Bomben gegen den Dialog

Zum dritten Mal innerhalb von 18 Monaten schlugen islamistische Attentäter auf der Sinai-Halbinsel zu. Die ägyptische Regierung macht die Beduinen für den Terror verantwortlich. von jörn schulz

Dahab galt seit langem als sündhafter Ort, nicht nur unter Islamisten. Dass viele Urlauber dort »den ganzen Tag stoned« seien, vermerkten Wil und Sigrid Tondok pikiert in ihrem Reiseführer »Ägypten für Globetrotter«. Für den Besitz von Drogen kann die Todesstrafe verhängt werden, in Dahab aber duldete die Polizei den Verkauf von Marihuana. Schließlich bringen auch Kiffer Devisen ein.

Den Ruf eines Biotops für Freaks hat Dahab seit den neunziger Jahren weitgehend verloren. Neben den Reihen nur mit einer Matratze ausgestatteter Hütten stehen Hotels, darunter sogar eine Dependance des Hilton. Das hatte einige unerfreuliche Folgen, doch brachte das rasante Wachstum auch eine Gruppe von Touristen in den Ort, die zuvor dort nur selten zu sehen waren: Ägypter.

Die Minderheit, die sich überhaupt einen Urlaub leisten kann, besuchte die »religiös korrekten« Badeorte am Mittelmeer, wo nicht die Gefahr bestand, die nackte Brust einer Frau zu sehen oder gar einem leibhaftigen Juden zu begegnen. Seit einigen Jahren haben säkulare Ägypter jedoch den Reiz der Strände am Roten Meer entdeckt, wo ein zwangloser »Dialog der Zivilisationen« zwischen westlichen und israelischen Touristen, Soldaten der multinationalen Sinai-Truppe und diversen Gruppen von Einheimischen stattfindet. »Ich habe drei Tage frei und werde ans Rote Meer fahren«, teilte der Kairoer Blogger Big Pharao am vorletzten Sonn­tag mit. Einen Tag später, noch am Abend der Anschläge, beruhigte er seine Leser: »Ich bin am Leben.« 21 der 24 Menschen, die bei den drei Selbstmordattentaten in Dahab starben, waren Ägypter.

Dass wegen der Feiertage besonders viele dieser aus islamistischer Sicht gottlosen Ägypter in Dahab anwesend waren, mag für die Terroristen ein zusätzlicher Anreiz gewesen sein. Wichtiger war aber wohl die symbolische Wirkung von Anschlägen am Vorabend des »Tages der Befreiung des Sinai«, der an den Rückzug Israels von der Halbinsel im Jahr 1982 erinnert. Das bestätigen die beiden gegen die multinationale Truppe gerichteten Selbstmordattentate am Mittwoch der vergangenen Woche, die keinen größeren Schaden anrichteten. Die Stationierung der Truppe ist Teil des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages.

Nach den Anschlägen in Taba und Sharm al-Sheikh war dies die dritte Attentatserie auf der Sinai-Halbinsel innerhalb von 18 Monaten. Es ging nicht allein um die Schädigung der ägyptischen Tourismusindustrie, die dem Land im vergangenen Jahr mehr als sechs Milliarden Dollar einbrachte. Die Anschläge richteten sich gegen Orte, in denen sich Israelis und Araber begegnen, und gegen jegliche Verhandlungslösung im Konflikt mit Israel, selbst wenn sie einem arabischen Land spürbare Vorteile bringt wie die Rückgewinnung der Sinai-Halbinsel.

Auch der Regierung in Kairo, die derzeit die Hamas etwas mehr Kompromissbereitschaft zu drängen versucht und mit Israel die Entsendung ägyptischer »Militärberater« nach Gaza vereinbart hat, dürfte das nicht entgangen sein. Doch sie will einerseits jede Beteiligung von al-Qaida an den Anschlägen abstreiten, weil dieses Label Touristen abschrecken könnte, andererseits aber auch nicht eingestehen, dass es im eigenen Land eine islamistische Terrorszene gibt. »Die Informationen deuten darauf hin, dass die terroristischen Attentate in Dahab von Sinai-Beduinen begangen wurden«, sagte Innenminister Habib al-Adly.

