»Benjamin Blümchen ist die typische Einstiegsdroge«

Ralf Bauer

Haben. Nach »Mama« und »Papa« ist »haben« eines der ersten Wörter, das Kinder lernen. Denn Kinder wollen immerzu etwas haben. Und sie haben mehr denn je: Trotz der steigenden Armut verfügt hierzulande jedes Kind im Alter zwischen sechs und 13 Jahren durchschnittlich über 1 006 Euro. Zu diesem Ergebnis gelangt die diesjährige »Kids-Verbraucher-Analyse«, die der größte deutsche Comic-Verlag Ehapa in der vergangenen Woche vorstellte. Rechnet man Taschengeld, Sparguthaben und Geldgeschenke zusammen, ergibt sich für die 5,84 Millionen Kinder dieser Altersgruppe ein Vermögen von rund 5,9 Milliarden Euro.

Ralf Bauer leitet die Abteilung Markt- und Medienforschung bei Ehapa und war für die Studie verantwortlich. Mit ihm sprach Deniz Yücel.

Haben Sie Kinder? Und besitzen sie ein eigenes Handy und einen eigenen Fernseher?

Ich bin erst vor kurzem Vater geworden, mein Sohn kann noch nicht sprechen. Aber wenn die Entwicklung in diesem Tempo weitergeht, wird er mit sechs Jahren wohl ein Handy haben.

Dem Kinderschutzbund zufolge leben in mehr als 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche auf dem Sozialhilfeniveau. Ihre Untersuchung stellt fest, dass jedem Kind durchschnittlich erstmals mehr als 1 000 Euro zur Verfügung stehen. Wie passen beide Ergebnisse zusammen?

Zum Teil liegt das daran, dass unsere Studie nur Kinder im Alter zwischen sechs und 13 Jahren erfasst. Und wir fragen die Kinder nicht nur nach dem Taschengeld, das sie von ihren Eltern erhalten, sondern auch danach, was ihnen Tanten, Onkel und Großeltern schenken. Darum sind diese unterschiedlichen Zahlen durchaus miteinander zu vereinbaren, zumal viele Eltern sagen: Hier und da müssen wir schon knapsen, aber die Kinder sind das Letzte, woran wir sparen.

Haben Sie dafür eine Erklärung?

Der wichtigste Grund ist wohl der, dass man heutzutage weniger Kinder hat, so dass sich alles auf die ein, zwei Kinder konzentriert.

Ihre Studie bescheinigt Kindern ein »hohes Markenbewusstsein«, etwa bei Schuhen und Kleidung, aber auch bei Kosmetikprodukten. Saugen sie dieses Bewusstsein mit der Muttermilch auf, oder woher kommt es?

Die Kinder wachsen gottlob nicht taub und blind auf, sondern in einer Konsum- und Markenwelt. Zum Beispiel sprechen die Eltern vom Mercedes oder vom VW, so dass die Kinder früh lernen: Es gibt nicht einfach nur Autos, sondern es gibt bestimmte Marken. Das Gleiche gilt für Spielzeug oder Süßigkeiten. Daher kommt man mit dem Begriff »Puppe« nicht mehr weit. Heute heißt es: Ich will eine Barbie! Oder: Ich will eine Babyborn!

Selbst wenn die Marken im Elternhaus keine große Rolle spielen, kommt das Bewusstsein dafür spätestens in der Schule, wenn das Kind den gleichen Scout-Ranzen haben will wie sein Mitschüler. Am stärksten ist dieses Bewusstsein bei Jugendlichen entwickelt, aber Untersuchungen zeigen, dass bereits Dreijährige Marken unterscheiden können.

Sie haben festgestellt, dass 1,9 Millionen Kinder ein Handy besitzen.

Das Handy gehört zum täglichen Bedarf, voraussichtlich werden wir Ende dieses Jahres mehr angemeldete Geräte als Einwohner haben. Daher ist diese Entwicklung nicht allzu verwunderlich. Von den Sechs- bis Neunjährigen besitzt – wie man’s nimmt – erst oder schon jedes zehnte Kind ein eigenes Handy, von den Zehn- bis 13jährigen sogar jedes zweite. Das liegt nicht nur daran, dass die Kinder ein Handy wollen, sondern auch, dass die Eltern es gutheißen, ihr Kind jederzeit erreichen zu können.

Was kam zuerst? Das Bedürfnis, das durch ein Produkt befriedigt wird, oder das Produkt, das ein Bedürfnis befriedigt, das es ohne dieses Produkt gar nicht gäbe?

