Kein Glanz ohne Gerhard

Das deutsch-russische Gipfeltreffen von ute weinmann

Gerhard und Wolodja – gemeint sind Gerhard Schröder und der russische Präsident Wladimir Putin – hatten das Ende April in der sibirischen Stadt Tomsk abgehaltene russisch-deutsche Gipfeltreffen sorgfältig eingefädelt. Insbesondere der Gastgeber war bemüht, die Voraussetzungen zu schaffen für einen in jeglicher Hinsicht ungestörten »Dialog« zwischen zahlreichen Regierungsvertretern und potenziellen Investoren. Statt Männerfreundschaft und Kumpanei herrscht unter Kanzlerin Angela Merkel ein Klima höflicher Reserviertheit, kombiniert mit einer ausgeprägten Bereitschaft zum Pragmatismus. Es gilt schließlich, die sagenhaften Weiten Sibiriens mit ihren verlockenden Bodenschätzen zu erobern oder zumindest eine kleine Teilhabe daran zu erringen.

Acht Abkommen wurden während des zweitägigen Treffens unterzeichnet, darunter eine Vereinbarung über die Gründung einer russisch-deutschen Außenhandelskammer und eines gemeinsamen Logistikunternehmens der Deutschen und der Russischen Bahn. Das wich­tigste Abkommen betrifft den Tausch von Firmenanteilen zwischen BASF und Gazprom. BASF erhält Zugriff auf das lukrative sibirische Gasfeld Juzhno-Russkoje, Gazprom erhöht seinen Anteil andem Gemeinschaftsunternehmen Wingas von 35 auf knapp 50 Prozent und übernimmt somit eine wichtige Rolle im Erdgasvertrieb und auf dem europäischen Markt.

Mit Gerhard wäre es dennoch leichter gewesen. Der russischen Presse nach zu urteilen, sähe es die dem Kreml treue Elite lieber, wenn Putin sich mit einem Mann als Gegenspieler öffentlich profilieren könnte. Das Treffen mit einer Kanzlerin gilt als ein weniger glanzvolles Spektakel. Zumindest begleitete die Berichterstattung über den Besuch der Kanzlerin ein wenig diskreter abwertender Unterton,indem die hartnäckige Angewohnheit beibehalten wurde, dem Nachnamen Merkel das deutsche Wort »Frau« voranzustellen.

Trotz der vorherrschenden Einigkeit wurden in Tomsk auch einige Differenzen thematisiert, beispielsweise im Konflikt um das iranische Atomprogramm. Doch Kritik an der immer autoritärer werdenden russischen Innenpolitik mochte Merkel nicht äußern, das scheint sie in Zukunft der US-Regierung überlassen zu wollen. Deutschland strebt eine stärkere Wirtschaftskooperation mit Russland an, um seine Macht in Europa zu vergrößern. Ein etwaiger Widerspruch zum Führungsstil des Präsidenten muss da zurückgestellt werden.

Die Stadt Tomsk ist schön anzusehen, solange man nicht nachschaut, was sich hinter den glänzenden Fassaden verbirgt. Beide Verhandlungspartner erweckten nicht einmal die Illusion, von dem zu erwartenden Boom könnte die Durchschnittsbevölkerung profitieren. Die lokalen Behörden und die Miliz versuchten bereits vor dem Treffen, einige Oppositionelle aus dem Umfeld der Sibirischen Konföderation der Arbeit und der Vereinigten Bürgerfront durch tätliche Übergriffe einzuschüchtern. Während des Gipfels erfolgten zahlreiche Festnahmen.

Der Unwillen der Sicherheitskräfte richtete sich auch gegen Rechtsextreme. Vier Mitglieder der Nationalbolschewistischen Partei versuchten, Merkels Aufmerksamkeit bei einem Spaziergang am Flussufer durch ein Flugblatt auf sich zu ziehen, in dem Putin als »östlicher Diktator« bezeichnet wurde. Merkel ließ sich nicht stören, dafür die Aktion das Interesse des Inlandsgeheimdienstes FSB weckte. »In Moskau kommt ihr nicht lebend an«, hieß es bei dem der Festnahme folgenden Verhör. Die vier hatten Glück. Nach ihrer Freilassung wurden sie von Unbekannten angegriffen, aber es blieb bei leichten Verletzungen. Nachbarn hatten sofort die Miliz gerufen.