Mein Freund, der Feind

Misstrauen, Verdacht und Verrat im Post-9/11-Klima: Benjamin Heisenbergs Film »Schläfer«. von esther buss

Die erste Einstellung ist verdächtig unverdächtig. Eine Totale. Sie zeigt einen Park im Sonnenschein, im Hintergrund, anfangs noch ganz klein und verschwommen, zwei Gestalten. Ein Ball rollt ins Bild und wird von einem Kind aufgehoben, das sofort wieder verschwindet. Heiteres Vogelgezwitscher. Im Spazierschritt nähern sich ein Mann und eine Frau, ihr leises Gemurmel wird allmählich verständlich. Der unspezifische Establishing Shot, dem jede visuelle Gestaltung fehlt, gleicht der nüchternen Aufnahme einer Über­wachungskamera. Im Gegensatz zu Michael Hanekes »Caché«, an dessen verstörende Eingangssequenz man sich hier erinnert sieht, wird in dieser Szene von Benjamin Heisenbergs Film aber schnell und unmissverständlich klar, wer hier von wem beobachtet werden soll und mit welchem Auftrag.

Die Frau ist eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes, und der korrekt aussehende Mann ein junger Doktorand, der gerade an den Münchener Lehrstuhl für Virologie gekommen ist. Johannes Merveldt wird gefragt, ob er bereit ist, seinen algerischen Kollegen zu beobachten. Farid Madani soll angeblich ein Schläfer sein, ein Terrorist also, der auf seine Aktivierung wartet. Frau Wasser vom Verfassungsschutz sucht Johannes mit dem klassischen Slogan zu überzeugen: »Wenn Sie das nicht machen, macht es jemand anders, der vielleicht nicht so verantwortungsvoll ist wie Sie.«

Der Film beschreibt ein Post-9/11-Klima, in dem die permanent beschworene Angst vor dem islamistischen Terror durch Überwachung und soziale Kontrolle noch weiter befeuert wird. Frau Wasser versucht dagegen, dem Bespitzelungsauftrag einen harmlosen Anstrich zu geben. Es gehe darum, ein »bestimmtes Grund­rauschen« wahrzunehmen. Johannes lehnt das Ansinnen ab, und doch verändert es seinen Blick auf Farid, dessen Figur jede nationale bzw. kulturelle Zu­schreibung von sich weist. Bei einem ersten Besuch in seiner Wohnung nimmt Johannes auch das kleinste Detail wahr. Seine Augen übernehmen die Funktion einer Kamera, die das gesamte Inventar absucht: ein Buch mit dem Titel »Wurzeln der Zukunft«, eine Hörkassette, ein Familienfoto – alles ganz harmlos. Aber alles könnte verdächtig sein.

Die Atmosphäre von Misstrauen und Verunsicherung verbindet sich intensiv mit dem Setting des wissenschaftlichen Instituts. Gleich zu Beginn folgt man Johannes durch die Gänge des Labors – Farid führt ihn –, als ginge man mit ihm durch ein Labyrinth. Teilnahmslos beobachtet man ihn bei seiner Arbeit, wie er im Labor mit Reagenzgläsern hantiert, eine Maus betäubt und aufschneidet, ihre Innereien zerschneidet und zerstampft. Der Ort, an dem es täglich ganz selbstverständliche Begegnungen mit dem Tod gibt, erscheint alles andere als Vertrauen erweckend.

Johannes und Farid werden Freunde. Als sich beide in die gleiche Frau verlieben, stehen sie sich aber plötzlich als Konkurrenten gegenüber. Dazu kommt, dass sie von ihrem Professor in der Forschungsarbeit gegeneinander ausgespielt werden. Johannes beginnt nun doch als Informant zu arbeiten.