Mehr als 2 500 Beduinen wurden den Berichten von Human Rights Watch zufolge nach den Anschlägen in Taba und Sharm al-Sheikh verhaftet. Es kam auch zu Verurteilungen, nicht jedoch zu einer unabhängigen Untersuchung der Beweise und einer Überprüfung möglicherweise durch Folter erzwungener Geständnisse.

Bereits der Prophet Mohammed war nicht gut auf die Wüstennomaden zu sprechen: »Die Beduinen sind mehr dem Unglauben und der Heuchelei ergeben und eher geneigt, die Gebote, die Gott seinem Gesandten offenbart hat, zu übersehen.« (Koran 9:97) Damals neigten sie dazu, den Übertritt zum Islam als ein zeitlich begrenztes Bündnis zu sehen, das ihnen Anteile an der zu erwartenden Kriegsbeute sichern sollte, während der Prophet dauerhaftere Gefolgschaft forderte. Der Vorwurf mangelnder Loyalität gegenüber der Obrigkeit hat sich bis heute gehalten.

Beduinen im traditionellen Sinne des Wortes gibt es auf dem Sinai kaum noch, denn die Vieh­zucht rentiert sich nicht mehr. Die Geographin Andrea von Sarnowski schätzt, dass 90 Prozent der Beduinen im Tourismussektor arbeiten. Wenn Adly, der ja auch schlicht von der »lokalen Bevölkerung« hätte sprechen können, den Beduinen die Schuld zuschiebt, grenzt er das Terrorproblem von der ägyptischen Gesellschaft ab.

Nicht nur die Regierung neigt dazu, die Zugehörigkeit der Beduinen zur ägyptischen Nation mehr oder weniger direkt anzuzweifeln. Für die meisten seiner Einwohner ist Ägypten das Nilland vom Delta bis Assuan, wer vom Sinai nach Kairo reist, fährt »nach Ägypten«. Das Wachstum des Tourismussektors und der Ölindustrie auf der Halbinsel zog jedoch viele Arbeitskräfte aus dem Nilland an, nur noch ein Viertel der Bevölkerung des Sinai sind Beduinen. Sie werfen den Behörden vor, die »Ägypter« bei der Verteilung von Baugrund und Lizenzen zu bevorzugen, und viele von ihnen müssen sich mit randständigen Jobs im Tourismussektor wie dem Anbieten von »camel rides, very cheap« durchschlagen. Unter ihnen gibt es sicher Unzufriedene, die für Rekrutierungsversuche islamistischer Gruppen anfällig sein könnten. Doch auch viele Migranten aus dem Nilland leben in Armut.

Sicher ist, dass die auf der Halbinsel operierende terroristische Gruppe von Männern geführt wird, die mit dem Internet vertrauter sind als mit der Kamelzucht, wahrscheinlich von Angehörigen der städtischen Mittelschichten. Die jihadistische Ideologie von al-Qaida wurde in Ägypten entwickelt, ihr wichtigster Protagonist in der traditionellen Führung der Organisation ist der in einem Vorort von Kairo geborene Arzt Ayman al-Zawahiri. Es gibt bislang jedoch keine Hinweise auf eine operative Verbindung zu den Führungsgruppen von al-Qaida in Pakistan oder im Irak. Die Verknüpfung mehrerer ideologischer und praktischer Ziele entspricht jedoch dem Muster von al-Qaida, vermutlich gehören die im Sinai aktiven Islamisten zu jenen, die sich an den im Internet verbreiteten Vorgaben Ussama bin Ladens und Abu Musab al-Zarqawis orientieren.

Die Massenverhaftungen in den vergangenen 18 Monaten haben weitere Anschläge nicht verhindert, doch das Regime scheint an seiner ineffektiven Strategie festhalten zu wollen. Die Regierung Präsident Hosni Mubaraks, die ein archaisches Bildungssystem konserviert, den reaktionären Staatsislam fördert und über staatliche Medien Antisemitismus verbreiten lässt, schafft ein politisches Klima, in dem der islamistische Terror gedeihen kann, um ihre Herrschaft zu sichern. Diesem Ziel dient auch die am Wochenende vom Parlament beschlossene Verlängerung des seit einem Vierteljahrhundert geltenden Ausnahmezustands um weitere zwei Jahre. Gegen diese Maßnahme stimmten fast nur die Abgeordneten der islamistischen Muslimbruderschaft.