Wir sind Stauffenberg

Linke und Rechte feiern die Verschwörer des 20. Juli als Widerstandskämpfer. von frank brendle

Am 20. Juli werden erneut Rekruten des Wach­bataillons zum »Feierlichen Gelöbnis« im Berliner Bendlerblock antreten. Die Zeremonie wird seit 1999 am Jahrestag des Attentats abgehalten, das oppositionelle Wehrmachtsoffizie­re 1944 auf Hitler verübten. Die Bundeswehr demonstriert damit, dass sie sich in der Tradition jener dissidenten Wehrmachtsfraktion sieht. Zugleich handelt es sich um einen Ausdruck der Mo­dernisierungsbemühungen der früheren rot-grünen Bundesregierung. Mit der Verherrlichung der Wehrmacht sollte Schluss sein. Der Abwurf des sperrigen historischen Ballasts hat die innen­po­litische Glaubwürdigkeit und den außenpoli­tischen Handlungsspielraum des neu erwachten Deutschlands erhöht.

Die Ehrung des 20. Juli findet Zustimmung in fast allen politischen Lagern. Die Medien haben sich zum 60. Jahrestag vor zwei Jahren mit Film- und Theaterproduktionen gegenseitig übertroffen, und sich zuständig fühlende Historiker wie Peter Steinbach, der Gründungsleiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, fordern, man solle »vorbehaltlos akzeptieren, dass an diesem Tag Soldaten auf das Grundgesetz vereidigt werden«.

Die Begeisterung für die Verschwörung der Offiziere ist eine spezifisch deutsche Angelegenheit. Die damaligen Kriegsgegner hatten auf das Attentat voller Skepsis reagiert. Ilja Ehrenburg schrieb im Roten Stern, Hitlerdeutschland werde nicht von meutern­den Offizieren in die Knie gezwungen, sondern von der Roten Armee und ihren Verbündeten. »Unsere Armeen sind schneller als das Gewissen der ›Fritzen‹.« Winston Churchill sagte lakonisch: »Die führenden Persönlichkeiten des Deutschen Reiches bringen sich gegenseitig um, oder sie trachten sich nach dem Leben; aber ihre Tage sind gezählt.« Wie eine Tagung des Militärgeschichtlichen Forschungs­amtes vor zwei Jahren zeigte, betrachtet man in West- und Osteuropa den 20. Juli weiterhin als zu vernachlässigende Fußnote der deutschen Ge­schich­te.

Zwar folgen jedes Jahr offizielle Vertreter früherer Feindstaaten der Einladung zum Gelöbnis. In diesem Jahr will der britische Verteidigungsminister kommen; vor ihm waren Repräsentanten aus Polen, Frankreich, Norwegen und den Niederlanden zugegen, auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden hielt bereits eine Ansprache. Bei den meisten ausländischen Gästen dürfte aber weniger die Geschichtspolitik der Bundesregierung als der ökonomische und politische Einfluss Deutschlands der Grund für das Kommen gewesen sein.

Denn der 20. Juli bleibt ein deutsches Datum. Anton Ackermann, damals Mitglied der KPD und später Funktionär der SED, jubilierte im August 1944: »Große vaterländische Tat. Hut ab!« Er bezeichnete die Offiziere als »Kämpfer für die Rettung von Volk und Vaterland«. Der nationalkon­servative Widerstand wurde in der sowjetischen Besatzungszone anfangs dem »antifaschistisch-demokratischen« Konsens zugerechnet. Später galten die Offiziere als »Fleisch vom Fleisch des deutschen Imperialismus«. Aber nur vorübergehend. Je intensiver die DDR nach ihrem »nationalen Er­be« suchte, desto mehr bekannte sie sich wieder zum »anderen Deutschland«. Das Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften würdigte 1984 »nicht nur den persönlichen Mut der Kämpfer des 20. Juli«, sondern auch »ihren Einsatz für die Interessen des Volkes«. Das Attentat galt als »eine patriotische, antifaschistische Ak­tion«.

Die west- und die ge­samt­deutsche Traditions­linke schloss sich dem an. Vor zwei Jahren erklärte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA): »Wir stellen uns in die Tra­dition des anderen Deutschland.« Sie bezeichnete den 20. Juli »als zentrales Datum für die Geschichte des deutschen Widerstandes«. Die DKP-Zeitung UZ nannte das Nazi-Opfer Ernst Thälmann in einem Atemzug mit dem Nazi-Helfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg und verkündete: »Sie kämpf­ten beide unter Einsatz ihres Lebens gegen die Hitlerdiktatur.« Am kühnsten trat der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf auf, als er im Jahr 2003 von der »Sehnsucht der Menschen nach Frieden und Freiheit« sprach. Wäh­rend 1944 »nur wenige sich widersetzten«, seien im Herbst 1989 »Millionen für Recht und Freiheit auf die Straße« gegangen. »Wir können daraus lernen, dass Widerstand gegen Diktatur und Unterdrückung niemals umsonst ist«, sagte der PDS-Politiker.

