Kosovo im Sinn

EU stoppt Verhandlungen mit Serbien von markus bickel

Wo steckt eigentlich Radovan Karadzic? Seit Monaten dreht sich in der EU und in Serbien alles um Ratko Mladic, den obersten General während des Bosnien-Krieges, nur nach dem einstigen Präsidenten der bosnisch-serbischen Republika Srpska fragt keiner. Das ist erstaunlich, ist Karadzic doch ebenso wie Mladic vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt. Spätestens seit dem Massaker von Srebrenica im Jahr 1995 galt er als Inbegriff des Bösen auf dem Balkan.

Vielleicht hat das Desinteresse etwas mit seinem möglichen Aufenthaltsort zu tun. Er wird im unzugänglichen Grenzgebiet zwischen Bosnien-Herzegowina und Montenegro vermutet. Schließlich bescheinigte die EU der bosnischen Regierung im Oktober trotz der Tatsache, dass Karadzic nicht ausgeliefert wurde, eine ausreichende Kooperation mit dem Haager Tribunal. Auch das Referendum über Montenegros Unabhängigkeit kann in zwei Wochen stattfinden, ohne dass der EU-freundliche Premierminister Milo Djukanovic für den Verbleib Karadzics haftbar gemacht wird.

Der serbischen Regierung kam man nur vor­über­gehend entgegen: Ein halbes Jahr nachdem Gespräche über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU beschlossen worden waren, setzte deren Erweiterungs­kommissar, Olli Rehn, die Verhandlungen in der vorigen Woche aus.

Als angeblicher Grund wurde genannt: Die Koalition des konservativen Premierministers Vojislav Kostunica habe Mladic nicht bis Ende April ausgeliefert. Als im Herbst die Verhandlungen über einen EU-Beitritt Kroatiens begannen, galten in Brüssel noch laxere Maßstäbe. Der Beteuerung des kroatischen Ministerpräsidenten Ivo Sanader, alles für die Festnahme von Ante Gotovina zu tun, der in Den Haag wegen der Vertreibung serbischer Bewohner aus der kroatischen Krajina im Jahr 1995 angeklagt ist, schenkte man Glauben. Festgenommen wurde der ehemalige General aber erst zwei Monate später.

Die Unterbrechung der Verhandlungen hat deshalb weniger damit zu tun, dass Mladic nicht verhaftet wurde, als mit den nur schleppend anlaufenden Kosovo-Gesprächen. Bereits seit Wochen üben die Vertreter der EU im Team des UN-Statusgesandten Martti Ahtisaari Druck auf die serbischen Gesandten aus, von ihrer Forderung nach weit gehender Autonomie des Kosovo Abstand zu nehmen.

Es liegt in der inneren Logik der Südosterweiterungsstrategie der EU, Serbien für seine mangelnde Kooperation bei der Statusklärung des Kosovo mit Hindernissen auf dem langen Weg in den Eliteclub zu bestrafen. Die Gründe sind austauschbar: heute Mladic, morgen die mangelnde Erfüllung wirtschaftsliberaler Vorgaben. Möglich ist auch, dass in einigen Monaten Zugeständnisse Serbiens in der Frage des Kosovo von der EU mit der Wiederaufnahme der Verhandlungen belohnt werden, selbst wenn Mladic dann noch immer auf freiem Fuß sein sollte.

Ein Konzept für das wahrscheinlichere Szenario aber hat die EU nicht. Nach dem Rücktritt von Kostunicas wirtschaftsliberalem Stell­vertreter Miroljub Labus ist die Zukunft der Großen Koalition in Belgrad ungewiss. Sollten bei Neuwahlen die Nationalisten der Radikalen Partei in die Regierung eintreten, dürften sie es sein, die die Kosovo-Verhandlungen aufkündigen. Um die angestrebte Unabhängigkeit des Kosovo ohne serbische Gesprächspartner durchzusetzen, müsste die EU dann wohl andere als diplomatische Mittel einsetzen.