Keiner soll oben ankommen

Mit der »Anderen Kampagne« versuchen die Zapatisten, die außerparlamentarischen Bewegungen Mexikos zu einen. Doch viele Organisationen wollen bei den Präsidentschaftswahlen im Juli für den Kandidaten der gemäßigten Linken stimmen. von wolf-dieter vogel, mexiko-stadt

Das Unabhängige Medienzentrum in Mexiko-Stadt schlug Alarm: Über 200 Festnahmen, Barrikaden auf den Ausfallstraßen der Metropole, Ausnahmezustand in den zapatistischen Dörfern im Süden des Landes. Der Grund hierfür war, dass bei militanten Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Bewohnern der nahe der Hauptstadt gelegenen Gemeinde San Salvador Aten­co ein 14jähriger Junge von Beamten getötet worden war. Die Zapatistische Befreiungsarmee (EZLN) hatte deshalb »alle Teilnehmer der Anderen Kampagne dazu aufgerufen, im ganzen Land gegen diese Akte der Repression« zu protestieren.

Die Mobilisierungen, die in der vorigen Woche in Mexiko für Wirbel sorgten, waren ein erster Ernstfall für die Andere Kampagne, jenes bündnispoli­tische Projekt, für das sich die indigenen Rebellen aus dem südmexikanischen Bundesstaat Chia­pas einsetzen. Seit Anfang des Jahres reist Subcomandante Mar­cos durchs Land. Als »Delegierter Null« des EZLN trifft er sich mit allen, die sich der Initiative angeschlossen haben. »Von unten und für die von unten«, so heißt es, sollen »Alternativen zur neoliberalen Zerstörung« entwickelt werden. Und das mit allen, für die kapitalistische Modernisierung in erster Linie Armut und gesellschaftlichen Ausschluss bedeute.

Wer damit gemeint ist, erläuterte Marcos am 1. Mai auf dem Zócalo, dem zentralen Platz von Mexiko-Stadt: »Mit uns sind Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen, Schwule, Lesben und Transvestiten, Straßenkinder, Marktfrauen, Kleinhändler und andere Straßenverkäufer, die indigene Bevölkerung, Bauern ohne Acker­land oder solche, deren Boden gerade enteignet wird, Arbeiter, Studenten, Lehrer, Alte, die Hässlichen und Stinkenden – kurzum, mit der Anderen Kampagne vereinen sich die Besten dieses Landes.« Es waren dann auch in etwa Menschen aus diesem Spektrum, die sich an der Demonstration der Anderen Kampagne zum Tag der Arbeit beteiligten. Rund 20 000 Menschen waren dem Aufruf gefolgt.

War das ein Erfolg? Immerhin standen im Jahr 2001 rund 150 000 Menschen auf demselben Platz, um die Zapatisten auf ihrem »Marsch der Farbe der Erde« zu unterstützen. Und am Vormittag dieses 1. Mai demonstrierten 200 000 Gewerkschafter. Unter ihnen auch viele, die den Rebellen traditionell nahe stehen, beispielsweise Mitglieder der Gewerkschaft der Elek­trizitätsarbeiter (SME). Auch beim Arbeitertreffen der Anderen Kampagne Ende April waren unter den über tausend Teilnehmenden nur wenige Vertreter großer Gewerkschaften zu sehen. »Viele Organisationen, die sich am Anfang beteiligten, haben sich zurückgezogen«, sagt Eugenio Bermejillo, der in Chiapas für ein Netzwerk indigener Basisradios arbeitet. Auch große Bauernverbände wie Unorca, der mexikanische Ableger des globalisierungskritischen Via Campesina, bleiben auf Distanz.

