Echt teutsch

Nitzer Ebb waren Miterfinder des EBM und irgendwie auch des Techno. Eine Compilation erinnert nun an sie. von jörg sundermeier

Irgendwann vor 24 Jahren. Drei bri­tische Jungs, Bon Harris, Douglas ­McCarthy und David Gooday, noch nicht einmal 18 Jahre alt, haben die Krupps, Malaria und DAF gehört, und diese Musik fixt sie an. Sie versuchen, etwas ähnliches zu machen, haben allerdings das Handicap, dass sie keine Ins­­trumente beherrschen.

Dennoch entschließen sie sich nicht dazu, sich den Genialen Dille­tanten anzuschließen, sondern schaf­fen sich stattdessen einen Sequen­zer an und machen elektronische Musik. Ange­ödet von der damals in Großbritannien produzierten Post-Punk-Musik, die sich in verschiedenen New und No Waves aufsplittert oder gleich als versimpelter Synthiepop dargeboten wird, wollen sie lieber Festlandmusik machen, harte, »reine«, elektronische Musik. »Deutsche Sounds«, wie man damals nicht ganz zu Unrecht sagte. Auch ihr Name, Nitzer Ebb, ein Fantasiewort, erklärt sich aus diesem Impetus. Das Trio will nicht britisch klingen, nicht weich.

Also programmiert es geradlinige, preußische In-die-Fresse-Beats, zu denen unterdrückt geschrieen wird. Melodien sucht man zunächst vergeblich. So werden Nitzer Ebb gemeinsam mit den unvergesslichen Front 242 zu den Begründern jener Musik, die als Electronic Body Music (EBM) bekannt wird und dann wiederum als Techno Welterfolge feiert.

Nitzer Ebb überwinden schnell ihre Vor­bilder, da ihre Musik noch härter, noch gerader und noch treibender ist. Die brachialen Soundcollagen des Industrial streifen sie nur am Rande, die Musik von Nitzer Ebb ist geradeheraus, zielt auf den Bauch, lässt die Beine tanzen, und das zu einem Beat, der klingt wie Pistolenschüsse. 1985 kommt auf ihrem eigenen Label, das sich bezeichnenderweise Power Of Voice nennt, ihre erste Single heraus: »Isn’t It Funny How Your Body Works«. Der Erfolg übertrifft die Erwartungen. In einer – wie man heute sagen würde – Vorkriegszeit befriedigt das stumpfe, vitalis­tische Tanzmaschinengebrumm die gelangweilte Jugend. Nitzer Ebb werden wer.

Daniel Miller von Mute Records, der berühmte Entdecker, wird auf das Trio aufmerksam und produziert mit ihm das Album »That Total Age«, das bis heute als Klassiker des Genres gilt. Nicht selten, wenn heute DJs, die anderes als Chi-Chi-Musik spielen wollen, die Regler hochziehen, hört man »That Total Age«-Tracks. Eines der Stücke, »Join In The Chant«, wird sogar zu einem frühen Hit der Acid-Szene. Nitzer Ebb begründen eine Ästhetik, auf die sich später auch die Pop-Stücke von Underworld berufen können.

Die dazugehörige Bühnenperformance allerdings wird oft kritisiert, denn Nitzer Ebb prügeln die Achtziger hindurch in Bundeswehruniformen auf ihre Instrumente ein. Sind sie in ihrem Deutschenfanatismus zu weit gegangen? Sind sie rechts? Diese Frage ist so sinnvoll wie jene, ob Laibach eine Nazi-Band ist. Laibach sind nicht links, Nitzer Ebb sind es nicht, sie lieben die Provokation, sind etwas naiv und kennen nicht die Konsequenz aus dem Spruch: »Die Geister, die ich rief …«, obschon sie die hätten kennen können. Nitzer Ebb machten Provokationsmusik für jene, denen es damals zu ruhig war. Heute wünschen sich die meisten, die damals vom Weltuntergang geträumt haben, jene schönen Zeiten zurück, als es noch Sozialhilfe gab, der Nationalismus halbwegs gezähmt war und Kriegseintritte nicht zu den Alltags­nachrichten gehörten.

Ende der achtziger Jahre gingen Nitzer Ebb mit der bekanntesten aller Mute-Bands – Depeche Mode – auf Tour, das machte sie auch in Deutschland, dort, wo sie gewissermaßen herkamen, bekannt. Hier nun waren es die schwarz gekleideten Romantikerinnen und Romantiker, denen Nitzer Ebb die bösen Buben machten. Wei­tere Alben folgten, inzwischen war David Gooday ausgestiegen, andere Mitglieder kamen und gingen, McCarthy und Harris blieben, schließ­lich schrumpfte das Trio zum Duo.

Schnell wurde die Band von ihrem Ruf erstickt, die Alben der neunziger Jahre zeugen allesamt vom Niedergang, vom Druck, der auf ihnen lastete. Mitte der Neunziger zerbrach die Band an zwei ungelösten Problemen – Nitzer Ebb, die sich wandeln wollten, hatten keine neuen musikalischen Ideen, zum anderen waren und sind ihre Fans – man sieht es auf jedem Cure-Konzert, auf jedem EBM-Abend – stinkkonservativ und fanden die Musik von früher besser (die Brötchen waren ja früher auch besser, sagt Opa). Nitzer Ebb, also McCarthy und Harris, sahen die Verkaufszahlen, verstanden und schwiegen fortan.

Während der Erstgenannte, nun gerade mal Anfang 30, ein Studium aufnahm, produzierte der Letztgenannte Musik, und das sehr erfolgreich, er zeichnete beispielsweise für den Durchbruch des Kontaktlinsenkaspers Marilyn Manson verantwortlich.

McCarthy hingegen ist vor ein paar Jahren von Terence Fixmer reaktiviert worden und versucht sich seither mit diesem an einer Art Retro-EBM, die sich modern aufgepeppt darbieten will. Zur Zeit touren sie zusammen.

Doch ihre Auftritte stehen im Schatten eines anderen Ereignisses: Nitzer Ebb, in ihrer Spätbesetzung, geben wieder einige Konzerte, im August etwa sind sie in Hildesheim zu bestaunen. Da gehören sie, mit Verlaub, auch hin. Es ist wie mit Auftritten von The Who (von denen ja auch ein neues Album kommen soll), den Sex Pistols oder Lou Reed – alte Pappen entwürdigen sich öffentlich und verhöhnen ihre eigene Arbeit.

Da erfreut man sich stattdessen lieber an der Compilation »Body of Work«, die jetzt bei Mute erschienen ist und sämt­liche Hits von 1984 bis 1997 wieder vereint präsentiert, dazu Remixe, unter anderem vom unvermeidlichen William Orbit. Was man hört, ist nicht schlecht, doch klingt es, anders als das erste Album der Krupps oder die frühen DAF, heute ein bisschen gewöhnlich, auch die oben erwähnten Superhits haben einen Gutteil ihres Charmes eingebüßt. Warum Nitzer Ebb damals für solche Aufregung sorgten, kann man nicht mehr genau erklären. Doch ganz nett klingt es, und es schmeckt ein wenig nach damals, als der Krieg nur in der Musik stattfand.

Nitzer Ebb: Body of Work (Mute/EMI)