Ade, KPD!

Im Rückblick lässt sich sagen: 1956 war das Verbot das Beste, was der KPD widerfahren konnte. von alexander bloch

Das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands wurde zu einer Zeit ausgesprochen, in der es schien, als sei, wie von den meisten Parteimarxisten aller Länder kühn und selbstbewusst behauptet, der Triumph des Kommunismus on the long run von nichts und niemandem aufzuhalten. Doch »die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug«, sagt Hegel, »hinterher ist man immer schlauer«, weiß der Volksmund. Deshalb kann, wer mit dem Abstand von 50 Jahren darüber spricht, zu einer politischen Wertung gelangen, die kaum möglich und zudem politisch falsch und moralisch verwerflich gewesen wäre. Heute aber – die Genossen, die Flucht, Gefängnis und anderes Unbill erlitten haben, mögen verzeihen, es ist keine Aussage über ihr Schicksal – heute also kann man sagen: Das Verbot war das Beste, was der KPD passieren konnte.

Warum? Hauptsächlich bewahrte es die ehedem mächtigste kommunistische Partei außerhalb der Sowjetunion davor, in der völligen Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Die KPD wurde nicht in der Blüte ihrer Jugend dahingerafft, sondern mitten in ihrem Niedergang. Das zeigen nicht nur die Wahlergebnisse – 1953 hatte sie gerade noch 2,2 Prozent erhalten –, das zeigte sich symbolkräftig am Tag des Urteils selbst. Eine einzige halbwegs nennenswerte Protestkundgebung notieren die Chronisten, eine Demonstration von 300 Teilnehmern in München. Mag die KPD in den frühen fünfziger Jahren – etwa mit ihrer oppositionellen Gewerkschaftspolitik – zu ihrer Isolation beigetragen haben und mag sich die Tragik der Mitgliedsparteien der Komintern, die sich der Revolution verpflichtet fühlten, sich aber den jeweiligen außenpolitischen Interessen der Sowjetunion fügen mussten, nunmehr, in Form der Abhängigkeit von der DDR, als Farce wiederholt haben – die eigentliche Niederlage der KPD, für die sie Mitverantwortung trägt, war nicht der 17. August 1956, sondern der 30. Januar 1933.

1956 gehörte dieses Datum unübersehbar zur deutschen Gegenwart. Im postnazistischen Deutschland diente der Antikommunismus als das Bindeglied zur Vergangenheit, in seinem Zeichen erfolgte die Restauration. Gelegentlich gab die KPD verdruckst zu, dass, wie es in einer Schrift aus den sechziger Jahren hieß, »leider auch große Teile unseres Volkes vom Faschismus verführt und mitschuldig an seinen Untaten waren«. Die anschließende Frage aber stellte sie nicht: die Frage nämlich, warum der Faschismus auch die Arbeiterschaft so stark hatte beeinflussen können, wenn er denn, wie die berühmte Formel von Georgi Dimitroff besagte, allein eine Veranstaltung des Kapitals war. Dieser Gedanke aber hätte theoretische und politische Konsequenzen erfordert.

Hingegen schien das Verbot nicht nur die Dimitroffsche These zu bestätigen. Kaum etwas schien den Geisteszustand besser zu veranschaulichen als der Umstand, dass dieselben Richter, die im Namen des Führers über dieselben Kommunisten zu Gericht gesessen hatten, dies nun im Namen der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« taten. Damit nicht genug, wurden in den ersten Jahren auch solche Aktivitäten strafrechtlich geahndet, die vor dem Verbot erfolgt waren. Der eherne Grund­satz, mit dem die Nazirichter sich und ihresgleichen freisprachen (»Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein«), wurde bei den Kommunisten qua Gesetz ins Gegenteil verkehrt.

Den verfolgten Kommunisten verschaffte dies eine enorme moralische Integrität. Denn die wahren Helden sind nicht die, die den Tyrannen besiegen, die Prinzessin heiraten und selbst Platz auf dem Thron nehmen, die wahren Helden sind die tragischen Verlierer: Achill, nicht Odysseus; Che, nicht Castro. Das Verbot ließ die KPD zur Legende werden und verschaffte ihr eine nützliche Legende. Die Repression überdeckte die Frage nach dem politischen Scheitern.

