Blei liegt in der Luft

Der Bergbau ist der wichtigste Sektor der peruanischen Wirtschaft, doch Arbeitsplätze schafft er kaum. Dafür verursacht er Umweltprobleme, die die Bevölkerung immer weniger zu ertragen bereit ist. von knut henkel (text und fotos)

Perus designierter Präsident Alan García steht vor großen Herausforderungen. Die Schaffung von Arbeitsplätzen hat er den 28 Millionen Peruanern versprochen. Doch wie er dieses Versprechen halten will, weiß niemand. Schließlich bietet auch der bedeutendste Wirtschaftsektor des Landes, der Bergbau, kaum Beschäftigungsmöglichkeiten, schafft aber viele Probleme. Wie zum Beispiel in La Oroya.

Im Bergwerk

Das zweigeschossige Gebäude der Gewerkschaft der Metallarbeiter von La Oroya steht im Zentrum der Altstadt. Frisch gekalkt ist es, und Fenster und Türen sind in einem warmen Grün lackiert. Im Eingang sitzt ein Wachmann, der die Besucher freundlich hereinwinkt und entweder in den ersten Stock zur Kantine oder den Aufenthaltsraum für die Arbeiter schickt oder in den zweiten Stock, wo sich sich die Büros der Verwaltung und der Arbeitervertreter befinden.

Scanner, Fax, Computer und eine ganze Batterie von Telefonen sind vorhanden, und auf dem wuchtigen Bürotisch von Hugo Chuco liegt die neueste Ausgabe vom Doe Run Peru Magazine, dem Hausblatt des größten Unternehmers der Region: Doe Run. Rund 3000 Menschen arbeiten für die peruanische Dependance des US-Bergbaukonzerns, und in La Oroya wird mit Hochdruck produziert. Das erkennt man nicht nur an den unablässig qualmenden Schorn­steinen der Hütte, die mitten im Zentrum der 35 000 Einwohner zählenden Stadt steht, sondern auch am regen Güterverkehr. Immer wieder passieren Züge mit Waggons, auf denen sich Gesteinsbrocken türmen, die Schranke zum ausufernden Werksgelände.

Dessen Frontseite ziert ein repräsentativer Gründerzeitbau, in dem auch Gewerkschaftsfunktionär Chuco sein Büro hat. Dahinter beginnen die Hallen, in denen Mineralien aus dem Gestein gelöst werden. Bis vor wenigen Monaten war auch Chuco dort in Blaumann mit Atemschutzmaske und dem obligatorischen Helm tätig. Nun sorgt er sich um die Arbeitsplätze der Kollegen, die ihn vor wenigen Mo­na­ten zu ihrem Vertreter gewählt haben.

»Uns haben die Señores von der Ge­schäfts­führung gesagt, dass sie nicht das Kapital aufbringen können, um die Entschwefelungsanlage zu bezahlen und auch noch pünktlich zu instal­lieren«, sagt der Gewerkschafter. Er sieht deutlich älter aus, als seine 42 Jahre vermuten ließen. »Wir brauchen einen Aufschub, denn sonst sind hier mehr als 3 000 Arbeitsplätze in Gefahr.« Chuco befürchtet das Schlimmste, das sieht man ihm an. Doch erklären, wes­halb das Unternehmen nicht die Umweltauflagen erfüllt hat, wie bei der Übernahme vertraglich vereinbart, kann auch er nicht.

Damals, vor neun Jahren, hatte Doe Run die technisch völlig veraltete Metallhütte günstig gekauft; allerdings mit der Auflage, den Betrieb zu moder­­nisieren und weiteren ökologischen Forderungen zu entsprechen. »Fast alle Auflagen wurden erfüllt. Nur die Entschwefelungsanlage fehlt noch und deshalb haben wir uns den Aufschub verdient«, betont Chuco kämpferisch.

Bis ins Jahr 2010 soll der Vertrag verlängert werden, wenn es nach der Gewerkschaft und dem Unternehmen geht. Doch dagegen regt sich Widerstand. Denn die Hütte in La Oroya, in der Blei, Zink, Kupfer, aber auch etwas Gold und Silber aus polymetallischen Gesteinskonzentraten gelöst werden, ist die größte Dreckschleuder des Landes. Schwefeldioxid, Arsen, Cadmium, Uran und große Mengen an Blei werden in die Luft geblasen und in den Fluss Mantaro geleitet.

