Autoritäre Erziehung

Der Gouverneur des mexikanischen Bundesstaates Oaxaca versucht, gewaltsam einen Lehrerstreik zu beenden. von marco pulquo, mexiko-stadt

Es ist einfach unlogisch, dass sie mit 3 000 Polizisten 40 000 streikende Lehrer verscheuchen wollten. Sowas kann man nur mit Waffen schaf­fen.« So kommentierte die oppositionelle Strömung (CNTE) der Lehrergewerkschaft SNTE den Polizeieinsatz in Oaxaca im Süden Mexikos, bei dem am Mittwoch der vergangenen Woche über 90 Menschen verletzt wurden. Nach Angaben des unabhängigen Medienzentrums Mexiko-Stadt und eines Krankenhauses in Oaxaca wurden sechs Demonstranten getötet. Die CNTE berichtet von über 100 Festnahmen und mehreren Verschwundenen.

Mit dem Streik wollen die Gewerkschafter vor allem ihren Anfang Mai veröffentlichten Forderungen Nachdruck verleihen. Der Tourismusboom in dem herausgeputzten Kolonialidyll Oaxaca hat in den vergangenen Jahren auch die Lebenshaltungskosten in die Höhe getrieben. Die Pädagogen fordern höhere Löhne, sie klagen über zu hohe Beförderungs­ta­r­ife, baufällige Schulgebäude und mangelnde Unterrichts­mittel. Außerdem sollen alle Schüler ein kostenloses Frühstück erhalten.

Der Gouverneur des Bundesstaates, Ulises Ruíz, versprach eine umgehende Antwort. Da sie ausblieb, schlossen die Gewerk­schaftler vor einem Monat über 14 000 Schu­len und besetzten mehr und mehr Straßen und Plätze im Zentrum Oaxacas. Soziale Organisationen, das zapatistische Netzwerk Oaxaca, dissidente Flügel anderer Gewerk­schaften und ein Großteil der Bevölkerung solidarisierten sich mit den protestierenden Lehrern und Schülern. Anfang Juni zogen über 150 000 Menschen durch die Straßen der Bundeshauptstadt und forderten den Rücktritt von Gouverneur Ruíz. Dieser versicherte am Tag darauf, er werde mit »harter Hand« gegen die Streikenden vorgehen, und forderte die Leiter der ihm unterstellten Polizeieinheiten dazu auf, »die Scheiße aus ihnen rauszuprügeln«.

Doch der Einsatz der »harten Hände« war offenbar schlecht koordiniert. Sechs Polizisten wurden von den Streikenden in »Gewahrsam« genommen. Die Ordnungshüter mussten den Rückzug antreten. Mehr als zehn der Festgenommenen wurden am folgenden Tag im Austausch für die entführten Polizisten wieder freigelassen.

Gouverneur Ruíz behauptete, die Polizisten hätten in dem Protestcamp und dem Gewerkschaftssitz der CNTE Drogen, Kalaschnikows und einen Rucksack voller Handgranaten gefunden. Die Streikenden dagegen beteuern, Agenten des Staats­schutzes hätten diese Beweise ausgelegt, um die Proteste zu kriminalisieren.

Präsident Vicente Fox scheut sich bisher davor, Verstärkung zu schicken. Die Regierungspartei Pan hat in Oaxaca ohnehin nur eine geringe Wählerschaft. Stimmen könnte dagegen vielmehr der Präsidentschaftskandidat der oppositionellen Pri, Roberto Madrazo, einbüßen. Nach Einschätzung des mexikanischen Journalisten Luis Hernández Navarro ist Oaxaca einer der letzten Bundesstaaten, in denen der traditionelle Klientelismus und Stimmenkauf der Pri noch funktioniere. »Die Proteste der Lehrer und ihre Drohung, die Wahlen zu boykottieren, haben die politischen Manöver der Pri jedoch Matt gesetzt.«

Die Streikenden, die schon vor zwei Wochen sämtliche Wahlplakate im Zentrum von Oaxaca abgerissen haben, haben gemeinsam mit Anwohnern inzwischen erneut ihr Protestlager aufgebaut und die Straßen der Innenstadt besetzt. Hectór Morales, ein Mitglied des Vorstands der CNTE, unterstrich gegenüber der Tageszeitung La Jornada, dass man die Kapazi­täten habe, am Wahltag alle Distrikte Oaxacas zu besetzen. Er macht die weiteren Aktionen von Verhandlungen mit der Bundesregierung abhängig. Die Äußerungen des Präsidentensprechers Rubén Aguilar lassen eine baldige Lösung des Konflikts jedoch fraglich erscheinen. Es werde keine Einsätze der Bundespolizei geben, – aber auch kein Geld, um die Forderungen der Lehrer zu erfüllen.