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Migrationsdebatte in Spanien von thorsten mense

Mit jedem »cayuco«, wie die kleinen Flüchtlingsboote genannt werden, steigt auch der Druck auf den Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero. Die kanarischen Inseln konnten in der vorigen Woche einen traurigen Rekord verzeichnen. Innerhalb von 24 Stunden strandeten fast 800 Flüchtlinge an den Küsten der spanischen Inseln.

»Wir erleben hier einen nationalen huma­nitären Notstand, doch in Madrid denkt niemand daran, mal den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und hier anzurufen«, beschwerte sich der Präsident der kanarischen Inseln, Adán Martín. Auch Mariano Rajoy von der konservativen Volkspartei (PP) bezeichnete die Migrationspolitik der Sozialdemokraten (Psoe) als »Desaster«, die Regierung sei »objektiv überfordert«. Während im Süden die »Opfer der Mafia« ankämen, schlichen sich nach Meinung der Partei im Norden »die Mafia und die Krimi­nellen« ins Land.

Der PP nutzt die Gelegenheit und macht die Regierung Zapateros für die über 1 500 »Boat People« verantwortlich, die seit Beginn des Jahres ums Leben kamen. Durch die Legalisierung von über 600 000 illegalen Migranten im vergangenen Jahr seien die Flüchtlinge erst angelockt worden. Umfragen zufolge sehen das 70 Prozent der Spanier so. Deshalb versicherte Zapatero in der vergangenen Woche in der Parlamentsdebatte zur »Lage der Nation«, dass Einwanderung »ausschließlich legal erfolgen kann, entsprechend den Möglichkeiten und Bedürfnissen des Arbeitsmarktes«.

Zwar versuchen auch linke Gruppen und Menschenrechtsorganisationen, ihn unter Druck zu setzen, ihre Proteste waren bisher aber sehr zurückhaltend. Größere Demonstrationen blieben aus. Der internationale Zusammenschluss »Kanarische Plattform der Solidarität der Völker« übergab in der vergangenen Woche der Regionalregierung ein Manifest, in dem er den sofortigen Stopp der polizeilichen Maßnahmen forderte. »Wir dürfen nicht zulassen, dass die spanische Regierung gegen die Gesetze und die Menschenrechte handelt«, heißt es in dem Text. Zudem fordert die Ini­tiative, die Auslandsschulden der armen Länder zu streichen, und »die historische Schuld zurückzuzahlen«. Denn die wahre Ursache der Flucht vieler Menschen sei die »koloniale Ausplünderung des afrikanischen Kontinents« und die Fortführung der neokolonialen Politik durch die europäischen Staaten.

Unbeeindruckt davon begann die Regierung in der vergangenen Woche mit den ersten Massenabschiebungen in den Senegal. Die Abschiebungen mussten jedoch bereits einen Tag später vorerst gestoppt werden. Viele Flüchtlinge hatten sich geweigert, in Dakar das Flugzeug zu verlassen. Ihnen war zuvor versichert worden, sie würden in die südspanische Stadt Malaga geflogen, im Flugzeug wurden sie dann mit Handschellen gefesselt und in den Senegal gebracht.

Auf den kanarischen Inseln verschärft sich derweil die Lage. Die Aufnahmezentren sind völlig überfüllt und es macht sich, aufgestachelt von Politikern und der Berichterstattung in Medien, Fremdenhass breit. Kurz nach der Ankunft der ersten Flüchtlinge betonte der kanarische Präsident Martín, dass die Regierung »die Interessen der kanarischen Bevölke­rung verteidigen wird, und erst danach die Menschenrechte«. Die kanarische Tageszeitung El Dia ging noch weiter: »Die kanarischen Inseln erfahren eine Invasion von Afrikanern der reinen schwarzen Rasse, die – mal ganz abgesehen von Problemen wie Aids oder ansteckenden Krankheiten – im Fall der Vermischung über die weiße Rasse siegt.«

Die Hetze wirkt. Mitt­lerweile sollen schon dreimal die Depots, in denen die gestrandeten Flüchtlingsboote untergebracht sind, mit Brandsätzen angegriffen worden sein.