Das bisschen Mord und Totschlag

Kein anderes Genre bildet die Wirklichkeit derzeit besser ab als der Horrorfilm. Das Fantasy Filmfest in Berlin trieft nur so vor Realismus. von andreas hartmann

Keine Ahnung, wo genau die USA überall Menschen foltern lassen, weil das daheim nicht so gerne gesehen wird. Ginge es nach dem pulpigen Schocker »Hostel«, der immer noch in den deutschen Kinos läuft und mit freund­licher Genehmigung von Quentin Tarantino präsentiert wird, wäre die Slowakei ein sicherer Ort, um Feinden der Demokratie ein paar lustige Stunden auf der Streckbank zu ermöglichen. In dem Film ist immerhin eine ganze Geheimorganisation in der Lage, Foltern als Dienstleistung in Bratislava anzubieten.

Das Genre Horror boomt seit einiger Zeit wieder. Selbst ein Film wie »Hostel«, der zwischen Teenieklamotte und Ultra-brutalität changiert und Löcher im Drehbuch so groß wie die im Schweizer Käse aufweist, macht an den Kinokassen seinen Schnitt. Horrorfilme wie dieser sind sicherlich nicht die ganz große Kinokunst, aber immerhin reagieren sie auf solch unschöne Dinge wie Abu Ghraib, auf immer wieder neue Arten von Terror, Gewalt und Folter schneller als andere Genres.

Das liegt nahe, denn schließlich sind Terror, Gewalt und Folter schon immer Lieblingthemen von Horrorfilmen gewesen. Andererseits ist es wirklich verwunderlich, wie lange es gedauert hat, bis sich Hollywood nun ernsthaft mit dem 11. September auseinandersetzt. Außer dem britischen Regisseur Michael Winterbottom (»Road to Guantanamo«) scheint kaum mehr jemand aus der Arthouse-Riege willig zu sein, sich mit dem internationalen Terrorismus zu beschäftigen.

Der Vorteil des Horrorfilms ist es, dass er nicht ausgewogen, politisch korrekt und sensibel daherkommen muss. Der Horrorfilm darf drauflosholzen und genau die schockierenden Bilder liefern, die in den Spätnachrichten zensiert werden. Er bedient unsere Lust auf Vo­yeurismus und gibt wieder, wie sich aus Bauchwunden quellendes Gedärm anhört, während das Arthouse-Kino viel stärker darauf achten muss, nicht zu sehr die Gefühle der Betroffenen zu verletzen.

Auch der gegenwärtig in den deutschen Kinos gezeigte australische Spielfilm »Wolf Creek« bildet Folteropfer ab. In den australischen Outlands geraten ein paar Jugendliche in die Fänge eines Crocodile-Dundee-artigen Typen, der sich daran ergötzt, seine Opfer zu jagen, zu quälen und sie wie Vieh abzuschlachten. Einfach weil es ihm Spaß macht und um zu beweisen, dass in der Einöde das Gesetz des Jägers gilt.

Folter spielt auch eine gewisse Rolle in dem Eröffnungsfilm des diesjährigen Fantasy Filmfests. In der britischen Produktion »Severance« geraten Mitarbeiter eines internationalen Rüstungskonzerns, die sich auf einen Betriebsausflug im ehemaligen Ostblock begeben, in die Fänge marodierender Söldner, die immer noch Kosovo-Krieg spielen, heruntergekommene Gefangenenlager unterhalten und denen es riesigen Spaß macht, ihre Opfer mit Spring­fallen einzufangen und auf Tretminen gehen zu lassen. Nur zu töten reicht ihnen nicht, kreatives Töten ist gefragt. Die Gespenster des Krieges sind hier lebendig, die Vergangenheit nicht wirklich aufgearbeitet, und Ausländer gelten als diejenigen, die sich unverlangt in die eigenen Angelegenheiten einmischen. Das erinnert durchaus an die Situation im ehemaligen Jugoslawien.

Der Film »Severance« leistet sich dabei viel zynischen Humor und versteht sich als Horrorklamotte. Er ist blutig und teilweise brutal, macht sich aber immer auch gerne über die Konventionen des eigenen Genres lustig. Selbst das Abtrennen von Gliedmaßen erscheint hier als riesengroßer Spaß.

»Severance« ist ein würdiger Eröffnungsfilm des 20. Fantasy Filmfests. Er unterstreicht den Anspruch des Festivals, längst viel mehr zu sein als eine Abspielstätte für humorfreie und schlecht gemachte Horrorfilme, in denen wild mit der Bohrmaschine Löcher in Schädel gebohrt werden. »Severance« könnte mit etwas Glück genau wie die kleine englische Zombie-Klamotte »Shaun of the dead«, vor zwei Jahren der Überraschungserfolg, noch regulär in den Kinos anlaufen. Das Zeug zu einem Szene-Hit hat der Film.

Dabei war der Anspruch des Festivals bislang eher der, abseitige Filme zu zeigen, die nie ins Kino kommen und in Videotheken versauern. Doch durch den anhaltenden DVD-Boom ist man inzwischen zu einem Forum mit einer gewissen Relevanz geworden: Neue DVDs bekommen seit einiger Zeit eine ähnliche Aufmerksamkeit wie frisch anlaufende Kinofilme; auf dem Fantasy Filmfest wird somit der Stoff präsentiert, der auf dem expandierenden Heimkino-Markt eine entscheidende Rolle spielt. Dank der DVD finden inzwischen auch obskurste Machwerke international Verbreitung. Das Fantasy Filmfest ist in Deutschland der wichtigste Marktplatz für derartige Filme und somit weit weniger randständig als früher.

Allerdings ist das Programm auch breit gefächert wie selten zuvor. Neben dem üblichen Horror, Pulp, Fantasy und Trash werden auch clevere Arthouse-Produktionen wie Richard Linklaters neuer Animationsfilm »A Scanner Dark­ly« vorgestellt, und eine kleine Retrospektive der »Nippon Classics« widmet sich ein paar vergessenen Perlen des japanischen Samurai- und Revenge-Kinos der siebziger Jahre.

Immer mehr Filminteressierte sagen, dass die wahre Produktivität des internationalen Kinos sowieso nur mehr auf DVD nachvollzogen werden könne, da Filmverleihe viel zu ängstlich geworden seien und wirklich interessante transgressive Produktionen nicht mehr in den Lichtspielhäusern landen würden.

Wahrscheinlich wird man den auf dem Festival laufenden britisch-irischen Kuhstallschocker »Isolation« auch nirgendwo sonst auf der großen Leinwand sehen können. Auch hier zeigt der Horrorfilm wieder, wie gut er virulente kollektive Ängste effektvoll bündeln kann. Angst vor Viren, BSE und Gen-Manipulation, alles wird hier thematisiert, wenn plötzlich auf einem irischen Bauernhof die Kühe anfangen, Mutanten zu gebären, die jeden anfallen, der sich bewegt. Nichts ist hier so, wie es scheint, der Tod lauert überall, sei achtsam und vor allem: Wenn sich etwas Glitschiges unter deiner Bettdecke verkriecht, ist das nicht dein neuer Partner. Es bleibt dabei: Horrorfilme zu sehen, heißt, das Leben kennen zu lernen.

Das Fantasy Filmfest auf Deutschlandtour: 26. Juli bis 2. August: Nürnberg, Frankfurt; 2. bis 9. August: Köln, Bochum; 9. bis 16. August: Hamburg, Berlin