Im Osten ist was los

Mit finanzieller Hilfe der EU wird die bulgarisch-türkische Grenze verstärkt. Die Wirtschaft der Region profitiert davon, dass dort die östliche EU-Außengrenze entsteht. von jutta sommerbauer, kapitan andreevo

Entlang der bulgarisch-türkischen Grenze zieht sich ein Maschendrahtzaun: der alte Eiserne Vorhang. »Man hat sich einfach nicht darum gekümmert, ihn abzubauen«, sagt Stoicho Dimitrov, der Leiter der Grenzpolizei Svilengrad, achselzuckend. Gegenüber von seinem Schreibtisch hängt eine große Karte der Republik Bulgarien. Mit einem Kugelschreiber fährt der Polizeibeamte an der schwarz gestrichelten Linie entlang. Im Dreiländereck zwischen Bulgarien, Griechenland und der Türkei gibt es Grenzen, die besonders gut bewacht werden müssen.

Das Hügelland des Strandzha-Gebirges, das bis zum Schwarzen Meer reicht, ist nur dünn besiedelt. Dichte Laubwälder machen es mitunter schwer zugänglich. Auf den Maschendraht aus sozialistischer Zeit verlässt sich die Grenzpolizei allerdings nicht mehr. Man arbeite längst mit modernen Geräten, versichert Dimitrov und zeigt bereitwillig die Überwachungstechnik. Nachtsichtgeräte, Wärmebildkameras und das Funknetz Tetra gehören mittlerweile zur Grundausstattung der Polizisten.

Die Europäische Union lässt sich die Pflege ihrer 270 Kilometer langen künftigen südöstlichen Außengrenze einiges kosten. Mit zwölf Millionen Euro finanzierte das Phare-Programm der EU, das Länder in Mittel- und Osteuropa bei der Vorbereitung zum Beitritt finanziell unterstützen soll, die Aufrüstung des bulgarisch-türkischen Grenzabschnitts in den vergangenen Jahren. 171 Personen wurden nach Angaben des Innenministeriums im Jahr 2005 beim Versuch aufgegriffen, die grüne Grenze zu übertreten. »Leute aus grenznahen Dörfern, die die Umgebung und das Bewachungssystem kennen, helfen ihnen beim Übertritt«, erzählt Dimitrov. Für die Hilfe eines kanaldzhija – eines »Schleppers« – bezahle man zwischen 500 und 1 000 Euro. Es wurden allerdings auch Fälle bekannt, in denen Grenzpolizisten ihr Gehalt durch Wegschauen aufbesserten.

Der Übergang von Kapitan Andreevo nach Kapikule ist das zukünftige Eingangstor zur EU. Hier verläuft mit dem paneuropäischen Verkehrskorridor IV die Hauptverbindung zwischen Asien und Europa. Das Verkehrsaufkommen ist enorm: Im vergangenen Jahr überquerten fast fünf Millionen Personen, 50 000 Autobusse, 800 000 PKW und knapp eine halbe Million LKW den Kontrollpunkt. »Da wir hoffentlich bald eine Außengrenze der EU werden, gelten hier sehr strenge Kontrollen«, erklärt Kostadin Kadev, der Leiter des Postens, und verweist stolz auf die Neuerungen der vergangenen Jahre. Computergestützte Arbeitsplätze, die mit dem nationalen Informationssystem verbunden sind, wurden eingerichtet, der Zoll verfügt über moderne Untersuchungshallen, und derzeit wird eine zweite LKW-Trasse ausgebaut.

Zehnerreihen von LKW warten in Kapitan Andreevo auf die Abfertigung. Zeit gibt es hier im Überfluss. Lastwagenfahrer spazieren im miefigen Dunst der Abgase auf und ab, andere machen ein Nickerchen in den engen Kojen. Ein Polizist überprüft mit einem Messgerät den Luftgehalt im Laderaum der LKW. Doch Menschen, die unter Nylonzelten versteckt sind oder Gasmasken tragen, können auch so nicht entdeckt werden. Jede neue technische Innovation birgt auch eine neue Möglichkeit, von Flüchtlingen ausgetrickst zu werden.

