Gangster, Babys, Abendrot

Der südafrikanische Film »Tsotsi« will ein vom Elend zerrissenes Land porträtieren. Leider gelingt dem Regisseur der Blick unter die Oberfläche nicht. von markus sailer

Der junge Gangster hat ein schönes Gesicht. So jungenhaft unschuldig, dass man ihm nicht zutraut, eine kleine Gang von Herumtreibern anzuführen, die in der voll besetzten U-Bahn einen freundlichen älteren Herrn umzingelt und ihn beim kleinsten Anzeichen von Widerstand für ein paar Geldscheine kaltblütig absticht. Zu unschuldig wirkt er, als dass man mit der Explosion der Gewalt rechnen würde, in der er seinem Freund Boston, der nach dem Mord in der U-Bahn Gefühle zeigt und diese auch von ihm fordert, das Gesicht zu Brei tritt. Der schöne Schein des Gesichts dieses Jungen namens Tsotsi trügt.

Im Slang der Townships Südafrikas bedeutet »Tsotsi« so viel wie »Gangster«. Einen anderen Namen hat dieser Tsotsi nicht mehr. Er hat keine Identität außer der des Gangsters, des Außenseiters, der sich mit Gewalt nimmt, was er braucht, und der mit Gewalt auf alles reagiert, was ihm Angst macht und gefährlich werden könnte. Und davon gibt es nicht nur in seinem Leben reichlich.

Südafrika hat eine der höchsten Mord­raten der Welt. Vergewaltigungen, Körperverletzung, Raub und Eigentumsdelikte sind Zahlreich. Die Aids-Rate des Landes von über 20 Prozent ist eine der höchs­ten der Welt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, Tendenz steigend. Von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren vor allem die Bessergestellten. Viele Südafrikaner, zumal jene, die sich die Abschirmung in gesicherten Zonen leisten können, reagieren hinsichtlich dieser Probleme mit Verdrängung und Gewöhnung.

Mit »Tsotsi« wurde nun bei den diesjährigen Oscar-Verleihungen ein Film prämiert, in dessen Hauptfigur sich diese großen Probleme Südafrikas spiegeln. Als Kind einem Elternhaus entflohen, in dem die Mutter an Aids dahinsiechte und der jähzornige Vater sein Elend im Suff betäubte, steht Tsotsi für unzählige Jugendliche, die sich aus den Slums nach oben boxen wollen und dabei lernen, mit vorgehaltener Waffe und emotionaler Härte ein wenig von ihrer kindlichen Unschuld zu behalten. Diese Verletzlichkeit und Menschlichkeit wird in Hoods Film wieder offen gelegt durch eine schicksalhafte Begegnung zwischen Reich und Arm. In einem geraubten Auto entdeckt Tsotsi ein Baby. Zögerlich und unbeholfen beginnt der junge Gangster, sich um den Kleinen zu kümmern. Der hilflose Säugling weckt in ihm Erinnerungen an seine eigene Kindheit, und langsam lernt Tsotsi, sich der Erkenntnis zu stellen, dass er nicht für das Baby, sondern für sein eigenes Leben Verantwortung übernehmen muss.

Dass der Regisseur Gavin Hood mit solchen Szenen mehr leistet, als flüchtige Sentimentalität auszulösen, darf bezweifelt werden. Vom Überleben in einer Welt, die gezeichnet ist von Gewalt und eklatanter sozialer Ungleichheit will er erzählen. Aber muss man das Elend dann auch noch mit pittoresken Totalen zeigen, in denen sich der Dunst im romantischen Abendrot über das Township legt? Mit Bildern von einsamen Hauptdarstellern, die in strömendem Regen auf hübsch heruntergekommenen Bahnanlagen dahinschreiten und denen sich die Stirn über existenziellen Fragen furcht?

Zu glatt sind die Bilder, die der Regisseur da bietet. Mag sein, dass er ein ihm wichtiges Anliegen mit gefälligen Bildern und einer rührenden Story unter die Leute bringen wollte. Für einen Oscar mag das taugen, aber ein denkwürdiger Film kam dabei nicht heraus. Als »bester fremdsprachiger Film« wirkt »Tsotsi« vielmehr wie eine vertane Chance, einem internationalen Publikum unverstellte Blicke auf die Zerrissenheit Südafrikas zu bieten. Die vom Hollywood-Mainstream abgeschauten Motive – eine Begegnung mit einem lebensweisen Krüppel, der treudoofe Buddy, die Wohlstandsattribute der arrivierten Schwarzen –, die Formelhaftigkeit des Plots und die nette Botschaft vom Guten in jedem Menschen lassen eher an ein verfilmtes Musical denken, das in letzter Minute vor einem Happy End zurückschreckt, als an eine kritische Milieustudie, die ihr Publikum mit der Realität der Townships und den extremen Spannungen in der südafrikanischen Gesellschaft konfrontiert.

In seiner politisch-korrekten Art ähnelt »Tsotsi« dem ebenfalls oscarprämierten amerikanischen Film »L.A. Crash« und ist wie dieser ein Film der guten Absichten, dem beim Polieren seiner Aussage jeglicher Widerhaken ver­loren ging: ein hübscher Film mit hübschen Darstellern, hübschen Babys, hübschen Ansichten von Elendsvierteln und einem hübschen Bild der Läuterung kurz vor dem Ende, wenn der Held sich ein weißes Hemd anzieht und von einem Hügel aus mit einem Baby neben sich den Sonnenuntergang über der Großstadt betrachtet. Solch malerische Oberflächen verwehren den Blick in die Tiefe und erwecken einem den Eindruck, dass hier die harte soziale Realität als Hintergrund für ein schön-trauriges Märchen herhalten musste. Doch die gesellschaftlichen Konflikte werden unter der Oberfläche genauso weiter brodeln wie die Wut hinter dem schönen Gesicht des jungen Gangsters.

»Tsotsi« (Südafrika 2005), Regie: Gavin Hood. Kinostart: 4. Mai