Das erinnert an die Frage nach der Henne und dem Ei, finden Sie nicht? Jedenfalls hat das Handy eine erstaunliche Karriere gemacht. Zuerst haben es Manager benutzt, dann fing alle Welt an, damit zu telefonieren, schließlich entdeckten es die Jugendlichen für sich – weil sie damit tolle Nachrichten verschicken, Klingeltöne herunterladen oder spielen können. Es ist ein modisches Accessoire, das sie selbst gestalten und mit dem sie sich abgrenzen können. Dieser Aspekt ist vielleicht wichtiger als das bloße Telefonieren. Ähnliches gilt für den Computer oder das Internet.

Lesen Kinder überhaupt noch Bücher?

Schwerpunktmäßig interessiert uns natürlich, ob und welche Magazine die Kinder lesen. Wir machen die Studie, weil wir wissen wollen, wer unsere Hefte liest, in welchem Alter unsere Leser sind, ob es mehr Jungs oder mehr Mädchen sind usw. Für uns sind die Ergebnisse zufrieden stellend.

Nach Büchern fragen wir nicht detailliert, sondern nur allgemein, ob und wie oft die Kinder lesen. Dieser Wert ist seit dem Jahr 1993, als die erste Kids-Verbraucher-Analyse erschien, relativ stabil geblieben. Wenn ein neuer Harry Potter erscheint, springen die Zahlen kurz nach oben, fallen aber bald wieder.

Noch immer sind Donald Duck und Micky Maus bei Kindern sehr beliebt. Was ist das Geheimnis dieses anhaltenden Erfolgs?

Manche Charaktere haben etwas Magisches und funktionieren deshalb über Generationen hinweg. Die Figuren aus Entenhausen gehören sicher dazu. Und manches wird auch tradiert: Wenn die Eltern selbst Comics gelesen haben, werden sie es ihren Kindern nicht verbieten.

Die typische »Einstiegsdroge« sind jedoch Titel wie Pu der Bär, Benjamin Blümchen oder Bibi Blocksberg, die ebenfalls etliche Jahre auf dem Buckel haben. Micky Maus und Donald Duck kommen erst später, wobei Donald der bei Kindern beliebtere Charakter ist. Bei ihm passiert mehr, er hat ständig Pech, er ist jähzornig usw. Mit ihm können sich die Kinder besser identifizieren. Micky ist fast schon zu perfekt. Anderseits verkaufen sich die Produkte besser, auf denen eine Micky Maus drauf ist.

Aber wir bringen auch immer wieder neue Figuren, Sponge Bob Schwammkopf etwa, mit dem viele Eltern nichts anfangen können, der aber bei den Kindern gut ankommt. Jugendliche, die sich von den Eltern abgrenzen wollen, lesen gerne Mangas und sehen Animes, die die Erwachsenen nicht aus ihrer eigenen Kindheit kennen.

Dennoch scheint sich manches zu ändern. So ist Donald in den neueren Geschichten oft nicht der Faulpelz, den seine Neffen zum Arbeiten treiben müssen, sondern geht einer Arbeit nach. Gibt es bei Walt Disney die Vorgabe, dass der arbeitsscheue Donald kein gutes Vorbild ist und darum vermieden werden soll?

Soweit mir bekannt ist, gibt es, außer zeichnerischen Standards wie Donalds Matrosenanzug und Mickys Antennenohren, keine Vorgaben. Die Geschichten werden ja von Zeichnern und Autoren in verschiedenen Ländern hergestellt, die nicht nur verschiedene Zeichenstile haben, sondern auch die Charaktere unterschiedlich auslegen. Insbesondere Donald ist eine Figur, mit der man viel spielen kann, mit dem mehr möglich ist, als ihn immer nur in der Hängematte liegen zu lassen. Man kann ihn mal in die Margarinefabrik schicken oder andere Jobs machen lassen, an denen er natürlich regelmäßig scheitert.

Die Zeichner und Autoren bemühen sich darum, die Geschichten zeitgemäß zu gestalten, selbst wenn sich ältere Leser, die wir ebenfalls haben, darüber beschweren, dass Tick, Trick und Track gelegentlich etwas für »cool« oder »krass« halten oder mit einem Handy telefonieren. Aber die Kinder, für die die Geschichten in erster Linie bestimmt sind, wollen genau das lesen. Sie wollen die moderne Welt in den Comics widergespiegelt sehen und kein Universum aus den fünfziger Jahren.