Homosexuelle im Abseits

Am 10. Juni soll in Warschau die »Parade der Gleichheit« stattfinden. Ein Gespräch mit dem Politologen und Vorsitzenden der »Kampagne gegen Homophobie Polen«, robert biedroñ

Lesbisches und schwules Leben wird von der neu gebildeten, extrem rechten Regierungskoalition zu einem großen Problem für die polnische Gesellschaft stilisiert. Haben die Polen keine anderen Sorgen?

Natürlich gibt es große Probleme vor allem im so­zia­len Bereich und wegen der hohen Arbeitslosigkeit. Die rechte Regierung versteckt ihre Inkompetenz, ihre fehlenden Konzepte und ihre Unfähigkeit hinter populistischen Angriffen gegen mar­gi­na­li­sier­te Gruppen, die keinen Rückhalt in der Bevölkerung haben.

Homosexuelle eignen sich gut dazu, für die Misere Polens verantwortlich gemacht zu werden. Mitglieder der Regierung behaupten, Homosexuelle würden die Familienstrukturen, die Moral zerstören und westliche Werte ins Land bringen. Der Bildungsministers Roman Giertych erklärte zum Beispiel, seine erste Amtshandlung werde sein, die finanzielle Unterstützung für schwul-lesbische Organisationen zu streichen. Er behauptet, dass wir Transsexuelle in die Schulen schicken, um Kinder zu überreden, ihr Geschlecht zu ändern. Das ist seine Strategie, um von den eigentlichen Problemen im Bildungsbereich abzulenken.

Wie reagieren die Homosexuellen auf diese Denunziationen?

Man muss den Menschen zeigen, dass das einzige Konzept dieser Regierung ist, die Gesellschaft in Freunde und Feinde zu spalten. Und für sie ist jeder ein Feind, der nicht nationalistisch und populistisch denkt. In den vergangenen Wochen gingen so viele Menschen auf die Straße, um ihren Unmut mit der Regierung zu bekunden, wie seit dem Jahr 1989 nicht mehr. Das ist fantastisch, und ich verbinde damit die Hoffnung, dass die Zivilgesellschaft, die bisher in Polen de facto unsichtbar ist, damit gestärkt wird. Darüber hinaus findet verstärkt eine satirische Aus­einandersetzung mit der politischen Situation statt, über die Regierung wird gelacht. Auch das gab es seit dem Ende des Realsozialismus nicht mehr.

Von wem wird die aktuelle Protestbewegung ­getragen?

Das ist eine gesamtgesellschaftliche Bewegung. Aber die Regierung kolportiert, dass die Protestierenden zu hundert Prozent Schwule und Lesben seien: Die stilisierten Feinde werden verantwortlich gemacht, um damit die gesamte Bewegung zu diskreditierten und die Menschen davon abzuhalten, zu den Demos zu kommen. Denn wenn sie an den Protesten teilnehmen, sind sie ja automatisch schwul oder lesbisch. Die Homosexuellen-Organisationen unterstützen natürlich die Proteste, aber die Veranstalter sind Schüler, Studierende und Nichtregierungsorganisationen.

In den EU-Verträgen ist festgelegt, dass die Minderheitenrechte garantiert sind. Auch Polen müsste sich daran halten. Was erwartet die Kampagne gegen Homophobie von der EU?

Als Polen der EU beitrat, waren wir sehr zuversichtlich in Hinblick auf die Garantie und den Schutz von Menschenrechten und die Ver­besserung der Situation von Minderheiten. Leider übt die EU nicht genug Druck auf Polen aus. Verschiedene unserer Berichte zur Menschenrechtssituation wurden ignoriert. Offenbar wird der Schutz der Menschenrechte wirtschaftlichen Interessen geopfert.

Außerdem geht es darum, nicht an die Probleme in der EU zu rühren. Die gegenwärtige polnische Regierung ist sehr EU-skeptisch. Die Union wird alles tun, damit die Regierung diese latente Feindlichkeit in der Bevölkerung nicht politisch übersteigert, ausnutzt und die EU sogar verlässt. Wir haben das Gefühl, dass die EU der polnischen Regierung im Endeffekt erlaubt, eine so homophobe Politik zu machen.

interview: juliane nagel und matthias gärtner