Flamenco für Anti-Globalis

Música Mestiza mixt HipHop, Ska und Punk mit traditionellen Latino-Klängen. Vor allem in Barcelona boomt die Szene. von knut henkel

Meine Schwestern haben sich früher geschämt zu sagen, dass sie im Raval-Viertel wohnen. Heute ist das ganz anders«, sagt DJ Panko. Der Meister des nervösen, fahrigen Scratchens ist im Raval, dem von der Universität und dem Hafen begrenzten Stadtviertel, aufgewach­sen. Bis weit in die achtziger Jahre war der von Miets­kasernen aus der Gründerzeit geprägte Stadtteil als Rotlichtbezirk verschrieen. »Davor hieß es schlicht Chinesenviertel, obwohl ich hier nie viele Chinesen gesehen habe«, lacht Panko, der bei Ojos de Brujo an den Turntables steht. Die Band ist eines der Vorzeigeprojekte des Stadtviertels von Barcelona, das seit einigen Jahren als Zentrum der Música Mestiza gilt.

Mestizo, eigentlich ein Schimpfwort für exilierte Latinos, wurde von der Szene zum positiven Kampfbegriff umgedeutet. Inzwischen ist Música Mestiza ein eigenes Genre, eine mitreißende Melange aus Ska, Punk und HipHop und traditionell lateiname­rikanischen Stilen wie Salsa, Flamenco, Cumbai. Mit drastischen Texten wird gegen Ausbeutung protestiert.

Im Club Apolo, einem Veranstaltungszentrum, sind die Größen der Szene immer mal wieder en vivo auf der Bühne zu sehen. Ojos de Brujo spielen hier regelmäßig, kürzlich wurde die Live-DVD der Band vorgestellt, für den Sound war DJ Panko zuständig.

Berna, wie die Bewohner ihre Stadt auch nennen, gilt seit mehreren Jahren und nach zahlreichen Platten, die auch international für Aufsehen gesorgt haben, als Keimzelle der spanischen Musik. »Während in Madrid, dem Standort der großen Labels, die etablierten Bands angesiedelt sind, macht Barcelona immer wieder mit neuen Klängen auf sich aufmerksam«, sagt Amparo Sánchez, die Bandleaderin von Amparanoia. Sie muss es wissen, denn die aus Andalusien stammende Sängerin hat ihre Band in Madrid gegründet und ist schließlich nach Barcelona gezogen, weil dort einfach mehr passiert.

Das Raval-Viertel ist die Drehscheibe für Bands, DJs, Mixer und Soundtüftler. Dort haben Ojos de Brujo ihr Hauptquartier, inklusive Studio und Musikverlag, dort hängt der Briefkasten von Muchachito, dem Newcomer mit der Reibeisenstimme, der vor einem Jahr noch als Straßen- und Barmusiker durch Barcelona zog, und im Raval sind auch La Kinky Beat zuhause. »Die räum­liche Nähe erleichtert den Austausch, und viele Bands helfen sich gegenseitig bei der Organisation von Auftritten. Oder man lernt sich kennen, weil man für das Überleben eines Hausprojekts spielt«, sagt DJ Panko.

Nichts Ungewöhnliches für Ojos de Brujo, die auch auf zahlreichen Kundgebungen gegen den Irak-Krieg auftraten und auf ihre Unabhängigkeit großen Wert legen. In Eigenregie wurde »Techarí«, die gerade erschienene CD, eingespielt, nur für den Vertrieb suchte man sich einen zuver­lässigen Partner. Ein Modell, das in der Szene Barcelonas mehr und mehr praktiziert wird. Amparo Sanchez verfährt, seit sie ih­ren Vertrag mit EMI im letzten Jahr kündigte, genauso, und mit Kasba Music und K Indústria verfügt die Szene auch über Studios und Labels, die von Musikern ver­schiedener Bands gemeinsam betrieben werden.

So gehören La Kinky Beat, die mit ihrem Ska-Salsa-Jungle-Mix nicht nur in Barcelona Erfolg haben, zu Kasba Music, während die Rapper von Solo los Solo bei K Indústria untergekommen sind. Deren Studiocrew zeichnet auch für die Aufnahmen für Raval Sessions 2 verantwortlich. Die Compilation liefert einen Überblick über den multikontinentalen Soundclash, der Barcelona seit Mitte der neunziger Jah­re prägt und sich in immer neuen Bands, Soundsystemen und Kunstprojekten entlädt. Pure Fusion heißt das Konzept dahinter, und Manu Chao, der Meister der »música bastarda«, wie der Sound in Barcelona auch genannt wird, ist der Gottvater der Bewegung. Ganz bewusst wurde der Begriff der »Fusion« gewählt, denn er besetzt einen negativen Begriff positiv, deutet ihn um und ruft so zum kulturellen Widerstand in Buenos Aires, Dakar, Delhi und Barcelona auf. Die Fusion von tradi­tionellen Klängen, ob Flamenco, Griotgesänge aus Mali oder Murcia aus Argentinien mit modernen Electro- oder Hip-Hop-Grooves, ist dabei Programm. Anregungen liefert immer wieder der Sound der Neuankömmlinge, seien sie aus Anda­lusien, Indien, Pakistan, dem Senegal oder Kolumbien.