Für viele, die sich angewidert vom Adenauer-Deutschland abwandten, wurden die verfolgten Kommunisten zu moralischen Autoritäten, für manche, wenigstens zeitweise, auch zu politischen Weggenossen. Waren anfangs nur einige Parteimitglieder mit in die Illegalität gegangen, begann in den sechziger Jahren die Zahl der Mitglieder zu steigen. Zu den neuen gehörte das Ehepaar Klaus-Rainer Röhl und Ulrike Meinhof, der Herausgeber und die Chefkolum­nistin der Zeitschrift Konkret, die von großer Bedeutung für die entstehende Studentenbewegung war. Bis Mitte der sechziger Jahre erhielt sie Geld aus der DDR. »Ich bin immer zur SED gegangen und habe zu denen gesagt, gebt mir noch mal 40 000 und noch mal 40 000 Mark. Ohne mich hätte es diese verrückte Zeitschrift nicht gegeben«, sagt heute Manfred Kapluck, ein Führungskader der illegalen KPD und später der DKP.

Einfluss hatten KPDler auch in anderen Zeitschriften, den Sozialistischen Heften etwa oder der Hamburger Zeitung Blinkfüer. Deren leitender Redakteur war Ernst Aust, der spätere Vorsitzende der maoistischen KPD/ML, der zum Zeichen seiner Volksverbundenheit gerne vor röhrenden Hirschen posierte und eine der seltenen Ausnahmen war, die Kontinuität zwischen der KPD und den K-Gruppen der siebziger Jahre herstellten, die beanspruchten, die Nachfolge der KPD angetreten zu haben.

So schwierig und gefährlich die illegale Arbeit war und so sehr sie die Abhängigkeit des Apparates von der SED steigerte, führte sie zugleich dazu, dass die Mitglieder autonomer operieren konnten. Gewiss folgten sie dabei der Vorgabe, als sie sich in Gewerkschaften, an Bewegungen wie der gegen die Notstandsgesetze oder den Ostermärschen, Organisationen wie den Naturfreunden und an Bündnissen wie dem Sozialistischen Zentrum beteiligten. Manch antikommunistischer Bezirkssekretär der IG Metall staunte nicht schlecht darüber, dass die kommunistischen Betriebsräte plötzlich unpopuläre Entscheidungen der Gewerk­schafts­führung mittrugen, und beklagte sich darüber, dass es dadurch viel schwieriger sei, die Infiltration zu bekämpfen. Doch die Zahl der kommunistischen Betriebsräte war ohnehin rückläufig.

Ungleich bedeutender war der Einfluss von Mitgliedern und Sympathisanten der KPD auf die 68er-Bewegung. War diese anderswo in direkter Abgrenzung zur jeweiligen KP entstanden, wurde hierzulande der Marxismus sowjetischer Provenienz durch 68 wieder belebt. Als im September dieses Jahres die »Neukonstituierung einer kommunistischen Partei« bekannt gegeben wurde, waren die meisten illegalen Mitglieder überrascht. Mancher hätte den Status quo wohl vorgezogen, der größere Wirkungsmöglichkeiten eröffnet hatte, und nicht alle Mitglieder der illegalen Partei schlossen sich der neuen an. So soll die KPD-Betriebsgruppe bei Opel in Rüsselsheim zuletzt mehr Mitglieder gehabt haben als jemals die DKP.

Doch insbesondere die jüngeren Kader wollten eine Legalisierung – nicht nur, weil mit dem Zerfall der außerparlamentarischen Bewegung neue Konkurrenz drohte, sondern auch, weil nach dem sowjetischen Einmarsch in Prag im August 1968 der Bruch mit den Antiautoritären im SDS wie mit den linkssozialistischen Kreisen nicht mehr zu vermeiden war und somit eine erneute Isolation drohte. Die Kommunisten verließen das Sozialistische Zentrum (das später als »Sozialistisches Büro« bei der Gründung der Grünen eine Rolle spielte); zur gleichen Zeit kam es im SDS zu einem Trennungsprozess. Einige Ortsgruppen wie Marburg, Köln und München gingen größtenteils in der DKP auf. Hatte das Bundesverfassungsgericht unfreiwillig der KPD einen ehrenvollen Abgang erlaubt, kam der DKP das Verdienst zu, den Verein wieder entzaubert zu haben.