Die Blauhelme kommen

Der Kampf gegen Israel war für die Hizbollah ein Propagandaerfolg. Doch die Stationierung internationaler Truppen im Südlibanon könnte die Jihadisten schwächen. von jörn schulz

Es ist meistens ein schlechtes Zeichen, wenn der UN-Sicherheitsrat eine Resolution einstimmig verabschiedet. Denn eigentlich sind die Interessen der Mitgliedsstaaten zu unterschiedlich, als dass ein Beschluss ihnen allen gerecht werden und trotzdem mehr als unverbind­liche Absichtserklärungen enthalten könnte. Als der Sicherheitsrat im November 1967 über den israelisch-arabischen Konflikt debattierte, behalf man sich deshalb mit zwei Versionen der Resolution 242. Die englischsprachige Variante fordert den Rückzug »aus besetzten Gebieten«. Nach dem Rückzug von der Sinai-Halbinsel konnte Israel sich darauf berufen, den größten Teil der eroberten Territorien geräumt zu haben. Die arabischen Staaten dagegen bevorzugen die französischsprachige Version, in der vom Abzug »aus den besetzten Gebieten« die Rede ist.

Diesmal aber hatten sich Frankreich und die USA auf einen Resolutionsentwurf geeinigt, den sie gemeinsam dem Sicherheitsrat vorlegten. Dass eine Woche verging, bevor die Resolution 1 701 verabschiedet werden konnte, lag vor allem am Einspruch arabischer Diplomaten. Sie haben offenbar einige Veränderungen durchsetzen können. In dem zwischen Frankreich und den USA ausgehandelten Entwurf war vorgesehen, dass die internationale Friedenstruppe unter Kapitel VII der UN-Charta operiert, das sich mit »Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen« befasst und die Grundlage für so genannte robuste Mandate ist. Sie sollte zudem im Auftrag der Uno tätig werden, aber nicht unter direktem UN-Kommando stehen wie die bereits seit 1978 im Südlibanon stationierte Unifil.

Die verabschiedete Resolution sieht nun eine Verstärkung der Unifil auf maximal 15 000 Soldaten vor. Das Mandat der Unifil wird erweitert, sie ist künftig zur Gewaltanwendung berechtigt, um sich selbst und Zivilisten zu schützen sowie um »feindselige Aktivitäten« zu unterbinden. Dies gilt jedoch ausdrücklich nur für das Stationierungsgebiet im Südlibanon, und es fehlt der Verweis auf Kapitel VII. Aktivitäten wie die Hilfe bei der Verhinderung von Waffenimporten sind an die Zustimmung der libanesischen Regierung gebunden.

Ein Mandat unter Kapitel VII hätte der Truppe größere Handlungsfreiheit gegeben. Die Befehlsgewalt liegt nun bei der schwerfälligen und nicht sonderlich israelfreundlichen UN-Bürokratie. Der israelischen Regierung wäre es wohl lieber gewesen, wenn die Nato das Kommando übernommen hätte. »Wir wollten effektive Streitkräfte«, sagte Außenministerin Tsipi Livni. »Wir haben gefordert, dass sie nicht Teil der Unifil sein sollen.« Dennoch sei die Resolution »gut für Israel«.

Am Sonntag stimmte das israelische Kabinett der UN-Resolution zu. Livni deutet nun an, dass die Stationierung der internationalen Truppe ein wichtiges, wenn nicht sogar das zentrale Kriegsziel gewesen sei: »Seit dem Beginn des Krieges war uns klar, dass wir nicht alle unsere Ziele erreichen können. Aber diese Resolution ist eine Antwort auf viele von uns gesetzte Ziele.« Die Regierung wird in den kommenden Wochen einen Feldzug vor der Öffentlichkeit rechtfertigen müssen, der schwerlich als glänzender militärischer Sieg dargestellt werden kann. Da liegt es nahe, politische Erfolge in den Vordergrund zu stellen.