Berge voll Gift

580 Tonnen Schwefeldioxid, gesättigt mit Bleistaub, werden Tag für Tag ausgestoßen, der Großteil vom Wahrzeichen der Stadt, dem knapp zweihundert Meter hohen Zentralschlot des Werkes, der Rest durch kleinere Schornsteine und die Ritzen der Fabrikhallen, wo in drei Schichten rund um die Uhr gearbeitet wird. Ein dicker, giftiger Belag liegt auf den kargen Bergen rund um die Fabrik. Schon etliche Kilometer vor La Oroya sehen die Berge wie mit gelb­lichem Puderzucker bestäubt aus.

»Landwirtschaft ist unter diesen Bedingungen kaum möglich. Und der riesige Kamin sorgt dafür, dass die giftigen Wolken auch noch 140 Kilometer entfernt nachweis­bar sind«, klagt Miguel Curi vom »Verteidigungskomitee von La Oroya«, in dem sich Menschen aus der Region zusammengeschlossen haben.

»Meine Kinder haben drei bis vier Mal soviel Blei im Blut wie die Weltgesundheitsorganisation als Obergrenze erlaubt«, sagt Curi. Bei seiner Tochter Marina seien es 35 Mikrogramm pro Deziliter Blut, bei seinem Sohn Angel knapp 27. Beides wäre deutlich mehr als die zehn Mikrogramm, die die WHO bereits für bedenklich hält.

Arbeiten oder leben?

Diese Zustände sind allseits bekannt. Vor sieben Jahren wurden die ersten Blutuntersuchungen bei Kindern, Frauen und alten Menschen durchgeführt. Die Ergebnisse waren schockierend. Bis zu 70 Mikrogramm Blei pro Deziliter Blut wies man bei den Menschen aus der auf knapp viertausend Metern Höhe liegenden Bergbaustadt nach. »Daraufhin wurden zwar einige Kinder mit extrem schlechten Blutwerten und ersten Schädigungen des Nervensystems nach Lima in Behandlung gebracht, aber der Schornstein raucht weiter«, schimpft Curi.

Die Gewerkschafter halten ihn für einen Demagogen und chronischen Nörgler. Auf einer der vielen Demonstrationen für den Verbleib der Hütte haben sie ihm die Fenster seiner Wohnung eingeworfen. »Die Arbeitsplätze zählen offenbar mehr als die Gesundheit der eigenen Kinder«, meint Curi. Die Kinder bleiben, das belegen die wenigen vorhandenen Studien, in ihrer geistigen wie körperlichen Entwicklung zurück.

Das weiß auch Hugo Chuco. »Doch wovon sollen wir leben ohne die Hütte?« fragt er. Die Bergarbeiter fürchten um ihre Jobs. Doch zugeben, dass Doe Run die Anschaffung der teuren Entschwefelungsanlage absichtlich hinausgezögert hat, mag er nicht. Es sei kein Geld da gewesen, behauptete das Unternehmen, das gute Profite erzielt, weil die Mineralienpreise seit mehreren Jahren ständig steigen. Weshalb mit dem Bau der 106 Millionen US-Dollar teuren Anlage immer noch nicht begonnen wurde, kann Chuco nicht erklären.

Mit dem Verweis auf die Arbeitsplätze haben Doe Run und andere Bergbaukonzerne jahrelang die einheimische Bevölkerung, aber auch die staatlichen Stellen für ihre Argumente gewinnen können. Doch in den vergangenen Jahren hat sich die Stimmung verändert. Umweltskandale wie jener in La Oroya haben im ganzen Land für Aufmerksamkeit gesorgt, nicht zuletzt auch deshalb, weil die betroffene Bevölkerung sich organisiert hat.

Sogar die katholische Kirche mischt sich ein. »Mit häufigem Waschen ist es nicht getan«, empört sich Erzbischof Pedro Barreto über die Hygienetipps in Broschüren des Unternehmens. Ihn ärgert es, wie dreist mit der Gesundheit der Bevölkerung umgegangen wird.

Bleiwasser

Das habe Tradition in Peru, sagt der Biologe Antonio Brack. »Der klassische peruanische Unternehmer denkt an kurzfristige Gewinne, nicht an langfristige Perspektiven. Genauso hat früher auch der Staat gedacht und gehandelt«, sagt der Mann, der vorher für die UN tätig war.

Die Folgen dieser Sorglosigkeit sind überall zu spüren. In Lima, wo neun Millio­nen Menschen leben, wird das Trinkwasser knapper und durch einen steigenden Bleigehalt auch schlechter.

Das ist nicht zuletzt einer Politik geschuldet, die den Investoren großzügig entgegen­kam. Um die großen Konzerne nach Jahren der wirtschaftlichen Krise wieder ins Land zu holen, köderte die peruanische Regierung Mitte der neunziger Jahre Unternehmen mit großen Steuererleichterungen.

