Der Abstieg

Ausstellung zur Vertreibung

Dieser alte Kassenschlager scheint einfach nicht aus der Mode zu kommen: deutsches Leid, deutsche Opfer. Zum hundertsten Mal. Im Deutschen Historischen Museum ist noch bis Mitte August die Ausstellung »Flucht und Vertreibung« zu sehen. Eingangs wird freundlicherwei­se erwähnt, dass »Flucht und Vertreibung« im 20. Jahrhundert vor allem auf den von »Deutschland entfesselten Zwei­ten Weltkrieg« ursächlich zurückzuführen seien. Im ersten Ausstellungsraum wird der Völkermord an den Armeniern abgehakt; Polen, Russen und Ukrainer werden auch als Nebensache abgehandelt. Nachdem der Besucher diese Pflicht­übung absolviert hat, kann er sich ganz auf das Hauptthema konzentrieren: deut­sche Flüchtlinge.

Wie der Soziologe Harald Welzer in sei­ner Studie »Opa war kein Nazi« herausarbeitete, sind in der kollektiven deutschen Gedenkkultur hauptsächlich zwei Erinnerungsmodi vorzufinden: der »offizielle«, entschuldigende Gestus und der »private«, emotionsgefärbte, subjektive Erfahrungsbericht, der meistens vom Opfersein und nicht von Täterschaft handelt. Früher war dieser »private« Erinnerungsmodus dem Stammtisch und der familiären Kaffeerunde vorbehalten, heu­te beherrscht er zunehmend den öffentlich-medialen Raum.

Die Ausstellung handelt den offiziellen Teil auf einer Stelltafel ab, um sich dann mit der deutschen Vertreibung zu befassen. Unverständlicherweise wurde ausgespart, dass die oberste Wehrmachts­führung in vielen Teilen der deutschen Ostgebiete die Evakuierung der Zivilisten bis zum jeweiligen Inferno untersagt hatte. Breslau wurde zur »Festung« erklärt – zu einem Zeitpunkt (Februar 1945), als die militärische Lage des Dritten Reichs vollkommen aussichtslos war. Viel Leid und Tod, viel Zerstörung von Wohnraum, Kulturgut und Infrastruktur hätte durch Evakuierungen verhindert werden können – wie die Zeit unlängst feststellte.

Der eingangs bemühte »objektive« Charakter der Ausstellung wird schließlich durch Plakate mit Zeilen wie »Eine schreckliche Zeit, wir waren völlig rechtlos«, »Hunger, Durst und Kälte waren unsere ständigen Begleiter«, »Es gab nichts zu essen und zu trinken« ins Emotionale überführt. Sehr fragwürdig erscheint die Vorstellung der Kuratoren von der »Ausgewogenheit« der Darstellung. Plakate mit Aufschriften wie »Nie Ostverträge ratifizieren« und »Wir sagen Ja zu den Ostverträgen« hängen gleichberechtigt nebeneinander. Aber es gibt Dinge, die nicht einfach Ansichtssache sind.

Über die Vertriebenenorganisationen wird ebenso wertfrei gesagt: »Im Westen vertreten Flüchtlinge und Vertriebene ihre Interessen politisch und in eigenen Verbänden. Private und staatliche Initiativen bewahren Kultur und Geschichte der Vertreibungsgebiete. Immer wieder gibt es Kontroversen.«

Dass solche Darstellungen wenig zur Völkerverständigung beitragen, demonstriert folgende Beobachtung: Ein gutbürgerliches Paar schaut sich einen Film über den Untergang der »Wilhelm Gustloff« an. Schließlich ruft die Frau voller Leidenschaft: »Schweine!« Gemeint sind die Russen. Dass siebenmal so viele russische wie deutsche Zivilisten in diesem Krieg gefallen sind und die »Gustloff« nicht nur Zivilisten transportierte, weiß und erfährt sie hier nicht.

tanja dückers

»Flucht, Vertreibung, Integration«. Deutsches Historisches Museum, Berlin. Bis 13. August