»Der Krieg vereinfacht das Denken«

Der israelische Schriftsteller etgar keret über enttäuschte Hoffnungen, den neuen Patriotismus und die fehlende Alternative zum militärischen Vorgehen Israels

Tel Aviv ist von den Kämpfen bisher nicht betroffen. Wie greift der Konflikt auf den Alltag der Stadt über?

Auch in Tel Aviv befürchtet man direkte Angriffe. Hier sitzt jeder ständig vor dem Fernseher, um immer die neuesten Informationen zu haben. Es gab zwar schon häufig die Situation, dass wir auf einen Krieg zusteuerten. Aber diesmal stehen wir unmittelbar davor.

Sie haben den Abzug der Israelis aus Gaza begrüßt. Geben die jüngsten Entwicklungen denjenigen Recht, die gesagt haben, der Rückzug werde von den Palästinensern als Zeichen der Schwäche ausgelegt?

Ich war immer der Meinung, dass der Abzug noch nicht genug ist – und bin es noch heute. Es war schwierig, die Israelis davon zu überzeugen, dass wir diesen Schritt gehen, also Territorium und Siedlungen aufgeben müssen, um im Friedensprozess weiterzukommen. Das war ein wichtiger Lernprozess. Die Leute begriffen, dass der Friedensschluss seinen Preis hat.

Was hat der Abzug bei der palästinensischen Bevölkerung bewirkt?

Die Reaktion ist enttäuschend. Genau in dem Moment, als in Israel ein Umdenken einsetzte, bewegte sich die palästinensische Bevölkerung in die entgegengesetzte Richtung. Das sieht man an der Unterstützung der Hamas und daran, wie die Hamas nach ihrer Wahl agieren konnte. Ich bin enttäuscht, dass der Abzug den Palästinensern offenbar nichts bedeutet hat; dass sie nicht davon zu überzeugen waren, den Weg der Verhandlungen mitzugehen, statt den Weg einer islamischen fundamentalistischen Bewegung einzuschlagen, die Israel das Existenzrecht abspricht. Das ist der genau Punkt, an dem sich Hamas und Hizbollah einig sind. Es geht ihnen nicht um Grenzverläufe, sondern um die viel fundamentalere Frage nach der Existenz Israels.

Das gemeinsame Positionspapier von Fatah und Hamas wurde von ausländischen Beobachtern als implizite Anerkennung Israels gewertet. Lagen diese Experten falsch?

Es ist sehr schwierig, mit Leuten zu verhandeln, die wollen, dass du aufhörst zu existieren. Es gab in Israel daher ein starkes Gefühl, dass die Hamas-Initiative scheitern würde. Und genau das ist auch passiert. Die Entführung zu diesem Zeitpunkt war sicher kein Zufall. Das Ziel der Entführer war es, dieses Projekt zu stoppen.

Wie wirkt sich die Eskalation auf die israelische Gesellschaft aus, auf die Stimmung der jungen Leute? Glauben sie noch an den Frieden oder setzen sie auf eine militärische Lösung oder denken an Auswanderung?

Die Situation wirkt für viele Menschen meiner Generation in einer seltsamen Weise als Katharsis. Ich beobachte das bei einigen meiner Freunde.

Was meinen Sie mit Katharsis?

Viele junge Israelis empfanden die Besatzung und die Position als Unterdrücker als ein moralisches Problem. Es hinderte sie daran, patriotisch zu denken. Jetzt aber können sie wieder mit einem besserem Gefühl Patrioten sein. Man ist sich wieder sicher, dass die anderen die Bösen sind und dass man sie bekämpfen muss. Die Aktionen der Hamas und der Hizbollah haben eine neue Welle des Patriotismus unter jungen Israelis ausgelöst. Noch vor einem Jahr mussten die Leute zugeben, dass die Lage sehr komplex ist – dass wir die palästinensische Bevölkerung unterdrückten, dass wir sie z.B. an den Checkpoints unmenschlich behandelten.

Wie wird der Konflikt jetzt verhandelt?

