Ein Rollback alla Turka

Die türkische Regierung droht medienwirksam mit dem Einmarsch in den Nordirak. Unterdessen setzt sie, weniger beachtet von der Öffentlichkeit, äußerst repressive Antiterrorgesetze durch. von jan keetman, istanbul

Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan ist davon überzeugt, dass seine Regierung genug guten Willen gezeigt hat. »Wir wollten diese Sache auf demokratische Art lösen«, sagte er in Bezug auf die Stützpunkte der PKK im Nordirak. Aber er fügte hinzu, dass die jüngsten Verluste der türkischen Streitkräfte nicht hinzunehmen seien. In den vergangenen zwei Wochen wurden im Südosten des Landes 18 Soldaten und Polizisten bei Überfällen der PKK ge­tötet. Nach einem Bericht der Zeitung Hürriyet hat die Regierung daher in der vergangenen Woche den Generalstab auto­risiert, ein militärisches Vorgehen gegen die Lager der PKK im Norden des Irak vor­zu­be­rei­ten.

Sicher wäre es naiv gewesen anzunehmen, die PKK werde sofort verschwinden, nachdem der erdrückende Ausnahmezustand in den hauptsächlich von Kurden bewohnten türkischen Landesteilen vor zwei Jahren aufgehoben worden ist. Die Demokratisierung, die man an eini­gen Punkten auch hätte stärker vorantreiben können, ist zwar dazu geeignet, das Milieu zu verändern, aus dem die PKK entstanden ist, eine sofortige Befriedung war aber nicht zu erwarten.

Doch Erdogan glaubt offenbar, dass er mit den zwei großen Projekten seiner Politik bei den Wahlen nichts gewinnen kann: mit der Stärkung demokratischer Rechte und der Annäherung an die EU. Allen Beteuerungen von Außenminister Abdullah Gül zum Trotz sind liberale Reformen derzeit nicht gefragt. Stattdessen werden einige sogar zurückgenommen. Das neue Antiterrorgesetz, das vor zwei Wochen, nahezu unbemerkt wegen der Aufregung um die oben erwähnten im Südosten des Landes ermordeten Soldaten, von Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer unterschrieben wurde, macht viel von den Reformen der vergangenen Jahre, die von der EU gefordert worden sind, zu Makulatur.

In vieler Hinsicht ähnelt das neue den anderen Antiterrorgesetzen. Zu erwähnen ist die Einschränkung der Verteidigerrechte, unter anderem dadurch, dass der Verteidiger mit seinem Mandanten nicht mehr unter vier Augen sprechen darf. Für den poli­zeilichen Gebrauch der Schusswaffe genügt es, wenn der Verdächtige auf den Ruf »Ergib dich!« nicht reagiert, also etwa wegrennt. Die Erlaubnis, eine Schusswaffe zu gebrachen, gilt für die Mitglieder der Sicherheitskräfte nun auch außer­dienstlich.

Für das Tragen von Emblemen einer Terrororganisation und die Vermummung auf bestimmten Demonstrationen sind Strafen von einem bis fünf Jahren Gefängnis vorgesehen. Für die Herstellung von »Schriften, die den Terrorismus unterstützen«, sind ein Jahr bis drei Jahre Gefängnis anvisiert. Inhaber eines Presse­organs, die solche Schriften veröffentlichen, selbst wenn sie an der entsprechen­den Publikation in keiner Weise beteiligt waren, haben zwischen 1 000 und 10 000 Tagessätze Geldstrafe zu erwarten. Natürlich besteht auch jederzeit die Möglichkeit, das entsprechende Presseorgan zu verbieten. Eine Bestimmung, die den Titel »Ermunterung zum Selbstmord« trägt, wird allgemein als Strafe für die­jenigen gewertet, die Hungerstreikende unterstützen.