Das sei Globalisierung von unten, findet Amparo Sanchez. In Spanien gilt sie als weibliches Pendant zu Manu Chao, auch wenn sie längst nicht dessen Populärität vorweisen kann. Aber der große Erfolg soll sich mit dem neuen Album »La Vida de ta« einstellen, das ganz auf elektronische Spielereien verzichtet und sich wesentlich stärker an »Somos ­Viento«, dem für Solidarität mit den Zapatisten werbenden Album aus dem Jahr 2001, orientiert. Der zapa­tistischen Bewegung steht die 35jährige auch weiter­hin solidarisch gegenüber. Den Jahreswechsel hat sie passenderweise in einer zapatistischen Gemeinde in Chiapas verbracht.

Mit großen Gesten wirbt sie im Interview für das alternative Modell, das den Indios ein Leben in Würde und mit gegenseitigem Respekt ermögliche. Und anders als anderswo werde von den Leuten in den Dörfern nicht verlangt, sich zu den Zapatisten zu bekennen, wenn sie Hilfe brauch­ten. »Hilfe wird unabhängig von der politischen Gesinnung gewährt, da wird ein neuer Solidaritäsbegriff entwickelt und auch versucht, die heterogene Linke zu einen«, erzählt sie. Sie ist weit und breit die einzige Frau in der Mestizo-Szene Spaniens, die in der ersten Reihe steht – sprich: eine eigene Band hat.

Warum die Szene lediglich eine Bandleaderin vor­zuweisen hat, kann sie genauso wenig erklären wie DJ Panko von den Ojos. Die haben mit Mariana »La Canillas« eine charismatische Sängerin, die auch für die meisten Texte der Flamencokapelle verantwort­lich ist und von Beginn an für die Unabhängigkeit der Band von der Industrie gestritten hat. Diese Un­abhängigkeit hat die Gruppe dann auch erreicht, denn derzeit stehen den Ojos de Brujo nicht nur in Spanien alle Türen offen. Zwei Jahre haben sie dort kaum gespielt, weil sie nach dem Gewinn des BBC World Music Award 2004 in Europa tourten und auch einen Abstecher nach Kuba unternahmen. Auf der Insel seien sie im »Carlos Marx«, der wichtigsten Location, vor 5 000 Fans aufgetreten, erzählt DJ Panko. Für ihn sei das genauso unvergesslich wie die Burocracia, die Bürokratie, die auf Kuba alles dominiere – eine Umschreibung für das politische System der Insel.

In Spanien werden der Band, die Flamenco mit indischer Banghara, Hip-Hop und Reggaeklängen fusioniert, derzeit die roten Teppiche ausgerollt. Das Magazin von El País widmete den Ojos drei Seiten, und die Konzerte zwischen Tarifa und dem Baskenland sind vollständig ausverkauft. Für Xavi ein Glückfall, denn längst nicht alle Bands aus dem Umfeld haben so gut zu tun wie die Ojos. Dazu gehören die Freunde von Radio Malanga, die genauso wie der Sänger Muchachito und die Ojos natürlich auch auf dem Raval-Sampler vertreten sind. Die Platte liefert den wohl aktuellsten Überblick über den Soundkosmos von Barcelona, und dessen inoffizielle Hymne haben Radio Malanga mit ihrer »Barceloneta« beigesteuert. Diese ist mit groovenden Rap-Passagen, einem Hauch Brasilelektro, prallen Bläsersets und funky Gitarren ausgestattet.

Das afrikanisch-europäische Gegenstück dazu liefern Bands wie Cheb Balowski, Amadou et Mariam oder Black Baudelaire, die Rai, Balkanklänge oder Griotgesänge aus Mali und dem Senegal auf Reaggae, Dub und Flamenco treffen lassen und ihre Musik als Globalisierung von unten verstehen.

Ojos de Brujo: Techarí. Pias RecordingsAmparanoia: La Vida de ta. Wrasse Records