Autobahn! Autobahn!

Die Polizei geht immer härter gegen protestierende Studenten vor. Versuche, die Bewegung zu spalten, wurden bisher erfolgreich abgewehrt. von steffen falk

Fallt nicht auf das Spiel der Agitatoren herein! Distanziert euch von den Krawallmachern!« So oder so ähnlich versuchen hessische Polizeibeamte, mit ihren Lautsprecherdurchsagen bei Studentendemonstrationen die »Störer« von den friedlichen Teilnehmern zu trennen.

Immer gereizter reagieren die eingesetzten Bereitschaftspolizisten auf die hessischen Demonstrationen gegen die geplante Einführung von Studiengebühren. Die Protestzüge, die sich oft spontan und unangemeldet nach den Vollversammlungen der Studierenden bilden, lassen sich nun einmal schwer kontrollieren. Wiederholt setzte die Polizei Schlagstöcke und Pfefferspray gegen die Demonstranten ein. Auch beim Auflösen von Straßenblockaden wer­den die Studierenden nicht mehr bloß weg­tragen oder abgedrängt, sondern bekommen immer häufiger Faustschläge und Tritte ab.

In den ersten Wochen der Proteste hatten sich die Beamten noch überraschend tolerant gezeigt, doch spätestens seit dem Beginn der Weltmeisterschaft sind »neue Zeiten« angebrochen, wie es Achim Thiel, der Polizeipräsident von Frankfurt am Main, ausdrückte. Auf nahe­zu gleichzeitig abgehaltenen Pressekonferenzen kündigten drei hessische Polizeipräsidenten am 7. Juni ein »härteres Vorgehen«, wie Gosbert Dölger aus Südhessen es nannte, gegen ungenehmigte Veranstaltungen an, die den reibungslosen Ablauf der Spiele gefährden könnten.

Tatsächlich wollen immer mehr Protestieren­de nicht mehr nur ihre Meinung loswerden, sondern die drohenden Studiengebühren in der Tat verhindern. Auf die im Versammlungsgesetz festgelegten Vorschriften wird deshalb nicht immer Rücksicht genommen. Am ersten Spieltag der Fußballweltmeisterschaft zogen in Frankfurt mehr als 1 500 Studierende unangemeldet durch die Frankfurter Innenstadt unter dem Motto: »Kick it like Frankreich!« Vom französischen Widerstand gegen den CPE zu lernen, heißt für die Protestierenden siegen zu lernen. Viele bisher unauffällig gebliebene Studierende geben sich nicht mit den erlaubten Formen des Protests zufrieden, sondern bedienen sich bereits radikaler Mittel. »Die Situation ist ver­gleichbar mit der Protestbewegung in Frankreich. Regelmäßige entschlossene Demonstrationen, kreative Aktionen, Blockaden und die zunehmende Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Schülern zeigen, dass die Proteste langen Atem haben könnten. Jedoch gibt es einen Unterschied zu Frankreich: Es ist noch keine Massenbewegung«, kommentierte Dirk Völlger, der Referent für Protestkultur im Asta der TU Darmstadt, im Gespräch mit der Jungle World.

Qualitativ möchte man es dem französischen Vorbild gern gleichtun. »Auf alle offiziellen Durchsagen cortsen«, heißt es zum Beispiel in Anspielung auf den hessischen Wissenschaftsminister Udo Corts (CDU) in einem »De­mo 1 x 1«. Weiter ist darin zu lesen: »Wird die Demo offiziell beendet, beginnt automatisch eine Spontandemo.« Tatsächlich halten sich erstaunlich vie­le Demonstranten an diese »wichtigen Tipps«. Wiederholt wurden Autobahnen und Eisenbahngleise besetzt, Mülltonnen brannten. Toilettenpapier über die Stromleitungen der Straßenbahnen zu werfen, hat schon beinahe Tradition. Arbeiten Mitglieder der ge­wählten Studentenvertretungen mit der Einsatzleitung der Polizei zusammen, müssen sie sich dafür vor den Kommilitonen rechtfertigen. So wurde nach einer ereignislos gebliebenen Demonstration mit 3 000 Teilnehmern am 13. Juni der veranstaltende Asta der Hochschule Darmstadt heftig kritisiert, zum Teil aus den eigenen Reihen.