Dass sich die Bundeswehr ebenfalls auf den 20. Juli beruft, wird als geschichtsklitternd, an­maßend und missbräuchlich kritisiert. »De­magogisch werden die Männer des 20. Juli zur Rechtfertigung der völkerrechtswidrigen Aggression gegen Jugoslawien missbraucht«, behauptet die VVN-BdA. Die UZ findet: »Jeder Offizier und Soldat, der sich an Völkerrecht und Grundgesetz hält, darf und muss sich auf Stauffenberg und Tresckow berufen.« Heidi Lippmann, Bundestagsabgeordnete der PDS, kritisierte im Jahr 2001 das Missverhältnis »zwischen behauptetem Anspruch, in der Tradition dieser Offiziere zu stehen, und tatsächlichem Handeln«.

»Stauffenberg ist unser«, das behauptet aber auch der klügere Teil der rechten Szene. So bringt die Junge Freiheit seit Jahren zum 20. Juli Sonderseiten und würdigt die »Vaterlandsliebe« der Verschwörer. Die Rechten fasziniert der vorbehaltlose Einsatz »für Deutsch­land« und die »nationale Ehre«. »Die Soldaten des 20. Juli wollten (…) den ›Kern‹ der Nation wahren« und das »von den Nationalsozialisten pervertierte Kultur- und Geisteserbe Deutsch­lands wieder zu seinem Recht gelangen lassen«, schrieb die Junge Freiheit bereits vor fünf Jahren. Das sieht die Bundesregierung nicht anders. Der frühere Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) sagte auf dem Gelöbnis im Jahr 2005: »Mit ihrem Attentat haben die Frauen und Männer des 20. Juli für das Recht sowie für die Würde und Ehre unseres Landes gekämpft.«

Nach neuerer Lesart ist nicht mehr Stauffenberg, sondern Hitler der Verräter an der Nation. Dessen Bereitschaft, »das deutsche Volk bei seinem politischen Bankrott mit sich in den Abgrund zu ziehen«, kontrastiert die Junge Freiheit mit der »Loyalität« der Verschwörer »zu ihrem Volk und ihrer Nation«.

Zu retten war neben der »Ehre« auch die Größe. Auf einem Sprechzettel für die geplante Radio­ansprache hatte Stauffenberg am 20. Juli notiert, Deutschland müsse weiterhin einen »im Spiel der Kräfte einsetzbaren Machtfaktor« darstellen. Dies nimmt auch die nicht gerade zum gemäßigten Faschismus zählende DVU für Stauffenberg ein. In ihrer National-Zeitung zitiert sie ihn mit Sätzen aus dem Mai 1944: »An Gebietsabtretungen, an einen Verzicht auf Österreich denkt in den Reihen der Konspiration niemand.« Am besten aber gefällt den Nazis Stauffenbergs Diktum: »Das Vaterland steht über dem Führer. Was zählt Hitler, wenn es um Deutschland geht?«

»Schließlich heißt es deshalb auf der Gedenktafel für die Hingerichteten im Berliner Bendlerblock nicht etwa: ›Sie starben für Frieden und Menschen­rechte‹, sondern: ›Sie starben für Deutschland‹«, fasst der Chefredakteur der Jungen Freiheit, Dieter Stein, zusammen. Die Offiziere stellten niemals in Frage, dass Deutschland jenseits seiner Landesgrenzen für seine »Interessen« töten darf, Völkerrecht hin oder her. Nicht der Krieg machte ihnen Sorgen, sondern die Niederlage. Ihr Gewissen blieb stets nationalistischen Erwägungen untergeordnet. Damit eignen sie sich sowohl als Vorbilder für die Faschisten als auch für die Bundeswehr, aber kaum für die Linke.

Von ihrem Bestreben, sich ausgerechnet mit Offi­zieren der Wehrmacht zu identifizieren, scheint die Linke aber in jüngster Zeit abzulassen. Der Leiter der VVN-BdA, Heinrich Fink, ist schon voriges Jahr auf einer Veranstaltung in Berlin auf Distanz zum 20. Juli gegangen. Aus der Linkspartei  kam bislang kein Lob des Offiziers à la Wolf, sondern eine Anfrage der Bundestagsfraktion, in der nach der Traditionswürdigkeit der Wehrmachtsopposition gefragt wird. Schließlich hätten »nicht wenige jener Offiziere Kriegsverbrechen und andere kriegs­völkerrechtswidrige Handlungen begangen«. Mal sehen, ob das Parteilinie bleibt.