Selten ist ein Überwachungsplot so unspektakulär und »klein« in Szene gesetzt worden. Weder gibt es imposante Gebäude oder Architekturen, noch mit Druckmitteln arbeitende Staatsdiener, auch fehlen irgendwelche Anzeichen eines hochtechnologischen Apparats. Das Milieu ist fast piefig. Der Verfassungsschutz besteht im Grunde nur aus Frau Wasser, die Johannes an einem kargen Konferenztisch befragt, in zwei dicken Leitz-Ordnern blättert und sich Notizen macht. Frau Wasser, mit gemütlich bayerischer Dialektfärbung, zeichnet sich durch ihre tantige Rhetorik aus: »Helfen Sie uns herauszufinden, wer der Herr Madani wirklich ist.« Das Thema der Denunziation bekommt durch den Verzicht auf eine ausgefeilte Bild­ästhetik und spektakuläre Inszenierungsmomente etwas sehr Klägliches. Dadurch rückt es einem aber umso näher. Wenn Über­wachung und Kontrolle so unscheinbar und harmlos daherkommen, verändert sich auch der Blick auf das Vertraute, Alltägliche.

Farid kommt mit der Frau zusammen, und Johannes muss schließlich auch noch den wissenschaftlichen Triumph seines Kol­legen erleben. Dass Neid, Miss­gunst und Eifersucht das Motiv dafür abgeben, dass Johannes, von der zwei­fachen Niederlage korrumpiert, schließ­lich doch mit dem Ver­fassungs­schutz kooperiert, mag dramaturgisch aufgehen, macht den Film aber auch harmloser. Die zuvor etablierte politische Ebene wird allzu leichtfertig zugunsten eines eher klassischen Eifersuchtsdramas aufgegeben. Es gibt einen Terroranschlag, Farid wird verhaftet und Johannes verweigert das Alibi. Der Verrat am Ende des Films wird zum moralischen Versagen eines narzisstisch Gekränkten. Johannes folgt ja nicht ernsthaft der Logik des Verfassungsschutzes. Auch bleibt offen, ob Farid tatsächlich etwas mit dem Terroranschlag zu tun hat.

Zwar ist es eine richtige Entscheidung, die Hauptfigur weder als Rassist noch als paranoiden Hysteriker zu konstruieren. Aber das politische Thema so stark auf eine private Dimension zu reduzieren, macht »Schläfer« zum konventionellen Drama über Freundschaft und Verrat.

Trotz des Bezugs auf eine konkrete politische Realität hat der Film etwas eigentümlich Zeitloses. München sieht aus wie vor zehn, fünfzehn Jahren: die abweisenden Räume des Instituts, rusti­kale Wirtschaften, spießige Cafés, eine Allerweltsdisko und eine stickige Dach­wohnung in einem Vorort. Einzig im Fit­nessstudio, wo Johannes auf dem Laufband Kilometer um Kilometer hinter sich lässt, scheint die Zeit vorwärts zu laufen.

Das gedehnte Tempo des Films und die farbarmen Aufnahmen werden durch die hektischen und künstlichen Bilder eines krie­gerischen Videospiels konterkariert, in dem man sich durch ein unübersichtliches Gelände pirschen muss, bevor man den Gegner im Angriff über­rascht. Immer wieder sitzen Farid und Johannes wie Kampfpiloten vor ihren Bildschirmen, mit großem Ernst und großer Verbissenheit. Irgendwann gerät alles zum Battleground: das Frisbeespiel, die Tanzfläche, die Go-Cart-Bahn. Johannes gewinnt. Dank der Verhaftung Farids steigt er in der Hierarchie des Instituts wieder auf.

Bastian Trost, der erst vor kurzem im Stasi-Film »Das Leben der anderen« den mit Schlafentzug und Dauerverhör gequälten »Häftling 227« darstellte, spielt diesen Johannes Merveldt absolut über­zeugend als jemand, der im Grunde alles richtig machen will, aber unter dem Di­lemma leidet, dass er »jeden Menschen verstehen kann. Jeder hat seine Gründe.« So jedenfalls legitimiert er seinen Verrat. Für seine Rechtschaffenheit wird er sogar vom Verfassungsschutz gelobt: »Ihre Motive stimmen. Sie sind integer«.