Ein Wort fehlt

»Tag der Befreiung« in Italien von federica matteoni

»An diesem Tag finden in unserem Land immer die schönsten Demonstrationen statt«, kommentierte die linke Tageszeitung il manifesto am 26. April, nachdem am Vortag in ganz Italien das »Fest der Befreiung« gefeiert worden war. Am 25. April 1945 hatten die großen Parti­sa­nenaufstände gegen die Nazifaschisten in mehreren Städten Norditaliens begonnen, Mailand wurde befreit. Der 25. April ist ein symbolisches Datum der Resistenza und wurde nach dem Krieg zum Nationalfeiertag erklärt, war aber immer vor allem eines: ein antifaschistisches Fest.

Am Dienstag voriger Woche konnte man auf der Großdemonstration in Mailand, an der 100   000 Menschen teilnahmen, beobachten, was von Fest und Antifaschismus übrig geblieben ist. Alles begann, als die Bildungsministerin der Regierung Berlusconi, Letizia Moratti, Kandidatin für das Amt des Bürgermeisters von Mailand, auf der De­mons­tration auftauchte. Sie wurde so heftig kritisiert, dass sie gleich wieder verschwinden musste. Doch sie war nicht nur als Regierungsvertreterin gekommen: Sie schob ihren einst in das Konzentrationslager Dachau deportierten Vater im Rollstuhl mit. Als die Mitglieder der Jüdischen Brigade – einer unter anderem an der Befreiung von Rom und Florenz beteiligten unabhängigen Einheit der britischen Armee – vorbeizogen, riefen die Anhänger der Mailänder Koordination für Palästina Parolen wie »Zionistenschweine« und »Israel, terroristischer Staat«. Einige Meter weiter wurden Is­rael-Fahnen verbrannt.

Vergeblich suchte man tags darauf in der linken Presse nach einer kritischen Bewertung dieser Ereignisse. Berichtet wurde über das »große Fest«, am Rande wurden die »wenigen dummen Provokateure« erwähnt. In den anderen Medien wurde das Geschehen nur oberflächlich skandalisiert: Von Spitzenpolitikern des frisch gewählten Mitte-Links-Bündnisses und dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer und Rifondazione-Vorsitzenden, Fausto Bertinotti, wurde verlangt, dass »die Linke« keine »Provokateure« und »Gewalttäter« mehr dulden dürfe. Die übliche vage Forderung nach jeder De­monstration, die nicht ganz friedlich verläuft. Doch hier ging es nicht um Krawalle. In der ganzen Debatte, die im Grunde keine war, fehlte ein Wort: Antisemitismus.