»Bulgarien ist größtenteils noch ein Transitland«, erläutert Iliana Savova, Anwältin und Leiterin des Programms für die rechtliche Vertretung von Flüchtlingen beim Helsinki-Komitee. »Die Menschen wollen nach wie vor weiter nach Westeuropa.« Daran werde auch der EU-Beitritt des Landes so schnell nichts ändern. Die Zahl der Asylanträge, die in Bulgarien gestellt wurden, ist in den vergangenen Jahren sogar gesunken. Während im Jahr 2003 1 549 Menschen einen Antrag auf Asyl stellten, waren es im vorigen Jahr nur noch 822 Personen. An der türkisch-bulgarischen Grenze wurden im Jahr 2005 gar nur 63 Asylanträge gestellt.

Der Hauptgrund für diesen Rückgang sei die Verschärfung der Kontrolle an den Landesgrenzen, stellt der Jahresbericht des Helsinki-Komitees fest. Bulgariens Annäherung an die EU habe zwar zur Einführung von gewissen Standards im Flüchtlingsverfahren geführt, jedoch sei dieses System sehr repressiv. Bulgarischen Boden zu betreten, werde immer schwieriger, sagt Savova. Entmutigend sei auch die Anerkennungsquote, die im vergangenen Jahr bei nur zehn Prozent lag.

Die Straße von Kapitan Andreevo ins nahe Städtchen Svilengrad wird von Kiosken gesäumt. »Euroshop« steht in gemalten Lettern auf einer Holzbude geschrieben, die Ladenfront ist jedoch vernagelt. Die meisten der Verkaufsstände sind nicht mehr in Betrieb. Sie wurden einst ohne Genehmigung errichtet und warten nun auf ihren Abriss. Schmuddelige Kioske, die Waren aller Art feilbieten, scheinen nicht mehr so recht ins europäische Image zu passen.

Svilengrad profitiert von der Grenze. Hier ist mehr los als in anderen Provinzstädtchen. Viele arbeiten bei der Polizei oder der Zollbehörde, und mit Cafés, Casinos, Transportunternehmen, Reparaturwerksätten und Hotels lässt sich gutes Geld verdienen. Jeden Freitag kommen Einkaufstouristen aus Griechenland und der Türkei zum Markt. »Keine Stadt dieser Größe hat so viele Diskotheken wie unsere«, sagt der Journalist Velko Velev.

Die heutige Grenzregion wurde erst im Jahr 1912 ein Teil Bulgariens. An die osmanische Zeit, als Svilengrad Mustafa Pasha hieß, erinnert heute nur noch eine 300 Meter lange, imposante Steinbrücke. »Die historischen Beziehungen unter den Balkanländern sind sehr widersprüchlich«, erklärt der Bürgermeister Georgi Manolov. »Doch das hindert uns nicht daran, heute einvernehmlich zu leben.« Längst arbeitet man hier grenzüberschreitend mit den Nachbargemeinden zusammen. Auch das wird von der EU finanziert.

Doch noch nicht alle sind von den guten nachbarschaftlichen Beziehungen überzeugt, vor allem nicht, wenn von der Türkei und ihrem möglichen Beitritt zur EU die Rede ist. »Die Türkei gehört nicht zur EU«, sagt etwa Velev. »Da würde ein Staat beitreten, der weder geistig noch sozial vorbereitet ist.« Auch Bulgarien sei noch nicht in jeder Hinsicht reif für die EU, meint er. Aus diesem Grund hat er einen speziellen Vorschlag für die Erweiterungskommissare in Brüssel. »Es sollten nur bestimmte Teile Bulgariens aufgenommen werden.« Dass Svilengrad dazu gehört, versteht sich von selbst.