Mit der Miliz ins Wahllokal

Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe hat gute Chancen, wieder gewählt zu werden. Die Linke dagegen hat es schwer, sich im Konflikt zwischen Militär und Guerilla zu behaupten. von torsten otto

Seit dem Dienstag vergangener Woche protestieren in Kolumbien 15 000 Bauern gegen das bilaterale Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten, das Präsident Alvaro Uribe vor wenigen Wochen unterzeichnet hat. Dabei wurde die Fernstraße zwischen Cali und Popayan blockiert, bei Protesten im Department Nariño kam es zu schweren Auseinandersetzungen. Das Militär sprühte Tränengas aus Hubschraubern und zerstörte ein mobiles Gesundheitszentrum mit Granaten. Die berüchtigte Bereitschaftspolizei ESMAD hat bisher mindestens zwei Tote und Dutzende Schwerverletzte zu verantworten. In der Provinz Cauca protestieren vorwiegend Indígenas, die auch die Verwirklichung eines vor sieben Jahren geschlossenen Abkommens zur Rückgabe von Gemeindeland fordern.

Trotz ihrer Heftigkeit wurden die Proteste in der kolumbianischen Presse kaum beachtet. Deshalb muss sich Uribe vor den Wahlen am 28. Mai kaum um sein Ansehen sorgen. Selbst Skan­dale, die eine Zusammenarbeit zwischen seiner Wahlallianz und einfluss­reichen Paramilitärs bewiesen, konnten der Popularität des Präsidenten nicht ernsthaft schaden. Er kann seiner Wiederwahl gelassen entgegensehen, auch wenn in den anderen Ländern Lateinamerikas Mitte-Links-Allianzen von der Desillusionierung über das neo­liberale Modell und dem Zerfall der Zwei-Parteien-Systeme profitieren.

Dabei ist auch in Kolumbien seit den neunziger Jahren die Armut geschrumpft, und die staatlichen Leistungen sind gesunken. Und wie in den benachbarten Ländern sehen viele Kleinbauern und mittelständische Produzenten von Nahrungsmitteln ihre Existenz von einem Freihandel mit indus­triell verarbeiteten, stark subventionierten Agrarprodukten aus dem US-amerikanischen mittleren Westen bedroht. Doch bei Umfragewerten über 60 Prozent für Uribe bleiben der Opposition nur schwache Hof­fnungen, den Präsidenten am kommenden Sonntag in eine Stichwahl zu zwingen. Der Gegenkandidat könnte der ehemalige Ver­fassungsrichter Carlos Gaviria werden. Der gemein­same Kandidat der Linken liegt etwa gleichauf mit Horacio Serpa von den Liberalen, der zum dritten Mal antritt.

Wenn Uribe es im ersten Wahlgang schafft, dann hat sich für ihn die Amnestie für demobilisierte Paramilitärs bereits gelohnt. Diese organisieren als NGO, Sicherheitsfirmen, Großgrundbesitzer und örtliche Arbeitgeber die Beschaffung der Wählerstimmen auf eine Weise, die das Wort »Stimmenkauf« als nostalgische Erinnerung an vergangene Zeiten erscheinen lässt. Eine Flasche Rum, Baumaterialien und eine Hand voll Pesos sind in Regionen wie dem Unteren Magdalena gar nicht mehr notwendig. Dort kontrollieren die Capos und Landbesitzer oft sogar die Mitarbeiter der örtlichen Wahllokale. Ehemalige Milizen sammeln Personalausweise ein, fahren ganze Dorfbevölkerungen ins Wahl­lokal, lassen dort die Ausweise und den zu wählenden Kandidaten eintragen und machen, so wird befürchtet, dabei gleich noch die wenigen Stimmzettel für die Opposition ungültig. Bereits bei der Parlamentswahl im März, bei der die Wahlbeteiligung 40 Pro­zent betrug, gab es knapp zehn Millionen gültige Kreuze und zwei Millionen ungültige Stimmzettel.