Jetzt können diese Leute sagen: »Die wollen uns töten, also müssen wir uns selbst verteidigen.« Alles ist wieder einfach. Der Krieg vereinfacht das Denken. Wir sind wieder bei den Erzählungen von 1967, bei den Kriegserzählungen. Der israelische Soldat erscheint darin als eine Heldenfigur wie aus einem amerikanischen Film. Er ist der good guy, die anderen sind die bad guys. Wir sind nicht mehr konfrontiert mit Leuten, die sagen: »Hört zu, alles, was wir wollen, ist, dass ihr uns unsere Freiheit gebt«, sondern die Leute sagen zu uns: »Du bist kein Moslem, du bist ein Ungläubiger, wir wollen dich aus unserem Land verjagen oder dich töten.« In dem Moment, wo man einen solchen Dialog führt, kann das die eigene Moral leicht kompromittieren. Denn man sagt sich, wir haben so böse Feinde, wenn die versuchen, Israel zu zerstören, dann ist das Krieg, also was sollen wir tun? Das ist eine Ansicht, die ich für sehr gefährlich halte.

Was ist Ihre Überzeugung?

Viele der Opfer der Bombenangriffe der Hizbollah in Nordisrael waren Moslems, nicht Juden. Ich denke, dass der Konflikt ein nationaler und kein rassistischer ist. Tatsache ist, dass Israel nur dann Frieden haben wird, wenn wir den Palästinensern Freiheit und Kontrolle über ihr eigenes Land ermöglichen. Daran halte ich fest. Ich begreife mich als einen aktiven Unterstützer der Linken. Tatsache ist aber auch, dass sich die Linke in Israel im Moment in der schlechtesten Situation ihrer Geschichte befindet.

Welche Rolle kann die Linke jetzt überhaupt noch übernehmen?

Als Israel in den Libanon einmarschierte, hätte ich demonstrieren und fordern können, Israel solle raus aus dem Libanon. Im Fall der besetzten Gebiete habe ich gesagt, dass wir mit den Palästinensern verhandeln und ihnen Jerusalem geben sollen. Ich hatte einen alternativen Plan zu allem, was die Rechte anzubieten hatte. Aber jetzt, da wir auf der anderen Seite die Hamas-Regierung haben, die nicht einmal die Existenz des Staates Israels anerkennt und terroristische Aktivitäten unterstützt, ist es sehr schwierig, Alternativen zu fordern. Meine Rolle als Linker besteht lediglich darin, die Exekutive zu ermahnen, humaner vorzugehen, damit keine Zivilisten verletzt werden.

Sie unterstützen als Linker das militärische Vorgehen.

Wenn die Hizbollah die Grenze überquert, israelische Soldaten angreift und Israelis in den Libanon entführt, dann kann selbst ein Linker, selbst jemand, der alles in seiner Macht Stehende tut, um Israel dazu zu bewegen, sich aus dem Libanon zurückzuziehen, nicht sagen, dass der Staat nicht aggressiv vorgehen dürfe.

Es gibt Spekulationen darüber, dass die Bevölkerung im Libanon sich gegen die Aktionen der Hizbollah wenden könnte. Wie begründet ist diese Hoffnung?

Ich glaube, dass es schon vor den jüngsten Ereignissen eine Mehrheit im Libanon gab, die gegen die Aktivitäten der Hizbollah war. Es ist nur so, dass Syrien immer noch auf die Angelegenheiten im Libanon einwirkt. Und die Hizbollah kümmert sich um die syrischen und iranischen Interessen und versucht, eine Art fundamentalistische muslimische Bewegung anzuführen. Aber sie tut nichts für das Interesse des Libanon. Schließlich leben im Libanon sehr viele Christen, während die Hizbollah eine religiös-fundamentalistische muslimische Gruppe ist.

Wenn ich ein Restaurant in Beirut hätte, wo aufgrund der aktuellen Lage die Touristen ausbleiben und ich deswegen mein Geschäft verlöre, wegen Leuten, die religiöse Extremisten sind, die einen Krieg mit dem Nachbarland anfangen, nur weil sie Veränderungen erwarten, die vielleicht helfen könnten, palästinensische Gefangene zu befreien, dann wäre das nicht in meinem Interesse. Es wäre nicht in meinem Interesse, bombardiert zu werden und die Grundlage für meinen Lebensunterhalt zu verlieren. Vor einigen Monaten versuchten die Libanesen, die Syrer aus ihrem Land zu vertreiben, und demonstrierten. Dieselben Leute, die gegen die syrische Einmischung waren, sind natürlich auch gegen die Hizbollah, denn die Hizbollah ist eine Waffe der Syrer und der Iraner in ihrem Land.