitschriften und Musiknetzwerke von den Riot Grrrls bis zur Ladyfest-Bewegung nach. Monika Ankele spürt sogar in Wien einem »feministischen Substream« nach. Sie stößt dabei allerdings auch auf das Problem jeder Identitätspolitik, nämlich jene Kategorie zum Ausgangspunkt des eigenen Handelns zu machen (»women only«), die eigentlich aufgelöst werden soll (»no girls, no boys«).

Durch die Kombination von Essays, Gesprächen und wissenschaftlichen Aufsätzen bietet das Buch einen Einblick in die verschiedenen Diskurse, die sich gegen die Dominanz weißer Männlichkeit in der Popkultur entwickelt ­haben. Popmusik ist offensichtlich ein Feld, in dem es nach wie vor um Widerstand geht.

Rosa Reitsamer/Rupert Weinzierl (Hg.): Female Consequences. Feminismus, Antirassismus, Popmusik. Löcker Verlag, Wien 2006, 199 S., 15 Euro