Uribes Kalkül, sich keiner Partei anzuschließen, ist aufgegangen. Der Präsident bleibt unangreifbar trotz der Skandale seiner Unterstützer, die sich in der Konserva­ti­ven Par­tei und einer Fülle von neu gegründeten Par­teien sammeln. Die ihm nahe stehende »Soziale Partei der nationalen Einheit« vereint in ihrem Namen so ziemlich alle Schlüsselwörter eines erfolgreichen Polit-Marketings, und kaum eine Partei kämpft so eindringlich für den Status Quo wie der »Ra­dikale Wechsel«, Uribes zweiter wichtiger Part­ner. Dessen Mehrheit ist im neuen Parlament nach den Wahlen im März noch einmal gewachsen.

Zudem hat seine fortwährende Fernsehpräsenz Uribe genutzt. Seine Berater konnten das idealisierte Bild eines jungen und zupackenden Präsidenten in jeden Haushalt tragen: Uribe als bodenständiger Paisa, der sich mit Ledertasche auf dem Pferd zeigt, Uribe als Stratege, der das Militär in seinen Offensiven gegen die Farc-Guerilla anleitet, Uribe als Friedensstifter, der die Demobilisierung der Narco- und Großbauern-Milizen überwacht. Keine Nachrichtensendung kam ohne Händeschütteln oder markige Sprüche des Präsidenten aus.

Seiner Wortwahl zufolge plagt nicht ein bewaffneter Konflikt, sondern »Terrorismus« das Land. Die sozialen Unterschiede geraten damit aus dem Blick, Frieden wird auf den Begriff »Sicherheit« reduziert, was sein Hauptthema im Wahlkampf war. Zwar werden in den Großstädten tatsächlich weniger Bombenattentate verübt, und die Zahl der Entführungen ist deutlich zurückgegangen, allerdings um den Preis einer Verschärfung des Konflikts in vielen ländlichen Gebieten, wo Paramilitärs, unterstützt von der Armee, und die Guerilla um die Kontrolle von Ressourcen und Wählerstimmen kämpfen.

Der Armee ist es nach einer enormen Auf­rüstung mit Geldern des so genannten Plan Colombia gelungen, die Farc in abgelegenere Gebiete zurückzudrängen. Dieses noch von der US-amerikanischen Regierung unter Bill Clinton unterzeichnete Abkommen sah wirtschaftliche Unterstützung und Hilfe bei der Ausrüstung der kolumbianischen Polizei und des Militärs vor. Dafür forderten die USA die Verfolgung von Dro­gen­händ­lern und Aufständischen.

Die einst kommunistische Bauernmiliz Farc entwicklte sich indes immer mehr zu der »Narco-Guerilla«, einer mit Drogen handelnden Gue­rilla, die kompromisslose Militärs schon immer in ihr sehen wollen. So liegt der Vertrieb von Kokain und Koka-Paste in den südöstlichen Departments weitgehend in der Hand örtlicher Farc-Einheiten.

Die Loslösung der Guerilla von ihrer einstigen sozialen Basis erschwert der gewaltfreien Linken ihre Arbeit. Für die Paramilitärs und ihre Hintermänner in den Behörden sind Gewerkschafter, Menschenrechtler und soziale Organisationen ohnehin nur getarnte Sympathisanten der Guerilla. Radikale linke Bewegungen konnten seit der Ermordung mehrerer tausend Aktivisten der Union Patriota vor 20 Jahren nie wieder eine größere Anhängerschaft gewinnen. Gleichzeitig häufen sich Berichte über Angriffe einzelner Farc-Einheiten auf Basisorga­nisationen, die Abstand zu jedweden bewaff­neten Akteuren suchen.

Zu den Schüssen auf friedliche Demonstranten im Cauca und in Nariño sagten die Sicherheitskräfte der größten Tageszeitung El Tiempo, die Guerilla habe die Proteste »infiltriert«. Unerwähnt blieben die gegenteiligen Darstellungen der Indígena-Orga­nisationen, die seit über einem Jahrzehnt für lebens­würdige Verhältnisse und die Rückgabe geraubter Ländereien streiten.