Die Zurückhaltung hat einen einfachen Grund. In Mexiko wird am 2. Juli ein neuer Präsident gewählt, und auch viele linke Organisationen unterstützen Andrés Manuel López Obrador, den Kandidaten der Partei der Demokratischen Revolution (PRD). Die Zapatisten dagegen haben sich zu Beginn der Anderen Kampagne eindeu­tig gegen die PRD ausgesprochen, und der Delegierte Null stellt bei jedem seiner Auftritte klar: »Jeder, der oben ankommt, wird sich an uns bereichern und unseren Boden verkaufen.«

In den indigenen Gemeinden werden solche Worte gut verstanden. Schließlich hatte man dort auf die Unterstützung der PRD gehofft, als es im Jahr 2001 galt, über ein Gesetz für die Rechte der Indígenas abzustimmen. Nachdem sich aber viele Abgeordnete der PRD für einen Entwurf aussprachen, der von den meisten indigenen Organisa­tio­nen als völlig unzureichend abgelehnt wur­de, ist das Vertrauen in die gemäßigt linke Partei gering geworden. Deshalb, so meint Journalist Bermejillo, »hat die Andere Kampagne weiterhin eine große Basis unter den Indígenas«. Auf entsprechendes Interesse stieß der IV. Nationale Indígenakongress vom vergangenen Wochenende, zu dem die EZLN mit aufgerufen hatte.

Doch auch über die indigene Bewegung hinaus gibt es genug Menschen, die eher auf Selbstorganisierung als auf die PRD setzen. Im Bundesstaat Tlaxcala gründeten Prostituierte im Rahmen der Marcos-Visite einen Bundesverband, und an den Universitäten von Mexiko-Stadt stritten Studenten bereits Wochen vor dem Besuch des Subcomandan­te darüber, wo der Zapatist auftreten soll. »Ein Auf­tritt des Sub ist eine große Reputation für die künf­tige politische Arbeit,« erklärt der Student Jorge Muciño. Entsprechend oft gibt es Streit bei den Vorbereitungen. Immer wieder versuchen Grüppchen, den Besucher für sich zu vereinnahmen.

»Unsere Stärke ist die Vielfältigkeit«, hieß es auf einem Transparent, das die Bühnen verschiedener Veranstaltungen zierte. Und tatsächlich ist die Politik der Anderen Kampagne für die konservative mexikanische Linke geradezu revolutionär. Ob das Gemisch von schwul-lesbischen Gruppen, Campesinos und Gewerkschaftern aber langfristig zusammenarbeiten kann, muss sich erst noch erweisen. »Wir rufen euch nicht auf, die EZLN oder Marcos zu wählen. Wir kämpfen dafür, dass niemand uns befiehlt«, beschreibt Marcos in wenigen Worten das Konzept der Anderen Kampagne. Jede Bewegung müsse aus ihrer eigenen Situation heraus eigene Entwürfe entwickeln. Dennoch gilt die Selbstverwaltung der Zapatisten in Chiapas vielen als Vorbild: die Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten in den autonomen Gebieten sowie die selbstgewählten Räte, die über alle wichtigen Angelegenheiten des zapatistischen Lebens entscheiden.

Diese Erfolge und ihr energischer Kampf für indigene Rechte haben den Zapatisten ein hohes Ansehen verschafft. Deshalb musste selbst der konservative Präsident Vicente Fox dem Subcomandante freies Geleit auf seiner Reise zusichern. Auch die Vorsicht von Gewerkschaftern und Bauernvertretern gegen über der Anderen Kampagne ist taktisch. Viele wollen López Obrador wählen, in der Hoffnung, damit der wirtschaftsliberalen Politik der Regierung Fox ein Ende bereiten zu können. Langfristig jedoch, so sagt etwa der Sprecher der Gewerkschaft der Elektrizitätsarbeiter, Fernando Amezcoa Castillo, bleibe man der EZLN verbunden.

Diese Meinung teilen viele. Allerdings könnte diese Sympathie geringer werden, wenn sich neueste Umfragen bestätigen. War López Obrador lange Zeit mit Abstand der Kandidat mit den größten Chancen, so hat nun sein stärkster Gegner erheblich aufgeholt. Sollte López Obrador knapp verlieren, steht außer Frage, wer für die Niederlage verantwortlich gemacht werden wird: die Zapatisten, deren Sprecher keine Gelegenheit auslässt, gegen Obrador und das gesamte Wahlspektakel zu Felde zu ziehen.