Die Folge ist, dass von den Gewinnen, die derzeit im peruanischen Bergbau erwirtschaftet werden, nur wenig im Lande bleibt. Das hat sich in der Bevölkerung in den vergangenen Jahren genauso herumgesprochen wie die Tatsache, dass der Bergbau, anders als von den Konzernen gern behauptet, nur relativ wenige Arbeitsplätze schafft.

Insgesamt sind es um die 75 000 Jobs, von denen rund ein Drittel auf hoch qualifizierte, meist ausländische Techniker entfällt. Die Rede, dass der Bergbau der gesamten Ökonomie zugutekommen würde, hat sich längst an der Wirklichkeit blamiert. Trotz eines beachtlichen Wirtschaftswachstums sind in den vergangenen Jahren kaum zusätzliche Arbeitsplätze entstanden.

»Darum wehren sich die Peruaner vehementer gegen die Ansiedlung von Berg­bau-Unternehmen und die Vergabe von Konzessionen«, räumt der Kongressabgeordnete Édgar Villanueva ein. Er warnt davor, die Fehler vergangener Jahre zu wiederholen, ‑in Huancabamba und später auch in Las Bambas eskalierte.

Bergbauern gegen Bergbau

Das im Norden des Landes gelegene Huancabamba steht für den bisher blutigsten Konflikt im Bergbau. Im August vorigen Jahres kamen dort sieben Menschen ums Leben, als Polizisten eine Demonstration angriffen. Anwohner und Umweltorganisationen kritisieren, dass das Vorhaben der Minengesellschaft Majaz, ein Tochterunternehmen des britischen Konzerns Monterrico Metals, dort Kupfer zu schürfen, die einzigartige natürliche Vielfalt der Region und die Lebensgrundlage der Bevölkerung gefährde.

Ein anderes Beispiel ist Las Bambas, wo das Schweizer Unternehmen Xstrata Kupfer abbauen will. Auch dagegen regt sich Widerstand. Die Bewohner sind bettelarm und wollen an den Reichtümern teilhaben. Xstrata hat sich bisher kompromissbereit gezeigt und angekündigt, ein Prozent der Gewinne in einen Entwicklungsfonds zu leiten – für peruanische Verhältnisse beispielhaft. Doch in Las Bambas ist man misstrauisch gegenüber der Ansiedlung des Unternehmens in der von der Landwirtschaft lebenden Gegend. Und Arbeitsplätze hat auch das Schweizer Unternehmen kaum zu bieten. Gerade diese bräuchte jedoch die Region, in der der Großteil der Bevölkerung von dem lebt, was man auf dem kargen Boden anbaut.

Wie man mit dem Bergbau tatsächlich Jobs schaffen und zugleich Rücksicht auf die Umwelt nehmen könnte, weiß niemand. Von der zukünftigen Regierung von Alan García wird daher auch erwartet, dass sie die Bergbaukonzerne für die Umweltfolgen zur Kasse bittet und sie endlich adäquat besteuert.

Aló Presidente

In den kommenden Jahren laufen zudem viele der Verträge aus der Ära von Fujimori, der das Land nahezu eine Dekade diktatorisch regierte, aus. Eine ideale Option für García sich in Szene zu setzen. Dann stünde erstmals ausreichend Geld für Arbeitsprogramme zur Verfügung. Denn an der Zahl der Arbeitsplätze muss sich auch er angesichts einer offiziellen Arbeitslosenquote von gut zehn Prozent und einer Unterbeschäftigtenquote von nahezu 60 Prozent messen lassen. Und am Bergbau kommt der zukünftige Präsident nicht vorbei. Zu dringend sind die Probleme in La Oroya, Yanacocha, Las Bambas oder Majaz, als dass der Sozialdemokrat das Thema ignorieren kann.

Auch die Weltbank hat sich inzwischen des Problems angenommen. Sie hat vorgeschlagen, eine Schiedsstelle zur Regelung von Konflikten im Bergbau und eine unabhängige Umwelt­in­stanz einzurichten. Diese Vorschläge werden auch in La Oroya begrüßt.

»Nur hängt viel davon ab, wer dort am Tisch sitzt und wie unabhängig derartige Institutionen sind«, gibt Miguel Curi vom Verteidigungskomitee La Oroyas zu bedenken. »Die Weltbank hält immerhin fünf Prozent der Anteile an der Mine in Yanacocha. Sie ist also Teil des Problems.« Deshalb hofft er darauf, dass auch Gewerkschaftern wie Hugo Chuco irgendwann die Augen aufgehen.