Bei vielen Gesetzesartikeln ist nicht klar, worauf sie abzielen, aber sie können weit ausgelegt werden. So gilt die »Behinderung der Arbeitsfreiheit« als terroristischer Akt. Demnach könnte ein Gericht einen Streikposten als Terroristen aburteilen oder die Gewerkschaft als terroristische Organisation behandeln, während man vermutlich kaum fürch­ten muss, dass demnächst ein Unternehmer ins Gefängnis muss, weil er Arbeiter entlassen hat.

Bei einigen Vergehen handelt es sich um normale Straftaten, die zu terroristischen Verbrechen erklärt werden, wie so genannter qualifizierter Diebstahl und Antikenschmuggel. Das Antiterrorgesetz dient an diesen Punkten dazu, das gerade erst reformierte Strafrecht wieder zu verschärfen. Geschützt wird die Türkei schließ­lich auch vor dem Pazifismus und überhaupt vor jeder Kritik an ihren Streitkräften. Terrorist ist nämlich auch, wer »das Volk dem Militär entfremdet«.

Staatspräsident Sezer hat bis zuletzt gezögert, das neue Gesetz zu unterschreiben. Einige Bestimmungen will er noch vom Verfassungsgericht prüfen lassen, was aber nicht verhindert, dass sie inkrafttreten. Es ist bezeichnend, dass Sezer mit seiner Kritik an dem Antiterrorgesetz wieder einmal alleine steht. Erdogan und seine Wohlfahrtspartei AKP engagieren sich nicht für die Bürgerrechte, es gibt nur noch ein paar Intellektuelle, die dies tun, aber keine relevan­te politische Partei mehr. Neben all den Diskus­sionen über einen möglichen Einmarsch in den Irak hat sich die AKP nebenher kaum bemerkt von ihren Reformprojekten verabschiedet.

Während die Abkehr von der Politik liberaler Reformen eine Tatsache ist, kann man sich bei der Außenpolitik der Regierung nicht des Eindrucks erwehren, dass es dabei auch viel um Show geht. Die Frage ist, was die Regierung überhaupt erreichen will. Ein Jahrzehnt hat die türkische Armee die PKK mit Luftangriffen und Bodentruppen im Irak bekämpft. Im Jahr 1992 wurde sie dabei mehrere Wochen von rund 11 000 irakisch-kurdischen Peschmerga unterstützt. Doch die PKK hat sich immer wieder gesammelt. Weil heute auch die Regierungen im Iran und in Syrien die PKK bekämpfen, hätte die Türkei theoretisch eine neue Chance, wenn sie die irakischen Kurden dazu bringt, die PKK auf ihrem Territorium ernsthaft und auf Dauer zu bekämpfen.

Dafür gibt es zwei Wege. Der eine beinhaltet militärischen Druck. Das würde die einzige fried­liche Region des Irak destabilisieren. Die USA aber könnten das nicht hinnehmen. Die andere Möglichkeit ist, Druck auf die USA auszuüben, damit diese die irakischen Kurden unter Druck setzen.

Nur dieser Weg ist wirklich gangbar, und er wird von der Türkei auch eingeschlagen. Erschwert wird er indessen durch manche Unstimmigkeit zwischen der türkischen und der US-amerikanischen Regierung, an der der türkische Ministerpräsident nicht ganz unschuldig ist. Da sind die Beziehungen zu radikalen Islamis­ten, wie der Hamas, dem irakischen Schiiten­führer Moqtada al-Sadr und zu dem von der Uno seit Jahren als mutmaßlicher Finanzier von al-Qaida geächteten Saudi Yasin El-Qadi, über den Erdogan jüngst sagte, er vertraue ihm so wie sich selbst.

Trotz allem mag Erdogan vielleicht eines Tages Erfolg haben und die PKK mit Hilfe der USA und der irakischen Kurden vertreiben, bis sie wieder eine andere Möglichkeit findet, die Tür­kei anzugreifen. Entscheidend für die Zukunft der Türkei ist das nicht. Viel wichtiger ist, wie sich Staat und Gesellschaft im Innern verändern.