Möglicherweise hatte die israelische Regierung aber tatsächlich einen »politischen Krieg« geplant. Ganz gegen ihre Gewohnheit sprachen israelische Politiker, die von einer Internationalisierung des Nahost-Konflikts zuvor nie etwas hören woll­ten, schon kurz nach dem Beginn der Kämpfe von der Notwendigkeit einer diplomatischen Lösung und der Stationierung einer Friedenstruppe. Und eine Erfüllung der UN-Forderungen könnte tatsächlich die von Livni prophezeite »dramatische Änderung der Situation« bewirken.

Die Hizbollah hat den Kampf gegen Israel bislang mit der angeblich auch nach dem Abzug aus dem Südlibanon fortdauernden »Besatzung« gerechtfertigt. Das umstrittene Areal, die Shebaa-Farmen, wird von der Uno als Teil Syriens betrachtet. UN-Generalsekretär Kofi Annan soll sich nun um eine Klärung bemühen, als Rechfertigung für erneute Angriffe kann die israelische Militärpräsenz in diesem Gebiet nicht mehr dienen.

Es wird der Hizbollah in Zukunft schwerer fallen, als »nationaler Widerstand« zu posieren. Diese Pose ist auch die offizielle Begründung für die Weigerung der Islamisten, ihre Waffen abzugeben. Die Resolution 1 701 enthält nur sehr schwammige Formulierungen über die Entwaffnung der Miliz, die vom UN-Sicherheitsrat bereits im Jahr 2004 gefordert wurde. Faktisch kommt das einer vorläufigen Bestandsgarantie für den Militärapparat der Hizbollah gleich, und es ist fraglich, ob die Islamisten daran gehindert werden können, ihr Waffen- und Raketenarsenal wieder aufzufüllen. Doch nur so war die Zustimmung der libanesischen Regierung und der Hizbollah zu gewinnen, und kaum eine Regierung würde Soldaten für die Friedenstruppe bereit stellen, wenn von vornherein feststünde, dass es zum Kampf gegen die Miliz kommen wird.

Noch weiß niemand, wie die Hizbollah entwaffnet werden kann, ohne einen neuen Bürgerkrieg auszulösen. Die Präsenz internationaler Truppen ist jedoch ein neuer Machtfaktor auch in der libanesischen Innenpolitik, der die Gegner der Islamisten stärken könnte. Und wenn die Miliz nach einer mehr oder minder langen Pause den Waffenstillstand bricht, was recht wahrscheinlich ist, werden zunächst Uno und Unifil für ihre Bekämpfung zuständig sein und nicht einmal deutsche Völkerrechtsexperten mehr behaupten können, Israel sei an allem schuld. In einem Konflikt, der nicht zuletzt ein Propagandakrieg ist, wäre das tatsächlich eine dramatische Änderung der Situation.

Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der Hizbollah, hat also gute Gründe, mit dem Gang der Dinge unzufrieden zu sein. Er findet es »un­gerecht und unfair«, der Hizbollah die Schuld für den Konflikt zu geben, versprach jedoch, die Entscheidung der libanesischen Regierung zu akzeptieren und sich an den Waffenstillstand zu halten. Der Krieg war für seine Organisation ein Propagandaerfolg, es stellte sich aber heraus, dass auch fast alle arabischen Staaten seine Organisation schwächen wollen. Die meisten Regierungen der Region fürchten eine Stärkung des Islamismus und des Iran. Die arabischen Diplomaten wollten nicht als Freunde Israels dastehen. Wie die westlichen Staaten sind sie jedoch an einer Eindämmung der islamistischen Aktivitäten interessiert.

Derzeit scheint es so, als habe sich die Hizbollah nicht nur verkalkuliert, als sie eine zurückhaltende Reaktion auf die Entführung der beiden israelischen Soldaten erwartete. Fixiert auf die mediale Präsentation des Krieges, haben die Islamisten offenbar erwartet, die in aller Welt verbreiteten antiisraelischen Ressentiments nutzen zu können. Doch die staatliche Politik auch arabischer Regierungen folgt anderen Leitlinien. Da das iranische Regime kompromisslos an seinem Atomwaffenprogramm festhält, könnte der nächste Konflikt ungleich katastrophalere Folgen haben. Vor allem diese Aussicht dürfte den Konsens im Sicherheitsrat ermöglicht und dazu geführt haben, dass nun erstmals Blauhelme entsandt werden, deren Auftrag letztlich der Kampf gegen den Jihadismus ist.