Wettstreit der Kartelle

Venezuela und Brasilien konkurrieren um die Hegemonie in Südamerika. Nach der Verstaatlichung des bolivianischen Gases ist Venezuela im Vorteil. von tobias lambert und thilo f. papacek

Eigentlich hätte es allen Grund zu einem ordentlichen Krach gegeben. Doch bei dem lateinamerikanischen Energiegipfel im argentinischen Puerto de Iguazu am Donnerstag der vergangenen Woche gaben sich die Staatspräsidenten Argentiniens, Brasiliens, Boliviens und Venezuelas alle Mühe, um das zu demonstrieren, was man gemeinhin »Geschlossenheit« nennt. Anstatt sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, gaben sich Néstor Kirchner, Luiz Inácio Lula da Silva, Evo Morales und Hugo Chávez im Blitzlichtgewitter der Fotografen die Hände. Die Botschaft sollte lauten, dass man trotz der Nationalisierung des bolivianischen Gases, die eindeutig brasilianischen Interessen zuwiderläuft, fest zusammensteht und dazu gewillt ist, an der Einheit Südamerikas zu arbeiten.

Doch mit der Einheit ist es nicht mehr so weit her. Chávez verfolgt seine eigenen Integrationspläne, auch wenn dies zum Nachteil anderer Bündnisse geschieht. Vor einigen Wochen trat Venezuela aus der Andengemeinschaft (CAN) aus und begründete dies mit den Freihandelsverträgen, die die CAN-Mitglieder Peru und Kolumbien mit den USA unterzeichnet haben. Diese Verträge betrachtet er als erste Schritte zur Verwirklichung der von den USA vorangetriebenen gesamtamerikanischen Freihandelszone Alca.

Perus noch bis zu den Wahlen im Juni amtierender Präsident Alejandro Toledo hatte zuvor mehrfach die »Einmischung« des venezolanischen Präsiden­ten in »die innere Angelegenheiten seines Staates« kritisiert. Schließlich lässt dieser kaum eine Gelegenheit aus, sich für den nationalistischen Präsidentschaftskandidaten Ollanta Humala auszusprechen. Nachdem Chávez angekündigt hatte, im Falle eines Wahlsieges von Alan García die Beziehungen zu Peru abzubrechen, zog die peruanische Regierung Ende April ihren Botschafter aus Caracas ab.

Humala gewann die Unterstützung des venezolanischen Präsidenten, weil er Sympathie für dessen Integrationsvorhaben bekundet hat. Als Alternative zur von den USA geplanten Freihandelszone Alca propagiert Chávez seit einem Jahr das Projekt Alba, die »Bolivarianische Alternative für Amerika«.

Chávez will damit »solidarische Wirtschaftsbeziehungen« fördern. Bestehende Ungleichheiten zwischen den Ländern sollen durch Kooperation gemindert werden. Bisher wurde Alba oft als kaum ernst zu nehmende antiimperialistische Vision des venezolanischen Präsidenten abgetan, hatte doch außer dem kubanischen Staatspräsidenten Fidel Castro niemand ernsthaftes Interesse bezeugt.

Doch in jüngster Zeit begann Alba, Gestalt anzunehmen. So unterzeichnete Venezuela Energieverträge mit einigen karibischen Ländern (Jungle World, 47/05) und mit linksregierten Gemeinden in Nicaragua und El Salvador. Ende April traf sich Evo Morales mit Castro und Chávez in Kuba, wo er verkündete, sein Land werde als festes Mitglied der Alba beitreten. Mit dem »Handelsvertrag der Völker« unterzeichneten die drei Staatschefs das erste Abkommen des Integrationsbündnisses.

Dieser Vertrag sieht die Aufhebung der Zölle im Warenverkehr zwischen den drei Ländern vor. Doch das Abkommen geht über einen gewöhnlichen Freihandelsvertrag hinaus. Unter anderem wird Venezuela auch Bolivien mit Gütern wie Erdöl und Asphalt zu Vorzugspreisen beliefern. Kuba hilft bei der Verbesserung der Gesundheitsversorgung und bei der Bekämpfung des Analphabetismus. Bolivien bietet im Tausch Agrarprodukte und mineralische Rohstoffe.

Der Beitritt Boliviens zur Alba hat eine politische Signalwirkung. Denn derzeit konkurrieren auf dem amerikanischen Kontinent mehrere Integrationsmodelle. Neben Alba ist die südamerikanische Freihandelszone Mercosur eine potenzielle Alternative zum US-Freihandelsprojekt Alca. Mitglieder des Mercosur sind bislang Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Venezuela ist im Januar dieses Jahres ebenfalls dem Bündnis beigetreten, allerdings noch nicht als stimmberechtigtes Mitglied. Die Mercosur-Staaten planen den Bau einer Gaspipeline von Venezuela nach Argentinien, mit der die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Kernregion des Mercosur und Venezuela verbessert werden sollen.

Doch trotz des Beitritts Venezuelas stag­niert der Mercosur seit langem. Insbesondere die kleineren Staaten Paraguay und Uruguay bemängeln, dass ihre Interessen in dem Bündnis zu wenig berücksichtigt würden. Am Dienstag der vergangenen Woche drohte der uruguayische Präsident Tabaré Vazquez wieder einmal damit, das Bündnis zu verlassen, wenn sich nichts an der Übermacht der großen Staaten ändern sollte. Bislang profitiert vor allem die mit Abstand größte Wirtschaftsmacht Brasilien vom Mercosur.

Aber das könnte sich auch ändern. Zwar deckt die Erdölproduktion Brasiliens den Eigenbedarf. Aber die größte Volkswirtschaft des Subkontinents ist von Gasreserven außerhalb ihrer Landesgrenzen abhängig. Die hegemonialen Ansprüche Brasiliens in Südamerika sind auf diese Weise schwer zu verwirklichen.

»Wer Krähen aufzieht, dem hacken sie bald die Augen aus«, meint Igor Gielow, ein Kommentator der brasilianischen Tageszeitung Folha de São Paulo. Er kritisiert Lulas Außenpolitik, die bislang sowohl Chávez als auch Morales gegenüber sehr freundlich gesinnt war. Tatsächlich versucht Lula die brasilianische Macht zu stärken, indem er sich als Vermittler zwischen den USA und der Troika Chávez, Morales und Castro darstellt. Nun wende sich der Alba-Block gegen Lula, meint Gielow.

Eindeutig gestärkt hingegen wird Hugo Chávez. Mit Morales hat er einen Verbündeten gefunden, der zwar keine Wirtschaftsmacht repräsentiert, mit dem er aber zusammen beinahe die gesamten Erdgasreserven Südamerikas kontrolliert.

Auf dem Energiegipfel in Puerto de Iguazu kamen diese Konflikte allerdings nicht zur Sprache. Die Entscheidung Boliviens zur Nationalisierung sei das Recht eines souveränen Staates, hieß es. Die zukünftigen Preise für das bolivianische Gas müssten noch auf »demokratische Weise« diskutiert werden, meinte Lula im Hinblick auf die bevorstehenden Verhandlungen.

Außerdem wollen die Präsidenten an der geplanten Pipeline von Venezuela nach Argentinien festhalten. »Keiner der Präsidenten hier wird eine Entscheidung treffen, die die Integration Südamerikas und des Mercosur behindert«, sagte Lula. Wie diese Integration genau aussehen soll und ob sie noch funktioniert, wenn die Interessen der Staaten kollidieren, ließ er offen. Eine Krise wollte keiner der Anwesenden in Puerto de Iguazu wahrnehmen.