Die Zeit der Autobahnbesetzungen scheint mittlerweile vorüber zu sein; zu groß und zu gewaltbreit ist das Polizeiaufgebot, das sich den Protestierenden an den neuralgischen Punkten in den Weg stellt. Die Sprechchöre »Auto­bahn! Autobahn!«, die bisweilen vor den Abriegelungen angestimmt werden, deuten jedoch darauf hin, dass man sie nur zu gern durchbrechen würde.

Andere kreative Protestformen sind entgegen anders lautenden Berichten nicht passé. Doch im Gegensatz zu den Streiks der vergangenen Jahre streben die Akteure nicht bloß eine positive Berichterstattung in den Medien an. Wenn eine Frankfurter Mathematik-Fachschaft eine Vorlesung vor dem Privathaus des Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) in Eschborn abhält, wenn mitten in der Nacht vor der Darmstädter Zentrale der CDU eine kleine Party gefeiert oder auf der Homepage www.corts-fanclub.de über die öffentlichen Auftritte des angeblichen Idols informiert wird, dann darf man das als Hinweise auf die Unberechenbarkeit der Aktionen verstehen. Aggressive verbale Attacken sind selten zu vernehmen, vielmehr wähnt man sich oft in der Rolle des Verteidigers, wovon beliebte Sprüche wie »Bildung krepiert, weil Scheiße regiert!« oder »Ohne Roland müsste das nicht sein!« zeugen.

Die Autonome Antifa Frankfurt gab zwar am Mittwoch der vergangenen Woche in einer Presseerklärung die Parole »Studiengebühren verhindern – die Regierung stürzen!« aus, gestand aber auch ein, an den Protesten lediglich beteiligt zu sein, »nicht mehr und nicht weniger«. Sie widerlegte da­mit gleichzeitig Gerüchte über einen »schwar­zen Block«.

Gegen Spaltungsversuche von Seiten der Presse, der Regierenden oder der Po­lizei wehrt man sich: »Es gibt, wenn überhaupt, nur eine kleine Minderheit von so genannten ›Störern‹. Bei allen Protesten war es bis jetzt so, dass Studierende nur gewalttätig wurden, nachdem sie unnötigerweise von der Polizei provoziert wurden. Die Polemik der Politik, von gewalttätigen ›Störern‹ zu reden, sehen wir nur als billige Methode, die breite Bewegung wieder zu spalten«, sagte Moon Matin, der hochschulpo­litische Referent des Astas der Universität Frankfurt.

Auch in anderen Bundesländern, in denen Studiengebühren teilweise schon eingeführt wurden, regen sich die Studierenden. So kam es in der vergangenen Woche in verschiedenen Städten Bayerns zu Demonstrationen, im thüringischen Jena gingen am 15. Juni meh­rere Hundert Studierende auf die Straße, für den 21. Juni ist eine Großkundgebung in Duisburg angekündigt.

In den nächsten zwei Wochen gibt es weitere Gelegenheiten zu zeigen, ob eine Massenbewegung existiert: Am Tag der zweiten Lesung des Studien­gebührengesetzes in Hamburg wird es einen Aktionstag für gebührenfreie Bildung und »gegen andere Angriffe auf unsere Lebensbedingungen« mit Großdemonstration in Hamburg und Wiesbaden geben. Eine weitere Großdemons­tration soll bereits am 6. Juli in Frankfurt folgen. Die Organisatoren rufen unter anderem Studierende in Frankreich auf sich zu beteiligen, als Zeichen der internationalen Solidarität. »Die Re­sonanz ist bisher gut, logistisch und organisatorisch wird es aber schwer. Es ist aber mit großer Entschlossenheit und neuen Aktionen zu rechnen«, sagt Dirk Völlger.

Es stellt sich die Frage, was nach diesen Großdemonstrationen von der Bewegung übrig bleiben wird. »Dazu kann man nur sagen, dass die Proteste solange nicht abreißen werden, solange dieses unsoziale und rassistische Gesetz weiter existiert«, kündigt Moon Matin an.