Eher Straßenköter als Schoßhündchen

In Marseille produzieren Arbeitslose und politische Aktivisten die satirische Monatszeitung CQFD. christopher schmidt hat die Redaktion besucht

Es stammt aus Marseille, das »provisorische Zentralorgan der erroristischen Internationale«. Die kuriose Monatszeitung wird von einer Redaktion, die hauptsächlich aus Arbeits­losen und politischen Aktivisten besteht, herausgebracht. Ihre Auflage liegt zurzeit bei 13 000 Exemplaren, und sie ist noch im letzten Winkel der französischen Republik zu erwerben.

»Le petit canard« (das kleine Käseblatt), wie es einer der Redakteure liebevoll nennt, heißt mit offiziellem Namen CQFD – das französische Kürzel für »Was zu beweisen ist«. Manche in der Redak­tion übersetzen den Titel jedoch mit: »Ce qu’il faut dire, détruire, découvrir« (Was zu sagen, zerstören, entdecken etc. ist). Man sieht: Das Positive ist die Sache der Zeitung nicht. Sie ist voller Karikaturen und Comicstrips, sie ist kritisch, aggressiv, satirisch und nimmt keine große Rücksicht auf das, was der Bürger als »guten Geschmack« bezeichnet. Auch die Durchschnittslinken finden keine Schonung. Zwei Farben genügen für den Druck: schwarz und rot.

Ein Errorist, das ist CQFD zufolge zum Beispiel einer, der wachsam ist und darauf achtet, nicht rentabel zu sein, aber nicht jemand, der, weil es so schön billig ist, bei Lidl klaut. Das Hauptquartier der Erroristen liegt wohl nicht ohne Grund in Marseille, der Stadt mit reichlich Sonne, Mittelmeer­flair und dem Mistral, von dem behauptet wird, dass er einem fast jeden dritten Tag um die Ohren bläst. In Marseille wird eine Kultur des Scheiterns gepflegt. Die große Zeit des Hafens ist längst vorbei. Die Arbeitslosigkeit in der Stadt liegt bei rund 14 Prozent, etwa ein Viertel der Bevölkerung lebt in Armut.

Die CQFD geht auf eine bescheidenere Postille zurück, die Begleitorgan einer Kampagne gegen den Wehrdienst war und den Krieg und seine hässlichen Folgen zum Thema hatte. Doch als der Wehr­dienst in Frankreich im Jahr 2001 abgeschafft wurde, war die Luft aus dem Zeitschriftenprojekt raus. Man wollte allerdings sowieso das Themenspektrum erweitern und zugänglicher für den Rest der Welt werden. »Wir hatten wirklich Lust, uns mit etwas Unterhaltsamem zu beschäftigen«, flachst Oliver Cyran, der einzige Redakteur mit einer klassischen Journalistenlaufbahn bei CQFD. Die anfänglichen Themen – vor allen Dingen Antimilitarismus, Asylrecht, Immigration, Innere Sicherheit, Medienkritik – wurden um die Kritik der Arbeit erweitert, »weil sich herausstellte, dass wir fast alle entweder arbeitslos oder auf Sozialhilfe waren oder uns in einer prekären Situation befanden«.

Einem Mitglied des Redaktionskomitees, das sich finanziell in argen Nöten befand, wird eine halbe Stelle bezahlt. Vier andere arbeiten als eine Art ABM-Beschäftigte, ansonsten bleibt ein ehernes Prinzip des Projekts unberührt: keine Subventionen!

Dass sie gegen die Lohnarbeit schreiben, heißt für die Redakteure der CQFD hingegen nicht, unbezahlt zu arbeiten. Was tun, wenn irgendwann das sowieso nicht ausreichende Arbeitslosengeld versiegt? »Seit Beginn war die Idee auch, mit der Zeitung einer Beschäftigung nachzugehen, die uns erlaubt zu überleben«, erzählt ein Redakteur. Dass das noch nicht ganz der Fall ist, wird mit einem Schmunzeln abgetan.

Die prekäre materielle Lage trägt vielleicht zu einer unkonventionellen Arbeitsweise bei. Am Drucktag der Zeitung etwa bleiben die Schreibtische leer, um eine Teil­auflage der Ausgabe aus Gründen der Kostenersparnis selbst zu falten. Selbstorganisation ist den Beteiligten wichtig. Das ungefähr ein halbes Dutzend Köpfe zählende Redaktionskomitee ist auf Widerruf gewählt, auf einen Redaktionsleiter oder ähn­liches wird verzichtet. Bis auf einen Zoff mit dem Stamm der Zeichner kam es dabei angeblich noch zu keinen Reibereien.

»Wir sind keine Zeitung von Journalisten«, führt Olivier Cyran aus. Um jeden Mo­nat 16 Seiten zu füllen, sei aber ein Minimum an Professionalität notwendig. Ein »aufgeklärtes, forderndes Dilettantentum« heißt das in der Sprache der CQFD-Redaktion.

Angesprochen auf eine redaktionelle Linie, geben die Redakteure sich eher zurück­haltend. »Sagen wir mal, dass wir eher einer libertären Eingebung folgen, grundsätzliches Misstrauen hegen gegen jegliche Form von Macht, die in unserem eigenen Milieu mit inbegriffen«, heißt es. Als weiterer Orien­tierungspunkt gilt die Sozialkritik. Verstanden wird diese aber im doppelten Sinne: »Man kann eine Kritik an der Gesellschaft haben, Kritik kann aber auch selber sozial sein, weil es einen Versuch gibt, sich anders zu or­ganisieren.«

Markant ist der Ton der Zeitung. Er ist po­lemisch, bisweilen derb. Aber wirkt der oft in den Zeitungsspalten bemühte Volkszorn nicht unglaubwürdig? Ist das Muster – böse, fiese Welt vs. aufrichtige, wütende Leute – nicht noch weniger überzeugend? Sofort gibt es Kon­tra. In der Zeitung seien sie nicht Be­obachter, sondern Teilnehmende an der Realität, zum Beispiel wenn sie sich über die schikanöse Behandlung der Arbeitslosen durch den Staat erregen. Man schreibe nicht über eine Fantasiewelt. »Wir stellen fest, dass das so abläuft«, beschreibt ein Redakteur die Perspektive der Berichterstattung.

Die Schärfe setzt sich fort bei den Zeichnungen auf dem Titelblatt und den in der Zeitung verstreuten Karikaturen. Als Reaktion auf das geplante neue französische Einwanderungsgesetz zeigt die Titelseite das Gesicht eines schwarzen Sklaven, dessen klischeehaft wulstige Lippen zum erzwungenen Lächeln von zwei weißen Händen auseinandergezerrt werden. Die zähnefletschende rote Bulldogge an einem zertrennten Halsband, die eine Rubrik ziert, ist ein treffendes Symbol für die Zeitung.

Entworfen wurde der Köter bereits im Jahr 1897 von Thomas Theodor Heine für die deutsche Satire­zeitschrift Simplicissimus, deren Tradition die CQFD gerne fortsetzen will. Der Stil, insbesondere auch die zuweilen mit Fäkalhumor oder sexuell aufgeladenen Zeichnungen, trifft gelegentlich auf Ablehnung unter den Lesenden. Auf die Frage, ob das nicht auch durch den auffälligen Überschuss an Männern im Redaktionskomitee und unter den anderen Mitarbeitern erklärt werden könne, macht sich Ratlosigkeit breit: »Denkst du wirklich, dass CQFD eine Zeitung von Kneipenkumpels ist?«

www.cequilfautdetruire.org